Karikaturen: "Kritischer Seismograf für aktuelle Entwicklungen"
Seit dem 1. Februar 2023 ist Eva Jandl-Jörg die Direktorin des Museums Wilhelm Busch in Hannover. Im Interview mit NDR Kultur spricht die gebürtige Österreicherin über die Relevanz von Karikatur in der heutigen Zeit.
Karikaturen leisten einen wichtigen Beitrag zur Meinungsbildung, sagt die promovierte Kulturwissenschaftlerin. Ein Gespräch über Cartoons in Tageszeitungen, im Internet und den Zugriff auf die Jugend.
Frau Jandl-Jörg haben Sie eine Lieblingskarikatur?
Eva Jandl-Jörg: Nein! Es gibt ganz unterschiedliche Formen und Typen von Karikaturen. Da bin ich relativ frei in der Auswahl, deswegen habe ich keine Lieblingskarikatur und übrigens auch keinen Lieblingskarikaturisten bzw. -karikaturistin.
In der heutigen Zeit verbreiten sich Informationen und Bilder immer schneller, unter anderem auch über die sozialen Medien. Welchen Stellenwert haben Karikaturen in der heutigen Zeit mit Blick auf die öffentliche Meinungsbildung?
Jandl-Jörg: Die Karikatur ist grundsätzlich gerade in Krisenzeiten ein großartiges Medium, um Inhalte mit einer möglichst großen Wirkung zu verbreiten. Die Schwierigkeit dabei ist, die Karikatur ins Netz zu bekommen. Die Tagespresse stellt oft ihren großen Cartoon des Tages online. Es gibt genügend Zeichnerinnen und Zeichner, die selbst auf ihren Internetseiten tagesaktuelle Cartoons online stellen. Es gibt auch auf Plattformen wie Instagram und Facebook Comics im Netz. Was uns fehlt, ist aber der Zugriff auf die Jugend, die keine Tageszeitungen mehr liest. Das ist anders als früher, als man die Karikaturen schon am Frühstückstisch über die Tagespresse serviert bekommen hat.
Ist die Tagespresse noch der Hauptausspielweg für Karikaturen?
Jandl-Jörg: Auf jeden Fall! Es gibt auch eine Szene der Comic-Freunde und -Freundinnen, die natürlich noch einmal mit fachspezifischen Zeitschriften etc. anders vernetzt ist. Aber wenn es um tagesaktuelle und politische Karikaturen geht, dann ist es immer in der Nähe der tagesaktuellen Presse angesiedelt. Das hängt natürlich auch davon ab, wie die jeweilige Zeitung ihren Internet-Auftritt gestaltet, ob Karikaturen dort verbreitet werden.
Welche Relevanz hat Ihrer Meinung nach die Karikatur in der heutigen Zeit?
Jandl-Jörg: Ich finde sie sehr wichtig. Der Vorzug der Karikatur ist, dass sie auch ohne Text funktioniert. Wir haben global betrachtet viele ähnliche Probleme - so wie Krisen und Kriege. Es gibt bei der Karikatur keine Sprachbarrieren, was ein unheimlicher Vorzug ist. Außerdem schafft es die Karikatur immer wieder, bedrückende Inhalte so zu vermitteln, dass man nicht ganz den Kopf in den Sand stecken muss, aber reflektiert, ins Nachdenken kommt und eine andere Sichtweise auf ein Geschehen erhält. Wir müssen uns aber überlegen - und das ist auch unsere Aufgabe hier im Haus - wie wir die Karikatur wieder flächendeckend in die Gesellschaft bekommen.
Ich trenne beispielsweise auch nicht die gezeichnete Karikatur von der gesprochenen Satire. Gott sei dank gibt es Formate wie Böhmermann oder Extra 3, die auch die Jugend erreichen. Es geht darum, sich kritisch mit den aktuellen Bewegungen der Welt zu befassen. Ich glaube, gemeinsam können wir es schaffen, ein kritischer Seismograf für die aktuellen Entwicklungen zu sein. Ich sehe es als Aufgabe von uns Kulturschaffenden, der Bevölkerung ein möglichst breites Spektrum an Ansichten und Blicken zur Verfügung zu stellen, damit sie sich ihre eigene Meinung bilden kann - ganz im Sinne der demokratischen Gesellschaft und Gemeinschaft.
Wir leben in einer zunehmend diversen Gesellschaft, um Karikaturen zu verstehen, braucht man oft viel Hintergrundwissen bzw. ein umfassendes Verständnis von einer Gesellschaft und einer Kultur. Ist das für die Karikaturistinnen und Karikaturisten eine Herausforderung?
Jandl-Jörg: Das glaube ich nicht, denn der Vorteil von Karikaturen ist, dass sie oft auf mehreren Ebenen arbeiten. Es gibt also oft eine ganz einfach Ebene, die für jeden sofort verständlich ist, auch ohne eine große Vorbildung. Für die mittlere Ebene benötigt man dann schon etwas mehr Wissen und wenn es eine sehr ansprechende und subtile Arbeit ist, dann gibt es vielleicht noch eine dritte oder vierte Ebene, für die Sie dann Spezialwissen brauchen.
Grundsätzlich mache ich mir keine Sorgen darüber, dass eine Karikatur nicht verstanden wird, denn sie werden anders verstanden. Das sehen wir zum Beispiel bei Führungen in unserem Haus, wie unterschiedlich Karikaturen wahrgenommen werden. Der eine findet sie total lustig und der andere ganz entsetzlich. Die individuelle Aufnahme einer Karikatur ist immer sehr vielfältig.
Es gibt einige Karikaturen, die in unserem Kulturkreis wirklich sehr bekannt sind. Zum Beispiel "Der Lotse geht von Bord" zum Dienstende Otto von Bismarcks oder das Cover der französischen Satire-Zeitschrift Charlie Hebdo "Tout est pardonné" nach dem schrecklichen Terror-Anschlag auf die Redaktion. Wann kann eine Karikatur so eine Strahlkraft entwickeln?
Jandl-Jörg: Das sind eher Einzelfälle und es kommt auf die Umstände an. Es hängt stark von dem Ereignis ab, um das es geht. Wurde weltweit oder deutschlandweit darüber in den Medien berichtet? Oft tragen unterschiedliche Formate dazu bei, dass sich Dinge einbrennen. Also wenn ein Thema zusätzlich zur Berichterstattung in den Medien auch noch im Netz Beine kriegt, Social Media spielt dabei eine wichtige Rolle. Es muss um ein Thema gehen, dass die Menschen sehr mitnimmt - es kann sehr lustig oder traurig sein, oder auch ein aktueller Netztrend. Es lässt sich wirklich nicht vorhersagen, welche Themen am Ende das Potenzial dafür haben.
Als Sie im vergangenen Jahr als Direktorin im Museum Wilhelm Busch angetreten sind, haben Sie sich auch auf die Fahne geschrieben, mehr jüngere Menschen erreichen zu wollen. Sind die mit Karikaturen noch vertraut und was braucht es, um jüngere Menschen mit Karikaturen zu erreichen?
Jandl-Jörg: Sie sind teilweise mit Karikaturen vertraut, vor allem wenn man Comics und Graphic Novels miteinbezieht. Damit ist die Jugend besser anzusprechen, als mit einer politischen Einzelkarikatur. Auch Themen, die näher an der Lebenswelt der Jugend dran sind, funktionieren natürlich besser, zum Beispiel in Form einer Graphic Novel illustriert. Jugendliche lesen oft weniger, sind dafür aber sehr bilderaffin. Selbst die Wissenschaft setzt bereits auf sehr sachorientierte Graphic Novels, die aber mit einer großartigen Geschichte gestaltet werden. Der Lerneffekt geschieht nebenbei, egal ob es historische oder persönliche Themen sind, wie beispielsweise die Isolation während der Corona-Pandemie. Über diese Schiene können wir die Jugendlichen gut in unser Haus bekommen.
Wir haben das Glück, dass Wilhelm Busch als einer der Urväter des Comics gilt und wir auf einen sehr großen Bestand bei uns am Haus zurückgreifen können. Wir haben einen Raum im Museum eingerichtet, in dem wir die Entstehung des Comics aufgreifen und wollen auch einen Comic-Lese-Raum einrichten. Außerdem streben wir als privates Haus an, Jugendlichen bis zum Alter von 18 Jahren einen freien Eintritt zu genehmigen. Das Ziel ist es, immer aktuelle Comics, Graphic Novels und Karikaturen bei uns im Haus bereitzuhalten, die dann angeschaut werden können.
Ebenso möchten Sie Ihr Publikum diverser machen, wie wollen Sie das angehen?
Jandl-Jörg: Die Vorgängerschaft hatte bereits begonnen, das Haus für Familien zu öffnen. Das ist mir sehr wichtig. Aber Jugendliche spalten sich dann eben doch oft ab und gehen ihre eigenen Wege. Deswegen versuchen wir gezielt, die Jugendlichen alleine anzusprechen - zum Beispiel durch den Leseraum und den freien Eintritt. Für Familien haben wir in Kooperation mit der Stadtbibliothek ein Kinderzimmer eingerichtet, in dem wir aktuelle Kinderbücher und Publikationen zu den Ausstellungsthemen zur Verfügung stellen. Es gibt in jeder Ausstellung einen großen Büchertisch mit Publikationen, die etwas mit der Ausstellung zu tun haben - wir stellen also jede Menge Lesematerial bereit. Darunter historische Sachbücher, Belletristik oder Kochbücher - alles mögliche, was uns in der Recherche über den Weg gelaufen ist. Sodass das Publikum noch viel inhaltliches über die Karikaturen hinaus für sich entdecken kann.
Das Interview führte Anina Pommerenke. Das Museum Wilhelm Busch ist Kulturpartner von NDR Kultur.