Antisemitismus-Klausel: Karin Prien über Kulturförderung in SH
Darf die Förderung von Kulturprojekten mit einer Antisemitismus-Klausel unter bestimmte Bedingungen gesetzt werden? Das wird derzeit in Berlin heiß diskutiert. In Schleswig-Holstein ist die Kulturförderung bereits an ein Bekenntnis gegen Antisemitismus gebunden. Schleswig-Holsteins Kulturministerin Karin Prien (CDU) hat sich dazu bei NDR Kultur geäußert.
Seit Ende 2023 wird in Berlin die Förderung für Kulturprojekte mit einer Antisemitismus-Klausel unter die Bedingungen gestellt, dass Kulturprojekte, die gefördert werden, weder rassistisch, queerfeindlich, noch antisemitisch sein dürfen. Berlins Kultursenator Joe Chialo (CDU) hat die Klausel am Montag im Berliner Abgeordnetenhaus vorgestellt. Die Idee wird kontrovers diskutiert. Der Zentralrat der Juden begrüßt die neue Klausel. Mehr als 3.000 Künstler und Künstlerinnen äußerten in einem Offenen Brief am 4. Januar ihre Sorgen: Die Klausel sei ohne Rücksprache eingeführt worden und der ihr zugrundeliegende Antisemitismus-Begriff basiere auf der sogenannten IHRA-Definition (International Holocaust Remembrance Alliance) von 2019, die wissenschaftlich umstritten sei. Sie sei unpräzise und enthalte auch unklare Aussagen zur Kritik am Staat Israel. Auch die Klausel in Schleswig-Holstein stützt sich auf die IHRA-Definition.
Frau Prien, wie lange gibt es die Antisemitismus-Klausel schon in Schleswig-Holstein?
Karin Prien: Das Thema "Bekämpfung des Antisemitismus" ist nicht erst seit dem 7. Oktober auf der Tagesordnung, sondern das ist ein Problem, das sich in den vergangenen Jahren verschärft hat. Deshalb haben wir bereits mit Wirkung zum 1. Juni 2023 in unsere Projektförderrichtlinien eine entsprechende Klausel aufgenommen. Für uns ist Voraussetzung für die Zuwendung von öffentlichen Mitteln, dass sich entsprechende Antragsteller unter anderem bekennen, sich gegen den Antisemitismus gleich welcher Art zu stellen.
In Berlin protestieren Künstlerinnen und Künstler dagegen, dass die Klausel auf Basis der sogenannten IHRA-Definition eingeführt worden ist. Diese sei nie für eine rechtsverbindliche Verwendung in der Behördenpraxis bestimmt gewesen. Können Sie diese IHRA-Definition kurz erklären?
Prien: Auch wir stützen uns auf die entsprechende Definition der "International Holocaust Remembrance Alliance", die von der Bundesregierung und vom Deutschen Bundestag als die maßgebliche Definition von Antisemitismus bestätigt worden ist. Das bedeutet konkret, dass die entsprechenden Antragsteller, wenn sie einen Antrag auf die Förderung von Kulturprojekten stellen, sich auch zu dieser Definition im Antragsformular bekennen müssen.
Sie sind ja selbst jüdisch. Deckt sich denn ihre persönliche Antisemitismus-Definition mit dieser offiziellen der IHRA?
Prien: Die IHRA-Definition lautet, dass Antisemitismus eine bestimmte Wahrnehmung von Juden ist, die sich als Hass gegenüber Juden ausdrücken kann. Der Antisemitismus richtet sich in Wort und Tat gegen jüdische oder nicht-jüdische Einzelpersonen oder deren Eigentum sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen oder religiöse Einrichtungen. Darüber hinaus kann auch der Staat Israel, der dabei als jüdisches Kollektiv verstanden wird, Ziel solcher Angriffe sein. Es ist die Definition, die aus meiner Sicht, die bisher zutreffendste ist. Ich halte es für sinnvoll, dass wir uns hier in Deutschland, sowohl von Seiten der Regierung, der Parlamente als auch von Seiten der Behörden auf eine gemeinsame Definition verständigen.
Es geht ja auch um die Frage: darf Kritik am Staat Israel sein und die Frage, wie damit die diese Definition umgeht? Wie sehen Sie das?
Prien: Die Definition sagt sehr klar, dass es nur dann eine antisemitische Äußerung ist, wenn Kritik am Staat Israel als jüdisches Kollektiv stattfindet. Selbstverständlich ist Kritik am Staat Israel - beziehungsweise an der jetzt gerade bestehenden Regierung des Staates Israel - immer möglich und legitim. Aber wenn Kritik am Staat Israel als jüdisches Kollektiv geübt wird, sieht die Situation anders aus.
Frau Prien. Wie beurteilen Sie den Vorwurf von Künstlerinnen und Künstlern, mit dieser Klausel würde eine Gesinnungsprüfung eingeführt?
Prien: Ich bin ein bisschen erstaunt darüber, dass es häufig die gleichen Menschen sind, die sich in anderen Kontexten sehr schnell darauf berufen, dass etwa Identitäten bestimmter Gruppen verletzt werden. Sei es nur durch Verwendung einer bestimmten Sprache, oder bestimmter Ausdrücke. Beim Thema Antisemitismus haben sie plötzlich eine sehr dicke Haut. Meinungsfreiheit und Kunstfreiheit bedeuten nicht, dass man die Rechte, insbesondere die Grundrechte, anderer verletzen darf. Hier ist eine Grundrechtsabwägung erforderlich. Volksverhetzung ist ohnehin eine Grenze und aus meiner Sicht ist auch der Antisemitismus eine Grenze, die einzuhalten ist.
Viele befürchten, Deutschland würde als attraktiver Standort der Kultur leiden. Viele internationale Künstlerinnen und Künstler besonders aus Ländern, die israelkritisch sind, würden durch die Klausel ausgegrenzt. Wie geht man denn in Schleswig-Holstein damit um?
Prien: Erfreulicherweise gibt es in Schleswig-Holstein diese Debatten in der Öffentlichkeit kaum oder gar nicht. Wir haben einen großen Konsens in unserem Land, dass das Einstehen gegen Antisemitismus eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist. Ich halte dieses Argument, dass wir als Standort von Kunst und Kultur deshalb unattraktiv werden, wirklich für an den Haaren herbeigezogen. Es ist unser gutes Recht, aus unserer historischen Verantwortung heraus, hierzu eine Haltung einzunehmen. Bei uns ist jeder willkommen. Kunstfreiheit geht sehr weit, auch unter Berücksichtigung der IHRA-Definition. Aber es gibt eben Grenzen. Gerade im Lichte der Ereignisse des 7. Oktobers und der öffentlichen Debatte darauf, halte ich für geboten, dass wir hier auch weiter klare Haltung beziehen.
Trotzdem noch mal die Frage Frau Prien, wie das konkret in der Praxis aussieht. Müssen Gastmusikerinnen und Gastmusiker - beispielsweise aus Israel-kritischen Ländern - so eine Klausel unterschreiben, bevor sie auftreten? Oder obliegt das den Veranstalterinnen und Veranstaltern, dafür zu sorgen, dass sie das im Blick haben?
Prien: Die müssen das im Blick haben. Das ist eine Frage der Governance und das muss man doch immer. Jeder, der Verantwortung für Veranstaltungen übernimmt, wird sich immer anschauen müssen: Wofür stehen die einzelnen Persönlichkeiten? Das war auch in der Vergangenheit nicht anders und wir reden hier über Förderrichtlinien des Landes für öffentliche Zuwendungen. Natürlich muss ein Künstler, der hier einen Gastauftritt hat, das nicht unterschreiben. Aber der Veranstalter übernimmt dafür natürlich Verantwortung und das ist auch richtig so.
Wie kann man da für eine Rechtssicherheit sorgen? Das Bekenntnis gegen Antisemitismus ist wichtig und gut gemeint, aber nicht rechtsverpflichtend. Es dürfte also auch nicht mit konkreten Sanktionen belegt werden. Ist das dann ein Widerspruch?
Prien: Aus seiner Sicht ist es das nicht. Wir haben an den Debatten über die Documenta gesehen, dass das eben eine klassische Aufgabe der Leitung eines Festivals ist, diese Verantwortung entsprechend wahrzunehmen.
Das Gespräch führte Friederike Westerhaus bei NDR Kultur.