Notwendiges Bekenntnis oder Ende der Kunstfreiheit? Die "Antisemitismusklausel"
In Schleswig-Holstein ist die Kulturförderung an ein Bekenntnis gegen den Antisemitismus gebunden. "NDR Kultur - Das Journal" diskutiert mit Karin Prien, warum sie so eine Klausel eingeführt hat, und fragt Carsten Brosda, warum er die Klausel nicht für das richtige Instrument hält.
Der Krieg in Gaza polarisiert - die Auseinandersetzung darum bestimmt den öffentlichen Raum. Antisemitismus wird immer hemmungsloser sichtbar. Spätestens seit der documenta wird auch in der Kunstszene um eine angemessenen Umgang mit Judenfeindlichkeit gerungen - auch im Norden. In Schleswig-Holstein gilt: Geld vom Staat bekommt nur, wer sich gegen Judenhass bekennt. "Ich glaube, die [Antisemitismusklausel] hilft, weil sie eine soziale Norm definiert und weil klar ist, welchen Rahmen unsere Forderung hat", begründet Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien die Antisemitismusklausel.
Zwischen Kunstfreiheit und Diskriminierungsverbot
In Deutschland gilt die Freiheit der Kunst - ein hohes, schützenswertes Gut. Dementgegen steht der Schutz von Minderheiten. "Das Problem ist, dass das Instrument eines ist, das Tür und Tor für Missbrauch öffnet. Bei einer anderen politischen Mehrheit, bei einer anderen politischen Überzeugung können auch andere Vorgaben in eine solche Klausel geschrieben werden. Dann könnte man sich nicht mehr unter Verweis auf die Kunstfreiheit, die zu schützen ist, dagegen verwehren", meint dagegen Hamburgs Kultursenator Carsten Brosda.
In unserer Verfassung steht: Alle Menschen sind gleich - ebenso das Diskriminierungsverbot und die Menschenwürde. Auch die Freiheit von Kunst und Lehre ist geschützt, erklärt Karin Prien: "Es stellt sich natürlich die Frage, ob es überhaupt einen Anspruch auf Förderung von Kunst gibt. Wir reden nicht darüber, dass wir Kunst insgesamt einschränken. Auf der anderen Seite ist der Staat nicht verpflichtet, Kunstprojekte zu fördern. Deshalb gehen wir davon aus, dass die Kunstfreiheit hier durch unsere Klausel gar nicht tangiert ist."
Kulturinstitutionen als Orte für Dialoge?
Doch Brosda befürchet "ganz generell bei dieser Form von Bekenntnisklausel, dass sie einen Traum erfüllt, den eigentlich die Rechtspopulisten in Richtung Kultur haben." Dabei bieten Kulturinstitutionen den Raum, um Debatten zu führen. Doch auch hier: Polarisierung. Das jüngste Beispiel: Die Eröffnung der Jahresausstellung an der Hochschule für Bildende Kunst Hamburg wurde gestört von pro-palästinensischen Aktivsten. Es soll sogar zu einer Todesdrohung gekommen sein. Dialog geht anders.
Eben den will die HfbK befördern - und scheiterte doch schon einmal mit der Berufung zweier Mitglieder des documenta-Kollektivs "Ruangrupa" als Gastprofessoren. Sie hatten in Kassel antisemitische Bilder gezeigt.
"Wenn Sie mich fragen, ob man die hätte ausladen können - man hätte sie erst gar nicht einladen sollen, wenn man von vornherein ein bisschen sensibler mit dem Thema Antisemitismus umgegangen wäre", sagt Prien. "Ich fordere auch von unseren Hochschulen in Schleswig-Holstein ein, dass sie sich mit der Frage beschäftigen: Wie schützt man jüdische Studierende oder Wissenschaftler vor antisemitischen Übergriffen?"
Keine Gespräche möglich im Hamburger Bahnhof und auf Kampnagel
"Wir haben momentan eine Tendenz in unserer Gesellschaft, sehr schnell danach zu rufen, dass der Staat bestimmte Dinge vorprägen soll", findet Brosda. "Wenn ich zu schnell zu sehr dabei bin, dass der Staat oder - noch schlimmer - die Exekutive hineingreift, muss ich mich nicht wundern, dass uns Freiheiten verloren gehen."
Die Fronten sind verhärtet. Im Hamburger Bahnhof in Berlin wurde gerade eine Performance lautstark gestört, bei der Texte der jüdischen Philosophin Hannah Arendt gelesen wurden. Auch nach Abbruch kam es zu keinem Gespräch: von den Demonstranten nicht gewünscht. Und auf Kampnagel?: Teilrückzug in der Programmplanung. Zur Eröffnung einer Klimakonferenz sollte Zamzam Ibrahim sprechen, doch die 29-Jährige zweifelt am Existenzrecht Israels. Die Aktivistin steht dem BDS nahe, einer Bewegung, die zum Boykott Israels aufruft. Aus Sicherheitsgründen wurde die Rede voraufgezeichnet und abgespielt, entschied Kampnagel-Intendantin Amelie Deuflhard. Echter Dialog - hier so nicht möglich.
Die Antisemitismusklausel spaltet
"Ich glaube, es ist falsch zu sagen, der Staat hat an dieser Stelle in die Freiheit der Kultureinrichtungen einzugreifen. Es sind mehrere Tausend Künstlerinnen und Sprecherinnen, die pro Jahr auf Kampnagel sind. Wir würden uns keinen Gefallen tun, wenn wir sagen würden, als Behörde prüfen wir vorab, wer da auftritt. Wir müssen sicherstellen, dass das, was dort passiert, aushaltbar ist", sagt Brosda.
Die Antisemitismusklausel spaltet. In Berlin gingen Kulturschaffende gegen sie auf die Straße. Der Kultursenator zog sie dort fürs Erste zurück - wegen juristischer Bedenken. Schleswig-Holstein bleibt dabei. "Fast 80 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz muss man immer noch sagen, Antisemitismus ist eine giftige und tödliche Geisteshaltung", sagt Prien. "Es sterben bis heute so viele Menschen wegen des Antisemitismus, der immer noch in den Köpfen und Herzen der Menschen ist. Dagegen müssen wir als Gesellschaft ein Stoppschild aufstellen."