New-Adult-Bücher: "Die Qualität lässt oft zu wünschen übrig"
"Junge Menschen lesen nicht mehr" - dieser Satz stimmt nicht mehr. Die Hoffnung der Buchbranche sind Zwölf- bis 29-Jährige - hier gibt es die größten Wachstumsraten. "New Adult" heißt das Zauberwort der Verlage.
Ein Gespräch mit der NDR Jugendbuch-Expertin Katharina Mahrenholtz über die Entwicklung des Jugendbuchmarkts.
Frau Mahrenholtz, was verbirgt sich hinter dem Begriff "New Adult"?
Katharina Mahrenholtz: Das kann man übersetzen mit "Bücher für neue Erwachsene", also 18- bis 25-Jährige, die mit der Schule fertig sind, vielleicht angefangen haben zu studieren, erste Erfahrungen im Job machen und die ersten ernsthafteren Beziehungen haben. Das schließt im Grunde die Lücke zwischen Jugend- und Erwachsenenliteratur. Die Protagonisten sind zwischen 20 und 30, und die Genres sind vor allem Romance und Romantasy, also Liebe und ein Mix aus Liebe und Fantasy.
Das Ganze ist unglaublich beliebt. Social Media spielt dabei eine große Rolle: Influencer*innen erzählen da von ihren liebsten Büchern des Genres. Das führt auch zu einer Verschiebung innerhalb der Branche: Wer hat die Macht, zu empfehlen? Wer zeigt an, was gefällt und was die Fans sich kaufen sollen? Was passiert jetzt, wo sich diese Macht verschiebt?
Mahrenholtz: Tatsächlich haben Book-Influencer inzwischen Follower im sechsstelligen Bereich, und die haben richtig viel Einfluss. Das heißt, die Deutungshoheit in diesem Genre liegt nicht mehr beim Feuilleton, sondern bei den Leserinnen und Lesern. Die feiern nicht das erzählerische Experiment, beeindruckende Metaphern, Perspektivenvielfalt oder ein Jonglieren mit Genres - die wollen in erster Linie unterhalten werden. Das wurde am Anfang ein bisschen belächelt - jetzt ist das ein Riesen-Marktfaktor für die Branche. Die gesamte Branche hat inzwischen erkannt, was der Zielgruppe wichtig ist: Die wollen ihr Hobby wirklich feiern und kommen deshalb in Scharen zu Lesungen ihrer Lieblingsautor*innen. Die wollen Autogramme, die wollen Selfies - das sind richtige Events. Diese jungen Bücherfans wollen das Buch auch als schönes Objekt feiern, es präsentieren, eine Sammlung anlegen. Deswegen investieren Verlage inzwischen viel mehr in Gestaltung: Es gibt schöne Cover mit Gold und Glitzer und geprägten Titeln drauf, auch limitierte Auflagen mit richtig aufwendigen Farbschnitten. Da hat sich das Bild komplett verschoben.
Es wirkt, als ob die Kritik an diesen New-Adult-Büchern - dass die Qualität nicht gut sei und sie sogar eine Gefahr für das literarische Jugendbuch darstellten - ein bisschen wie eine beleidigte Leberwurst daherkommt. Player, die früher meinungsbildend waren, auf die man gehört hat, haben an Einfluss verloren. Sind die einfach nur beleidigt oder hat die Kritik auch Recht?
Mahrenholtz: Jein. Die Qualität lässt tatsächlich oft zu wünschen übrig, was bei der Masse an den neuen Titeln nicht verwunderlich ist. Ich habe schon den Eindruck, dass viele Manuskripte, die früher bestenfalls als E-Book im Selbstverlag erschienen wären, jetzt relativ lektoratsfrei als der nächste Romance-Toptitel gehandelt und präsentiert werden. Wenn ich die Verlagsvorschauen durchgucke, sehe ich zunehmend Vampire, Drachen, Werwölfe, Liebe, Farbschnitt und rosa-, lila- oder pinkfarbene Cover, bevor dann die tatsächlich literarischen Titel kommen. Ich finde es toll, dass es diese Bücher gibt, sie geben dem Genre ein Gewicht, das es wirklich verdient. Im besten Fall finanzieren die Verlage mit den Auflagen, die sie mit diesen Büchern erreichen, das literarische Programm.
Was ich aber wirklich problematisch finde: Man kann oft nicht zwischen New Adult und Young Adult unterscheiden, zwischen Büchern für junge Erwachsene ab etwa 17, 18 und Büchern für Jugendliche ab 14.
Was ist daran das Problem?
Mahrenholtz: Zum Beispiel, wenn es in dem New Adult-Buch explizite Sexszenen gibt - und die gibt es da ziemlich oft. Bei der Masse an rosaroten Titeln kommen die Buchhändler*innen - schätze ich mal - nicht mehr dazu, alle zu lesen, um sie dann entsprechend zu empfehlen. Wenn man auf die BookTok-Bestsellerliste guckt, steht im Moment auf Platz zwei "A Good Girl's Guide to Murder", ein super Krimi für Jugendliche ab 14 - und auf Platz vier steht "Icebreaker", eine Love-Story zwischen einem Eishockeyspieler und einer Eiskunstläuferin. Das Cover sieht super harmlos aus, aber das Buch ist im Grunde ein Softporno. Der sehr dürftige Plot dient nur als Überleitung von einer extrem expliziten Sexszene zur nächsten. Das würde ich auf gar keinen Fall einer 14- oder 15-Jährigen schenken.
Brauchen wir wieder so einen Sticker wie früher bei den CDs und Alben mit explizitem Inhalt, oder was könnte die Lösung sein?
Mahrenholtz: Es gibt Triggerwarnungen in Büchern, und das Buch "Icebreaker" hat sehr viele Triggerwarnungen: Essstörung, Gewalt gegen Frauen und so weiter. Aber da steht nirgendwo: "sehr explizite Sexszenen". Vielleicht muss man das da auch draufschreiben. Ich würde nicht sagen, dass jedes New Adult auf keinen Fall von 14-Jährigen gelesen werden kann, aber nicht umsonst haben Jugendbücher eine Altersempfehlung. Dann müsste man als Buchhändler sagen: Dieses Buch hat keine Altersempfehlung - möglicherweise ist das kein Jugendbuch.
Das Gespräch führte Charlotte Oelschlegel.