Jürgen Deppe © NDR Foto: Christian Spielmann

Ich, alter weißer Mann!

Stand: 29.10.2024 08:12 Uhr

In dem Film "Alter weißer Mann" (ab Donnerstag im Kino) spielt Jan Josef Liefers einen Klischee-Mann, der alles daransetzt, zu zeigen, dass er sehr wohl auf der Höhe der Zeit ist. Das klagt auch der Autor dieser Glosse für sich ein.

von Jürgen Deppe

Hallo! Ich bin 57 Jahre alt, habe eine weiße Hautfarbe und bin männlich. Okay, geht gar nicht! Denn das heißt: Ich bin ein alter weißer Mann! Ich bin also - mindestens tendenziell - selbstverliebt und machtversessen, bin - mindestens tendenziell - chauvinistisch und frauenfeindlich und - mindestens tendenziell - homophob und heteronormativ, islamophob und rassistisch, ausländerfeindlich und eurozentristisch, und was es sonst noch so an Dreck in dieser Welt gibt. Bin ich alles! Denn ich bin ein alter weißer Mann.

Differenzierung gilt nicht für alte, weiße Männer

Das sage nicht ich, sondern das sagt eine viel jüngere, viel hippere, viel aufgeklärtere, ach überhaupt viel wokere Generation als meine über Leute wie mich. Da muss auch nicht differenziert werden, dass wir nicht mehr im 20. Jahrhundert oder davor leben - nicht einmal so eindimensionale Wesen wie "Männer". Nein, Differenzierung gilt nur für andere (vor allem sich selbst), nicht für alte, weiße Männer. 

Aber Stopp! Es ist natürlich nicht die ganze Generation der unter 30-Jährigen, die alte, weiße Männer wie mich für alle Übel dieser Welt verantwortlich macht. Das macht vor allem der vehementeste und lauteste Teil der Generation, der fordert: Klappe halten, alter weißer Mann! 

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Solidarität mit Unterdrückten aus sicherer sozialer Anhöhe 

Jetzt sollen nämlich endlich die Anderen zu Wort kommen: die Unterdrückten, Diskriminierten, an den Randgedrängten. Die, die von uns alten, weißen Männern unterjocht werden. Auch wenn die, die das fordern, es selbst zum größten Teil gar nicht werden. Egal, sie sind aus sicherer sozialer Anhöhe halt nur wahnsinnig solidarisch mit den Unterdrückten dieser Welt. Da kann ich alter weißer Mann, moralisch befleckt wie ich durch meine ohne Frage vielen chauvinistischen, selbstgefälligen und machtbesessenen Vorgänger bin, nicht mit, heißt es pauschal. Ich bin nun mal alt, weiß, männlich…

Wokeness als neue moralische Spießigkeit 

Das muss als Stigma reichen. Selbst wenn ich ab und zu (okay, wahrscheinlich zu selten) gendere, mir Hautfarben generell schon immer herzlich egal sind, meinetwegen alle Menschen Religionen, Geschlechtern oder Weltanschauungen anhängen dürfen, wie sie wollen, solange sie das auch allen anderen zugestehen. Aber das zählt nicht im pauschalen woken Alters-, Hautfarben- und Geschlechterbashing! Was damit ja keinen Deut anders ist als das spießige Alters-, Hautfarben- und Geschlechterbashing alter weißer Männer früherer Tage. Diese neue moralische Spießigkeit geriert sich halt nur woker als die frühere Spießigkeit. 

Ich alter weißer Mann wünsche mir von meinen Verurteiler*innen (hey, ich habe gegendert!) einfach nur nichts anderes als so viel Toleranz fürs Anderssein, wie sie es so vehement von mir fordern. Damit ließen sich dann auch alte, weiße Männer wie ich aushalten. Irgendwie.

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Der Morgen | 29.10.2024 | 09:20 Uhr

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