Kirchenaustritte: So halten es NDR Hörer*innen mit der Kirche

Stand: 27.06.2023 16:21 Uhr

Was haben unsere Hörer*innen für Erfahrungen mit der Kirche gemacht - und was könnte ihrer Ansicht nach der Grund für den Mitgliederschwund sein? Wir haben viele Nachrichten zu diesem Thema erhalten.

Ein älterer Mann sitzt alleine in der Kirche © imago
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von Severine Naeve

Von 2001 bis 2021 haben laut Daten der Evangelischen Kirche Deutschland und der Deutschen Bischofskonferenz die beiden großen Kirchen im Norden rund ein Viertel ihrer Mitglieder verloren. Und das liegt nicht nur am demografischen Wandel - auch die Kirchenaustritte sind in den vergangenen Jahren massiv angestiegen.

"Der Austritt bedeutet nicht die Abkehr vom Glauben"

Über Politik und Religion spricht man nicht - so heißt es oft als Regel für einen entspannten zwischenmenschlichen Umgang. Doch viele Menschen im Norden haben durchaus das Bedürfnis, sich zumindest mit dem Thema Religionszugehörigkeit zu beschäftigen - und ihre Erfahrungen mit den beiden großen Kirchen im Norden zu teilen.

"Ich bin vor einigen Jahren nach Abschluss meiner Tätigkeit als Kirchenvorsteherin aus der Kirche ausgetreten", erzählt NDR Kultur Hörerin Ulli aus dem Landkreis Nienburg in Niedersachsen. "Die Gründe waren der Umgang des Kirchenkreises mit unserer kleinen, aber sehr aktiven Gemeinde im ländlichen Raum. Vor allem aber die Verschlechterung der Arbeitsbedingungen des Inhabers unserer Fachstelle. Der Austritt selbst bedeutet für mich jedoch nicht die Abkehr von christlichen Werten oder die Abkehr vom Glauben."

Die positive Beantwortung der berühmten Gretchenfrage "Und wie hältst du es mit der Religion" geht also nicht zwingend einher mit einer Kirchenmitgliedschaft.

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"Ich bin sehr begeistert, dass ich in dieser Gemeinde aktiv sein darf"

Ricarda Sievers aus Hildesheim Ochtersum engagiert sich dagegen noch sehr aktiv in ihrer evangelischen Kirchengemeinde. Dort werden zahlreiche Aktivitäten geboten, in die sie auch selbst mit eingebunden ist: "Die Bibelarbeit, Tanzen im Kreis, Besuchsdienst für neu Zugezogene, Frauengruppen. Eine besonders schöne Einrichtung ist das Cafe Luca, das hauptsächlich durch Ehrenamtliche betrieben wird - mittlerweile ein sehr beliebter Treffpunkt. Dann gibt es den Sonntagnachmittagsspaziergang für Menschen, die vielleicht etwas einsam sind, den ich auch mitleite. Ich bin sehr begeistert, dass ich in dieser Gemeinde aktiv sein darf."

Oft genannter Kritikpunkt: Der Umgang mit Missbrauchsfällen

So positiv das Leben in den kleinen Kirchengemeinden im Norden oft geschildert wird: Es gibt auch viel Kritik an den kirchlichen Institutionen, vor allem an grundlegenden Entscheidungen. Thomas Adelheide nennt auf unserem Social Media-Kanal die Missbrauchsfälle als wichtigsten Kritikpunkt. Er sieht eine Chance für die Kirchen nur in grundlegenden Reformen. Er schreibt: "Tausende von Fällen aktiv aufklären, die Täter vor ein irdisches Gericht stellen, den unzähligen Opfern eine Stimme geben. Gelichgeschlechtliche Liebe akzeptieren, zu strukturellem Laizismus zurückfinden, die Rolle der Frau neu denken. (...) Solange sich die katholische Kirche diesen Themen verweigert, wird die Austrittswelle nicht abebben."

Auch "NDR fragt" wollte von der Community des NDR wissen, was denn die Kritikpunkte derjenigen sind, die bereits ausgetreten sind. Die Umfragen sind zwar nicht repräsentativ, aber gewichtet. So werden möglichst alle Bevölkerungsgruppen im Norden widergespiegelt. Und was ist der Grund für diese, sich von der Kirche abzuwenden? "Viele von ihnen stoßen sich daran, wie Kirchengelder ausgegeben werden und an der Kirchensteuer", so Astrid Wulf aus der "NDR fragt"-Redaktion. "Viele stört der intransparente Umgang der Kirchen mit Missbrauchsfällen. Für viele, die aus der katholischen Kirche ausgetreten sind, waren die Missbrauchsfälle ein wichtiger Grund dafür. Nadine aus Mecklenburg-Vorpommern schrieb uns: 'Die Kirche muss sich auf das konzentrieren, was sie ursprünglich war: eine Quelle des Trostes und der Hoffnung.' Die Kirchenmitglieder in der 'NDR fragt'-Community sehen aber auch Positives: zum Beispiel die Unterstützung bedürftiger Menschen."

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Auch positive Erlebnisse mit der Kirche

Daran knüpft auch ein Erlebnis von NDR Kultur Hörerin Isolde Kock aus Kiel an. Sie hat zwar schlechte Erfahrungen mit Kirchenvertretern gemacht, sowohl bei den Katholiken als auch bei den Protestanten. Aber sie verbindet auch positive Erlebnisse mit der Kirche. Sie hat eine besonders schöne Erinnerung an eine Kirchenbesichtigung in Wismar: "Die Kirche roch nach Essen. Und da hab ich gedacht: Ja! Das muss eigentlich der zentrale Inhalt von Kirche sein. Nicht das Essen, sondern jemanden ernähren. Menschen ernähren, die sich nicht selbst ernähren können. Und das bezieht sich ja auch auf geistige Nahrung. Aber willkommen zu sein, das war sofort ein Signal, das mir entgegen kam."

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