Proben zu der Oper "Die Zauberflöte" © imago

Rassismus und Frauenfeindlichkeit in Opern: Umdichten oder nicht?

Stand: 14.12.2023 13:14 Uhr

Wie gehen wir mit Opernstoffen um, die Jahrhunderte alt sind und manchmal noch die sexistischen und rassistischen Rollenbilder ihrer Zeit vermitteln? Damit beschäftigt sich die Initiative "Critical Classics".

Ein Gespräch mit Christian Poewe, freischaffender Regisseur und Professor für Szenisch-Musikalischen Unterricht an der HfMT Hamburg.

Herr Poewe, erleben Sie, dass Publikum oder auch Darstellerinnen sagen, der Stoff sei ihnen fremd oder verletze sie sogar?

Christian Poewe © Christian Poewe
"Ich würde Opernwerke immer individuell betrachten", sagt der freischaffende Regisseur Christian Poewe.

Christian Poewe: Das erlebe ich auf Sänger*innen-Seite fast nie. Und wenn, dann ist das ein Thema, das bei Proben oder wenn man über eine Figur spricht, definitiv thematisiert werden muss. Denn meiner Meinung nach macht man Theater nicht nur als Regisseurin, Regisseur oder Bühnenbildner, sondern immer zusammen mit den Darsteller*innen. Das heißt, wenn da so eine Verletzung tatsächlich auftritt, dann muss man das beleuchten und gegebenenfalls eine szenische, spannende Lösung dafür finden.

Wie kann das aussehen? Wie würde man zum Beispiel mit Monostatos aus der "Zauberflöte", der als übergriffiger Schwarzer dargestellt wird, umgehen?

Poewe: Ich würde die Figur oder überhaupt die ganze Oper "Die Zauberflöte" ungern so naturalistisch sehen wollen. Diesen Kontext eines Schwarzen Menschen in dieser ägyptischen Situation eins zu eins zu erzählen - das wäre mir als Regisseur viel zu naturalistisch. Ich würde das ganze Thema Schwarz überhaupt nicht in Form einer Ethnie oder einer Herkunft behandeln. Ich würde da ganz anders rangehen.

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Einerseits haben wir eine Textebene, in der Sachen drinstehen, die vielleicht rassistisch sind und Menschen verletzen. Und dann haben wir eine Ausdeutung. Genügt die Ausdeutung, um die Problematik der Textebene aufzuheben?

Poewe: Teils, teils. Ich bin beim Thema "Zauberflöte" auch der Meinung, dass da eine Umtextung gar nicht schaden würde. Ich würde ohnehin Opernwerke immer individuell betrachten, wenn man so etwas diskutiert. Ich würde nie sagen, dass wir alle problematischen Texte definitiv umschreiben müssen. Im Fall der "Zauberflöte" finde ich den Gedanken tatsächlich sehr charmant. Ich habe die auch schon mal gemacht, und natürlich reibt man sich an immer den gleichen Stellen: unter anderem an dieser, aber auch an der Frauenfeindlichkeit der Sarastro-Gesellschaft. Aber auch da wäre es mir ein Anliegen, eher diese Gesellschaft entsprechend zu charakterisieren, dass ich Sarastros Welt nicht als das Hehre, Lichte, Gute betrachte, sondern im Gegenteil auch als eine ganz schwierige, gefährliche Macht. Diese Frauenfeindlichkeit ist nun mal ganz stark in dem Text drin, und das würde ich eher nach vorne bringen, als Charakterisierung dieser Welt.

In der Zeitschrift "Deutsche Bühne" gibt es einen Artikel über Berthold Schneider, der damals noch Intendant an der Oper Wuppertal war. Er sitzt in seiner eigenen "Zauberflöten"-Inszenierung und merkt, wie fremd das dem Publikum ist. Erleben Sie das auch, dass Stoffe das Publikum mittlerweile vor den Kopf stoßen?

Poewe: Entsprechende Rückmeldungen habe ich bisher nicht erhalten. Als Beobachter in anderen Aufführungen und auch, wenn ich mich umhöre, ist mir Vergleichbares nicht unbedingt untergekommen, nein.

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"Die Zauberflöte" soll nun umgedichtet werden. So ein Werk steht ja wie eine korinthische Säule in dem Kanon der Hochkultur, und wir können uns genau vorstellen, wie viele Menschen sich dadurch dann vor den Kopf gestoßen fühlen. Wie geht man damit um?

Poewe: Das wiederum finde ich durchaus in Kauf zu nehmen. Es ist ja oft so, dass alles, was gegen das vermeintliche Werk geht oder zu gehen scheint, eher den Unmut des Publikums hervorruft. Da wäre ich als Erster auf den Barrikaden, um zu sagen: Dann aber doch lieber die Augen öffnen für gewisse Schwierigkeiten, Konflikte, Reibungen und Missstände. Insofern bin ich hochinteressiert, was diese neue Textfassung der "Zauberflöte" angeht.

Dialogtexte in einer Oper sind für mein Empfinden ohnehin in vielen Fällen ein bisschen Freiwild. Ich schreibe für eigene Inszenierungen auch selber sehr viel um. Schwieriger, komplexer wird es bei den gesungenen Texten - und in den meisten Opern sind es ausschließlich gesungene Texte. Da ist so etwas natürlich denkbar, wenn man das klug und gut macht. Es muss wunderbar singbar sein, und wenn das gegeben ist, warum nicht?

Sie haben an der Hochschule in Hamburg "Die Fledermaus" von Johann Strauss inszeniert. Da gibt es zum Beispiel in vielen Inszenierungen die Figur Orlofsky, die mit übertriebenem russischen Akzent gespielt wird. Das gab es bei Ihnen nicht. Wie sind Sie mit diesem Stoff umgegangen?

Poewe: Ja, das war tatsächlich von vornherein keine Option. Zunächst mal ist Operette ein ganz eigenes Genre - das steht und fällt mit den Darsteller*innen auf der Bühne. Da kann man noch so viel denken und konzipieren - der Charme, die Lebendigkeit, der Witz muss von den Darsteller*innen kommen. In der "Fledermaus" haben wir diesen russischen Orlofsky, wir haben diesen ungarischen Darsteller, der voller übertriebener Ungarismen singt, die uns heute alle nichts mehr sagen. Wir haben beim Thema Ungarn und Russland zurzeit ganz andere Assoziationen. Und wenn ich nun eine chinesische Sängerin habe, wie in unserem Fall, die auf Deutsch einen russischen Akzent machen soll, dann weiß ich überhaupt nicht mehr, wo ich lande. Dann gehe ich damit lieber von vornherein völlig anders um und sage: All diese Nationalitäten spielen gar keine Rolle; ich nehme die Nationalität der tatsächlichen Sänger*innen und arbeitet damit. Das tut dem Vergnügen, dem Spaß oder vielleicht auch der Einsicht an einen solchen Theaterabend überhaupt keinen Abbruch - im Gegenteil.

Wie war die Reaktion der Darstellerinnen und Darsteller bei Ihnen?

Poewe: Sehr gut. Denen hat es sehr viel Spaß gemacht. Auch da habe ich von Mitarbeitenden und vom Publikum sehr positive Reaktionen gehört - und von den Sänger*innen sowieso. Die waren eher ein bisschen zurückhaltend und haben sich zunächst gar nicht getraut, viel von sich zu geben und einfließen zu lassen. Ich konnte sie nur ermutigen, das zu tun, und dann haben sie es auch ganz wunderbar gemacht und konnten sich dann noch mal ganz anders entfalten. Wir sind an der Hochschule auch ein Ausbildungsinstitut, und da ist es mir als Dozent auch sehr wichtig, dass die Sängerinnen und Sänger ihre eigene Persönlichkeit entfalten und offensiv nach vorne bringen. Das ist ein Unterrichtsinhalt, den ich ganz wichtig finde.

Das Interview führte Mischa Kreiskott.

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Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Journal Gespräch | 14.12.2023 | 16:45 Uhr

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