Nordkirche will Missbrauchsfälle konsequent aufarbeiten

Stand: 23.02.2024 13:35 Uhr

Vor knapp vier Wochen hatten Forschende in einer Studie mehrere Tausend Fälle von sexuellem Missbrauch in der evangelischen Kirche offen gelegt. Auf ihrer Landes-Synode in Travemünde berät die Nordkirche über Konsequenzen.

von Sören Gerhardt

Das erste Schuldeingeständnis gab es schon gleich zu Beginn des Auftakt-Gottesdienstes. Bischöfin Nora Steen eröffnete mit den Worten: "Wir sind keine sichere Kirche. Trotz aller Maßnahmen. Trotz aller, die sich bemüht haben. Wir haben Täter geschützt, in dem wir die Institution bewahren wollten." Sie machte damit deutlich, dass "wir das nicht verschweigen oder verdrängen wollen, sondern mit diesem Thema auch ganz bewusst in die Gottesdienste gehen".

Das Bekanntwerden der Missbrauchsfälle war auch erster Tagespunkt bei der anschließenden Landessynode. "Wie Pastoren den Begriff Liebe so dermaßen verbogen und missbraucht haben, dass ihre persönliche Begierden mit dem Begriff der göttlichen Liebe vermanscht wurden. Das müssen wir aufarbeiten", forderte der Pinneberger Propst Thomas Drope. "Seit vielen Jahren beschäftigt mich, dass es Situationen gab, die an Grenzen gegangen sind oder auch darüber hinaus. Auch in meiner eigenen Vergangenheit, in diesen Freizeiten. Ich hatte damals ein Unwohlsein und muss bekennen: Ich habe nichts gesagt und nichts gemacht", erklärte der Synodale Arne Gattermann.

Weitere Informationen
Ein Flyer zu einem Gottesdienst auf dem steht "Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe". © Hauke Bülow Foto: Hauke Bülow

Nordkirche spricht in Travemünde über Missbrauchsfälle

Im Zentrum steht eine Studie, die tausende Fälle offenlegt. Schon der Auftakt-Gottesdienst begann mit einem Schuldeingeständnis. mehr

"Auf manches nicht gut genug hingehört"

Es geht in der Nordkirche um 124 Betroffene, 58 Beschuldigte, davon 33 Pastoren. Noch sei unklar, ob es sich auch um Straftaten handelt. Ulrike Hillmann, Präses der Landessynode sagte: "Ich bin wütend auf die Kerle, die in unserer Kirche Frauen und Kindern Leid zugefügt haben, deren Lebenswege zerstört haben. Und ich bin zugleich zutiefst beschämt, dass es so bei uns möglich war, dass wir auf manche Hinweise nicht gut genug hingehört haben."

Das räumte auch Rainer Kluck, der Präventionsbeauftragte der Nordkirche, ein: "So im Grobem haben wir das gewusst. Aber was die Stärke der Studie ist, dass sie uns noch einmal genaue Zusammenhänge aufzählt, Herleitungen gibt, Hintergründe aufzeigt, die wir aus der Praxis so noch nicht entdeckt haben."

Weitere Informationen
Ein Opfer von sexualisierter Gewalt steht hinter einem Vorhang. © picture alliance/dpa/Ole Spata Foto: Ole Spata

Kommentar zur Missbrauchsstudie: Es geht nicht nur um Zahlen!

Mindestens 2.225 Kinder sind seit 1946 in der evangelischen Kirche missbraucht worden. Ein Kommentar von Florian Breitmeier. mehr

Aufarbeitung nur gemeinsam mit den Betroffenen

Die Hauptkritik der Betroffenen: Es wurde bisher nicht mit ihnen, sondern nur über sie gesprochen. Landesbischöfin Kristina Kühnbaum-Schmidt will das ändern: "Ich möchte ganz deutlich betonen, dass bei allem, was wir tun, die Sicht der Betroffenen maßgeblich sein wird." Deshalb soll es noch in diesem Jahr Beteiligungsforen für Betroffene geben. Sie sollen Mitspracherecht bei der Aufarbeitung bekommen. Einige hatten außerdem kritisiert, dass die mehr als 800 Seiten lange Studie zu kompliziert sei. Schon bald soll es eine vereinfachte Ausführung geben.

Weitere Informationen
Mehrere Bibeln und Gesangsbücher stehen bei Kerzenschein in einer Kirche. © NDR Foto: NDR

Missbrauchsstudie: Betroffene kritisieren Kirche

Die evangelische Kirche müsse handeln, fordern Betroffene aus Schleswig-Holstein. Viele Teile der Studie sind für sie nur schwer verständlich. mehr

Hannover: Detlev Zander, Mitglied im Beirat des Forschungsverbundes und Sprecher der Betroffenenvertretung im Beteiligungsforum der EKD, zeigt das Ergebnis einer Studie zum Missbrauch in der evangelischen Kirche. © dpa-Bildfunk Foto: Julian Stratenschulte

Missbrauchsstudie: Reaktionen aus evangelischen Kirchengemeinden

Gläubige Kirchgänger reagieren wütend und beschämt auf die Studie. Viele fordern mehr Selbstkritik und geänderte Strukturen. mehr

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Schleswig-Holstein Magazin | 22.02.2024 | 19:30 Uhr

Hände halten ein Smartphone auf dem der News-Channel von NDR Kultur zusehen ist © NDR.de

WhatsApp-Channel von NDR Kultur: So funktioniert's

Die Kultur Top-News aus Norddeutschland direkt aufs Smartphone: NDR Kultur ist bei WhatsApp mit einem eigenen Kanal aktiv. mehr

Eine Grafik zeigt einen Lorbeerkranz auf einem Podest vor einem roten Hintergrund. © NDR

Legenden von nebenan: Wer hat Ihren Ort geprägt?

NDR Kultur erzählt die Geschichte von Menschen, die in ihrer Umgebung bleibende Spuren hinterlassen haben - und setzt ihnen ein virtuelles Denkmal. mehr

Der Arm einer Frau bedient einen Laptop, der auf einem Tisch in einem Garten steht, während die andere Hand einen Becher hält. © picture alliance / Westend61 | Svetlana Karner

Abonnieren Sie den NDR Kultur Newsletter

NDR Kultur informiert alle Kulturinteressierten mit einem E-Mail-Newsletter über herausragende Sendungen, Veranstaltungen und die Angebote der Kulturpartner. Melden Sie sich hier an! mehr

NDR Kultur App Bewerbung © NDR Kultur

Die NDR Kultur App - kostenlos im Store!

NDR Kultur können Sie jetzt immer bei sich haben - Livestream, exklusive Gewinnspiele und der direkte Draht ins Studio mit dem Messenger. mehr

Mann und Frau sitzen am Tisch und trinken Tee. © NDR Foto: Christian Spielmann

Tee mit Warum - Die Philosophie und wir

Bei einem Becher Tee philosophieren unsere Hosts über die großen Fragen. Denise M‘ Baye und Sebastian Friedrich diskutieren mit Philosophen und Menschen aus dem Alltag. mehr

Mehr Kultur

Bunte Urnen stehen im Regal © NDR.de Foto: Tabea Pander

Wandel der Bestattungskultur: Trauerarbeit darf bunt sein

Beerdigungen müssen nicht immer mit der Farbe Schwarz zusammengebracht werden. Patricia Hansen aus Jesteburg gestaltet Urnen und Särge mit viel Farbe. mehr

Das Logo von #NDRfragt auf blauem Hintergrund. © NDR

Umfrage zum Fachkräftemangel: Müssen wir alle länger arbeiten?