Kommentar zu Kirchenaustritten: Die Kirche muss Macht teilen
Die katholische Kirche verzeichnet bundesweit und in Niedersachsen ein Rekordhoch an Austritten. Missbrauchsskandale und fehlende Reformbereitschaft machen die Kirche für viele zunehmend unattraktiv.
Ein Kommentar von Florian Breitmeier
Es sind desaströse Zahlen und Statistiken des steten Niedergangs, die die römisch-katholische Kirche vorgelegt hat. Mehr als 520.000 getaufte Katholikinnen und Katholiken wollten im vergangenen Jahr nicht mehr Mitglied der Kirche sein, sind gegangen. Binnen vier Jahren hat sich die Austrittszahl damit quasi verdoppelt. Die Erosion kirchlichen Lebens auf allen Ebenen verstärkt sich. Längst treten auch Menschen aus, die lange Jahre in den Gemeinden hoch engagiert waren. Doch die Missbrauchsskandale, der allzu lange verheerende Umgang damit und Enttäuschungen über das Tempo katholischer Reformbereitschaft lassen vielen Gläubigen offenbar keine andere Wahl. Statt unter dem Dach der Kirche leben sie notgedrungen lieber obdachlos.
Getauft und doch heimatlos
Eine Institution, die einst auch Heimat war, ist ihnen fremd geworden. Der Synodale Weg als großes Reformprojekt der katholischen Kirche ist an seine Grenzen gestoßen - beim Papst, weltkirchlich und in den deutschen Ortsgemeinden. Einst im emsländischen Lingen aus der Taufe gehoben, hat er nicht verhindern können, dass die institutionellen und persönlichen Bindungskräfte immer dramatischer nachlassen.
Bistum Osnabrück: Schwere Fehler im Umgang mit sexualisierter Gewalt
Ein Beispiel dafür liefert das Bistum Regensburg. Dort sitzt mit Rudolf Voderholzer einer der entschiedensten Reformverweigerer und Gegner des Synodalen Weges. In seinem Bistum sind die Austrittszahlen bundesweit prozentual am stärksten gestiegen: um mehr als 70 Prozent. Wer sein Feld nur nach dogmatischen Prinzipien bestellt, wird am Ende Austritte ernten. Aber auch im Bistum Osnabrück, dem jahrzehntelang ein reformfreudiger Bischof vorstand, sind die Austrittswerte erschreckend hoch. Bischof Franz-Josef Bode hat schwere Fehler im Umgang mit Fällen sexualisierter Gewalt gemacht.
Bode-Rücktritt auch Reaktion auf Austritte?
Mutmaßlich hat sein Rücktritt auch mit den stark steigenden Austrittszahlen in seinem Bistum zu tun: Sie waren bereits absehbar, als Bode beim Papst sein Rücktrittsgesuch einreichte. Enttäuschungen und Verletzungen allenthalben. Die Austrittszahlen legen es schonungslos offen: Die Sozialgestalt der Kirche verändert sich rasant. Sie wird kleiner und ärmer werden. Angebote für Menschen werden eingestellt und Gebäude aufgegeben. Da geht auch viel Gutes, und das schmerzt viele.
Alternativen für die Kirchensteuer
Und nun? Es ist nicht die Zeit der großen Masterpläne, sondern die Zeit für mutige Ideen zugunsten kleiner Projekte und Initiativen. Für die Kirchen wird es in der Zukunft vor allem darum gehen, Macht zu teilen, damit viele Gestaltungsmacht ausüben können, in der Kirche, im Dorf, im Kiez oder Quartier. Das Denken in Netzwerken wird noch wichtiger.
Sicher: das Geld aus der Kirchensteuer schafft Sicherheit, kann aber auch Kreativität ersticken, weil der Veränderungsdruck betäubt wird, solange die Einnahmen verlässlich sprudeln. Weil aber die Akzeptanz der Kirchensteuer auch unter den Mitgliedern zunehmend schwindet, sind alternative Stiftungsmodelle gefragt. Temporäre Projektförderungen, auch Entlastungen bei der Kirchensteuer wären denkbar, zum Beispiel für Familien in der finanziell anstrengenden und zeitknappen "rush hour" des Lebens.
Suchgemeinschaften nach Hoffnung
Die Kirchen wären gut beraten, künftig stärker als offene Suchgemeinschaften für Menschen aufzutreten, die sich nach Spiritualität und konkretem Engagement für die Schwächsten sehnen. Aber wer als Institution dauerhaft in der Krise steckt, mit sich selbst beschäftigt ist, der wirkt halt wenig einladend. Dabei ist klar:
Angebote für Kinder und Jugendliche in den Gemeinden, die Arbeit in Kindergärten und Schulen, attraktive Sinnorte für Suchende und Zweifelnde werden über die Zukunft der Kirche entscheiden. Auch in dieser Hinsicht gilt: Da geht was. Noch.