Podiumsdiskussion: Nahostkonflikt spaltet deutsche Kulturszene
Die Vorkommnisse bei der Berlinale haben jüngst gezeigt wie sehr der Krieg im Nahen Osten die Kunst- und Kulturbranche aufrüttelt und spaltet. Über die Auswirkungen des Konflikts auf den deutschen Kulturbetrieb haben in Osnabrück renommierte Kunsthistoriker und Kunstkritikerinnen angeregt diskutiert.
Zu Beginn der Veranstaltung wird im Kunstforum Hase29 ein Film der israelischen Künstler Nir Evron und Omer Krieger präsentiert. Er zeigt den Kibbuz Be'eri mit Wohnhäusern, Gärten und Menschen vor gut zehn Jahren. Er liegt im Süden Israels, unweit vom Gazastreifen. Im vergangenen Jahr wurde der Kibbuz von den Angriffen der Hamas mit am schwersten getroffen.
Vor der jetzt weißen Leinwand der Projektion versammeln sich vier Kunstkritikerinnen und Kuratoren aus verschiedenen Ecken Deutschlands. Der Nahostkonflikt polarisiere den Kulturbetrieb wie kaum etwas zuvor, so die Moderatorin der Diskussion, Ann-Katrin Günzel, Chefredakteurin vom "Kunstforum International": "In der Art hat es den Konflikt noch nicht so gegeben, also dass es so eine extreme Spaltung gegeben hat. Auch mit verbaler und tatsächlicher Gewalt, die damit einhergeht."
Gespräch über Kunstfreiheit vs. Meinungsfreiheit
Bislang habe man sich im Kunstbetrieb immer auf die Seite der unterdrückten Minderheiten geschlagen, sagt der Kunsthistoriker Wolfgang Ullrich an diesem Abend: "Vor diesem Hintergrund ist der Nahostkonflikt eben zum großen Problem geworden, weil nicht so eindeutig ist, wer ist jetzt das eigentliche Opfer? Wem muss man mehr beispringen oder helfen?"
Global betrachtet, sei die Kunstwelt eher kritisch gegenüber Israel, so Mira Anneli Naß, Fototheoretikerin an der Universität Bremen. In Deutschland wünsche die Politik allerdings einen sensiblen Umgang mit Israel, so Wolfgang Ullrich. Deshalb wurden jüngst Maßnahmen wie eine Antisemitismusklausel besprochen: "Das waren aber nie Debatten um einzelne Werke, sondern man hat Anstoß genommen an Äußerungen der jeweiligen Personen in sozialen Medien oder daran, dass ein offener Brief unterschrieben wurde." Und das sei keine Frage der Kunstfreiheit mehr, sondern der Meinungsfreiheit. Da war sich das Podium einig.
Fragen zur Konfliktfähigkeit des deutschen Kulturbetriebs
Laut Ullrich haben Künstler schon Einladungen abgelehnt, weil sie es unwürdig finden, "durchleuchtet" zu werden. Doch selbst, wenn man Ansichten von Künstlern prüfe, könne man nicht vorausahnen, welche Statements Künstler in Zukunft auf Social Media posten, gibt der Direktor der Kunsthalle Mannheim, Johan Holten, zu bedenken. Außer aber, man arbeite nur mit einer kleinen Gruppe, die man gut kenne, sagt auch Kunsthistoriker Ullrich: "Das hieße natürlich in der Konsequenz, dass eine Weltoffenheit und Pluralität des Kulturbetriebs ein ganzes Stück zurückgeschraubt wird." Das ist etwas, das der politischen Rechten in die Karten spielen würde.
Kunstkritikerin Uta Reindl sagt, der Kulturbetrieb müsse insgesamt wieder konfliktfähiger werden: "Wenn nicht die Kunst, welcher Ort sollte es sonst sein, wo solche Themen ausgetragen werden? Es geht jetzt nicht um parteipolitische Probleme, sondern um Weltprobleme." Boykotte seien auch keine Lösung. Ein Zuhörer meint am Ende: "Wir müssen alle im Diskurs bleiben und mit weniger Ängstlichkeit umgehen. Wenn wir da alle mit anfangen, ist schon viel getan." Die Podiumsdiskussion war vielleicht ein Startschuss dafür.