Organspende: Schriftsteller David Wagner fordert Widerspruchsregelung
Im Bundestag wird derzeit wieder ein Gesetzentwurf zur Widerspruchslösung bei Organspenden debattiert. Der Schriftsteller David Wagner, der 2007 eine Leber transplantiert bekommen hat, hat sich in einem Gastbeitrag in der "FAZ" für diese Regelung ausgesprochen.
Die Widerspruchsregelung besagt, dass einem hirntoten Menschen nur dann keine Organe entnommen werden können, wenn er dagegen explizit Widerspruch eingelegt hatte. So wären sehr viel mehr Organentnahmen möglich, und es könnten Tausenden Menschen die Leben gerettet werden.
Herr Wagner, Sie beginnen Ihren Beitrag mit der kürzlichen Feier Ihres 17. Geburtstags. Was hat es mit in dieser Geschichte auf sich?
David Wagner: Es ist so, dass ich vor wenigen Wochen - weil bisher alles gut gegangen ist - meinen 17. Geburtstag feiern durfte. Jetzt denken Sie: David Wagner, ein grauhaariger Schriftsteller mit leicht silbrigem Bart, 17 Jahre? Das kann doch nicht sein. Ja, 17 Jahre bin ich in meinem zweiten Leben geworden. Das hat angefangen im Jahr 2007, weil ich da das große Glück hatte, eine Organspende zu erhalten, eine Leber. Damals wurde mein Leben gerettet und es fing für mich ein zweites Leben an.
Wie lange mussten Sie damals warten? Wie war dieser Prozess für Sie?
Wagner: Ich habe insgesamt anderthalb Jahre gewartet, und es kam gerade noch rechtzeitig. Ich hatte Glück. 2007 war die Situation noch so, das es höhere Organspendezahlen gab - das ist seit zehn Jahren nicht mehr so. Leider ist die Organspende in Deutschland rückläufig und verharrt seit über zehn Jahren auf einem sehr niedrigen Niveau. Das ist wirklich sehr tragisch, eine Katastrophe und das kostet vielen Menschen das Leben.
Letztes Jahr warteten fast 8.500 Patientinnen und Patienten, und es gab nur 965 Spender. Warum, glauben Sie, ist die Bereitschaft zu spenden so gering in Deutschland?
Wagner: Ich glaube, wenn es klar wäre, dass alle Menschen potenzielle Spender sein können, wenn für die Organspende die Widerspruchsregelung gelten würde, dann wäre es der Normalfall, dass gespendet wird. Dann muss man sich nicht mehr entscheiden, dann wäre es möglich, die Zahlen deutlich zu erhöhen, so wie es in 25 anderen europäischen Ländern seit Jahren sehr gut funktioniert.
Wahrscheinlich sprechen Sie im Alltag mit vielen Menschen über das Thema. Was hören Sie, wenn Sie die mit Ihrer Geschichte konfrontieren?
Wagner: Ich befasse mich seit 20 Jahren mit dem Thema, seit 17 Jahren lebe ich mit einer gespendeten - ich sage immer: mit einer geliehenen - Leber. Ich habe vielleicht zwei oder drei Menschen getroffen, die Organspende völlig ablehnen. Das kann ich akzeptieren, das finde ich okay. Aber die Meinung ändert sich, glaube ich, sehr schnell bei allen, wenn im Bekanntenkreis oder bei einem selber eine Organspende nötig wird. Die Wahrscheinlichkeit, Organspender zu werden, ist so wahnsinnig viel geringer als die Wahrscheinlichkeit, selbst ein Organ zu benötigen oder irgendjemand in der Familie zu kennen, der plötzlich ein Organ benötigt, um weiterzuleben. Ich glaube nicht daran, dass die die Organspende in Deutschland nicht auf breite Zustimmung trifft.
Ist das einfach Gedankenlosigkeit? Oder ist das auch ein Wegdrücken solcher Themen an sich?
Wagner: Ganz genau. Wir haben in Deutschland und in unserer Kultur verständlicherweise eine große Angst, über den Tod zu sprechen. Aber ich glaube, man muss eigentlich über das Leben und über das Weiterleben sprechen, was durch eine Organspende möglich sein kann. Eine Organspende kann ja nicht nur ein Leben retten, wenn es zu einer Organspende kommt in so einem sehr speziellen Fall: Der Fall ist, dass man unter bestimmten Bedingungen auf der Intensivstation eines Krankenhauses verstirbt. Dann kann es sein, dass man sogar mehrere Leben rettet, wenn man mehrere Organe gespendet.
In Deutschland gibt es die Angst, über den Tod zu sprechen. Durch das Buch "Leben", was ich über meine Erlebnisse geschrieben habe, das in 16 Sprachen übersetzt wurde und mit dem ich durch die ganze Welt gereist bin, habe ich erfahren, dass es in vielen anderen Ländern sehr viel unbekümmerter über den Tod gesprochen wird. In China zum Beispiel ging es immer darum, wie es gelingen kann, den Tod zu überwinden und weiterzuleben. Da war ein sehr viel positiveres Verständnis dieser ganzen Geschichte, dass ein Mensch, der eigentlich sterben müsste, durch eine Spende eines anderen Verstorbenen gerettet wird.
Es gibt Menschen, die sehen diese Widerspruchsregelung als Eingriff in ihre persönliche Freiheit. Was entgegnen Sie denen?
Wagner: Das steckt ja im Namen: Niemand ist zu nichts verpflichtet, man kann ja widersprechen. Selbst wenn es zu dem Fall kommt, und jemand hat zu Lebzeiten nicht widersprochen, werden die Angehörigen trotzdem gefragt und können an seiner Stelle immer noch widersprechen. Die Vorstellung, das Organe einfach entfernt würden, ist völlig an den Haaren herbeigezogen. In Deutschland kann man den Rundfunkgebühren auf keinen Fall widersprechen - das ist ein Eingriff (lacht).
Wie schön, dass wir auf dieses Thema kommen.
Wagner: Die Widerspruchsregelung sehe ich nicht als Eingriff. Man hat immer eine Entscheidung.
Es gab vor einigen Wochen einen Vorstoß der FDP, auch vom Hirntod als Voraussetzung für eine Spende wegzugehen, zum Herz-Kreislauf-Tod - beides Dimensionen, wo wir überhaupt nicht mitreden können. Das hat mehr auch für Verunsicherung gesorgt. Wie haben Sie das empfunden?
Wagner: Ehrlich gesagt, glaube ich, dass es ein politisches Ablenkungsmanöver ist. Ich halte das für keine gute Idee. Die Widerspruchsregelung, Verbesserungen in Krankenhäusern, Schaffung von Organspendebeauftragten - das sind die Sachen, die wir jetzt machen müssen und die eigentlich schon vor fast 50 Jahren eingeführt hätten werden können. Wir haben in Deutschland so eine gewisse Art der Verzögerung. Vor 49 Jahren gab es den ersten Gesetzesentwurf zur Widerspruchsregelung, und jetzt sprechen sie immer noch darüber. Wie viele Menschen sind seither gestorben? Das ist das Tragische.
Ich habe oft ein schlechtes Gewissen oder ein schlechtes Gefühl, dass ich überlebt habe. Ich hatte Glück, weil ich in einer Zeit ein Organ brauchte, als es für mich gereicht hat. Ich habe es geschafft, aber so viele, die nach mir auf der Liste stehen, schaffen es nicht. Ich möchte, dass auch andere das Glück haben, weiter leben zu können, denn es ist eigentlich ganz schön, weiterzuleben.
Das Gespräch führte Mischa Kreiskott.