Iris Berben über Antisemitismus-Vorwürfe bei Berlinale: "Bin verstört"
Bei der Berlinale-Gala haben Redner Israel einen "Genozid" und "Apartheid" vorgeworfen - und dafür Applaus erhalten. Daran gibt es deutliche Kritik von Verbänden und aus der Politik. Auch von einem Schaden für das Festival ist die Rede.
Die Berlinale war in diesem Jahr besonders stark von politischen Debatten geprägt. Bereits bei der Eröffnungsgala hatten einige Filmschaffende ein Ende der Kämpfe in Gaza zwischen Israel und der Hamas gefordert. Bei der Preisverleihung am Sonnabend trugen mehrere Menschen auf der Bühne Zettel mit der Aufschrift "Ceasefire Now" ("Feuerpause jetzt") - womit sie für ein Ende der militärischen Aktionen Israels gegen die Terrororganisation Hamas in Gaza protestierten. Auffällig war vor allem, dass die Beteiligten auf der Bühne einseitig Vorwürfe gegen Israel äußerten, ohne den Terrorangriff der islamistischen Hamas vom 7. Oktober zu erwähnen. Unter anderem wurde von "Apartheid" oder "Genozid" gesprochen. Schauspielerin Iris Berben hat die Preisverleihung am Bildschirm verfolgt.
Frau Berben, was beschreibt Ihre Gefühle? Sind Sie aufgebracht? Verstört? Wütend?
Iris Berben: Alle diese drei Dinge bin ich, ja. Ich weiß auch gar nicht, ob das der richtige Moment ist, wenn man aufgebracht, wütend und verzweifelt ist, überhaupt ein Statement loszulassen. Man sollte ja eigentlich ruhig werden und sich sammeln. Aber ich will es loswerden, weil es mich beschäftigt - auf extreme Weise. Ich habe mir das im Fernsehen teilweise anschauen können, und ich muss sagen: Dass die Berlinale, das Schaufenster der Kultur, eine solche antisemitische Darstellung so unkommentiert zulässt und sich auf die auf die Freiheit der unabhängigen und individuellen Meinungen beruft, das ist ein bitteres Zeugnis unserer Kultur-Landschaft.
Ich frage mich wirklich: Wo waren die im Zuschauerraum, die sich – übrigens am Tag der Eröffnung - zu einem Statement gegen Rechts und gegen Antisemitismus und Demokratiefeindlichkeit ausgesprochen haben? Wo waren die? Man hat nichts gehört. Von der Bühne nichts, nichts von der Moderatorin, die sich doch sicherlich auf einen solchen Auftritt auch sensibel vorbereitet hat oder haben muss. Wie ist es möglich, dass man an so einem Abend - und man kann sehr unterschiedlicher Meinung sein über sehr, sehr viele politische Vorgehen -, aber: Wie kommt es, dass kein einziger Gast auf der Bühne über den 7. Oktober spricht? Über dieses willkürliche Töten, über Geiselnahme, über Vergewaltigungen? Ja, das entsetzt mich. Es macht mich traurig und man verzweifelt ein bisschen.
Mariette Rissenbeek, die Geschäftsführerin der Berlinale, soll am Anfang ausgeglichen gewirkt haben, aber dann sei das ganze entglitten, heißt es. Wie haben Sie das erlebt?
Berben: Ja, das denke ich auch. Mariette ist mit Sicherheit im Vorfeld durch das Hin und Her der Einladung der AfD in eine ungünstige Position gekommen. Zusagen, absagen, zusagen und dann absagen nur auf Druck - das ist etwas, was kein gutes Bild vermittelt. Dass jemand dann auch in dieser Wucht, in der das alles kam, überfordert ist, das mag alles sein. Sie hat auch die richtigen Worte gefunden, auch am Anfang dieser Verleihung. Aber wo war dann irgendjemand auf der Bühne, der da reingegrätscht ist?
Nun sind ja solche Gewinner-Reden auch keine Diskussionsrunde. Da ist es schwer zu widersprechen. Wie kann man das überhaupt machen? Wenn zum Beispiel eine Mati Diop sagt "I stand with palestine" - und danach geht es erst mal weiter und gibt Applaus.
Berben: Ja, das ist es eben. Der Applaus, das war das, was einen erschreckt. Ich habe die Bilder, die aus dem Publikum gesendet wurden, ja gesehen mit euphorischem Applaus. Das ist es ja, was mich so verstört. Wo sind die, die aufgestanden sind oder aus dem Zuschauerraum gerufen haben? Du kannst da nur in dem Moment reagieren, finde ich. Die Reaktion auf der Bühne ist ja auch eine, die im Moment entsteht. Die werden sich etwas dabei gedacht haben und diese Bühne natürlich auch gesucht und genutzt haben. Das ist verständlich, das soll auch so sein. Trotzdem muss doch dann Gegenwind kommen.
Wir kommen bei solchen Großveranstaltungen, die international besetzt sind, in eine sehr schwierige Situation. Man merkt, dass Menschen aus völlig anderen Kulturen eine völlig andere Meinung haben, als sie in Deutschland vorherrscht. Wie kann man damit umgehen, ohne Sprechverbote auszusprechen oder Menschen gar nicht erst einzuladen, was ja auch schon häufig passiert in den letzten Wochen?
Berben: Ja, das sollte man auch nicht. Es ist ein so dünnes Eis und Sie fragen mich etwas, wo ich natürlich auch versuche, nicht aus meiner Emotion heraus zu antworten. Wir müssen es aushalten, wenn wir anderer Meinung sind. Das ist ja genau das, was wir immer verlangen. Aber wir müssen auch die Möglichkeit wahrnehmen, unsere Darstellung klar und laut und deutlich zu machen. Und ich finde, das hat man vermisst. Es kam nichts. Es war nichts da.
Ist diese unterschwellige Pflicht oder der innere Drang, sich zu positionieren, auch ein Grundproblem, dass es so schwerfällt zu sagen: Ich weine für beide Seiten?
Berben: Natürlich weint man doch für beide Seiten, wenn man diese Grausamkeiten sieht. Jeder Tod ist doch wirklich zu beweinen. Aber es hat ja auch ganz viel damit zu tun: Wie weit ist eigentlich meine Kenntnis von Zusammenhängen? Das ist auch mein Statement, das ich gebe: Es hat ganz viel damit zu tun, sehr viel mehr über Dinge und Zusammenhängen zu wissen. Die ganze Diskussion ist extrem emotional aufgeladen. Ich glaube einfach, dass diese Bühne fast wie eine Pflicht ist, sie auch zu benutzen, um ein politisches Statement abzugeben. Aber ich glaube, das ist häufig sehr unausgegoren und eher aus einer Emotionalität heraus als aus einem wirklich fundierten Wissen.
Das Interview führte Mischa Kreiskott.