MARKK Hamburg: Theater im Museum statt auf der Bühne
Das Museum am Rothenbaum möchte die Wertschätzung für Wissen über Kulturen und Künste der Welt fördern. Nun kommt das Hamburger Performance Kollektiv Glitch in das Museum und bespielt einen Saal.
Immer häufiger verlassen Theater-Ensembles auf der Suche nach mehr Kontakt mit dem Publikum die Bühne. Welche Chancen und Herausforderungen bringt dieser Trend mit sich? Bei der performativen Audioinstallation "Deep Sea Monsters" verlässt das Hamburger Performance Kollektiv Glitch AG den Theaterraum und bespielt Museen - in Norddeutschland etwa das MARKK - Museum am Rothenbaum Kulturen und Künste der Welt. Die Künstlerinnen befassen sich mit der Kolonialzeit und umweltpolitischen Themen, wie Eva-Maria Glitsch, eine der Performance-Künstlerinnen erzählt.
Mit der performativen Audioinstallation "Deep Sea Monsters" verlassen Sie den Theaterraum und die Theaterbühne. Was bedeutet das Verlassen des traditionellen Umfelds für die Art und Weise, wie Sie Theateraufführungen konzipieren und inszenieren?
Eva-Maria Glitsch: Für uns selbst war das gar nicht so ein Verlassen einer vertrauten Umgebung, weil wir bereits seit unserer Gründung Interesse an "experimentelleren" Formaten haben und deswegen auch unterschiedliche Räume und Gegebenheiten gewohnt sind. Der Startpunkt für eine Arbeit ist immer ganz unterschiedlich. Mal interessiert uns ein Thema, dann überlegen wir, welcher Ort passt dazu und welche Umsetzung: mit Text, ohne Text, nur Laute, mit Kopfhörern, ganz analog, nur Bewegung, rein installativ. Oder wir finden beispielsweise einen Ort spannend, dann überlegen wir, was passt zu dem Ort? Was wollen wir damit machen und darüber erzählen? Fast nie macht ein bereits geschriebener Dramentext den Anfang.
Rein praktisch ist es aber so, dass Theaterräume eine andere Infrastruktur haben und natürlich auch Menschen, die die Bedarfe einer Theaterproduktion kennen. Zum Beispiel ist die Öffentlichkeitsarbeit und das Ticketing für ein Theater selbstverständlich. An Orten, die nicht darauf ausgelegt sind, dass jeden Abend eine Veranstaltung stattfindet, müssen dafür explizit Lösungen gefunden werden. Hilfreich ist zum Beispiel auch, dass die meisten Theater eine ganz gute Ausstattung im Bereich Licht haben. An anderen Orten muss genau überlegt werden, wo die Lichter herkommen und wie das Lichtkonzept aussehen soll. Aber das ist gerade auch schön, denn dadurch wird dann das Licht auch nochmal zu einem ganz eigenen künstlerischen Bereich. Ich finde, das sieht man bei Deep Sea Monsters auch.
Inwiefern verändert das Verlassen der traditionellen Bühne die Interaktion mit dem Publikum und damit auch die Zuschauererfahrung und -beteiligung?
Glitsch: Etwas, was uns sehr wichtig ist und was in "Nicht-Theaterräumen" oft intuitiver passiert als in "klassischen" Theaterräumen ist die Art und Weise, wie das Publikum eingebunden wird. Das fängt schon beim Probenprozess an. Bei "Deep Sea Monsters" haben wir im MARKK während der Öffnungszeiten geprobt. Die regulären Museumsbesucher*innen konnten zusehen, wie sich das Stück entwickelt. Mit einigen sind wir ins Gespräch gekommen und die waren dann tatsächlich auch bei den ersten Vorstellungen da. Das ist schon ein sehr schöner und besonderer Kontakt zum Publikum.
Dadurch, dass es keine Tribüne gibt - das Publikum sitzt auf der einen Seite, wir spielen auf der anderen - macht man sich automatisch Gedanken darüber, wo es sitzt und wie es eingebunden werden soll. Unsere Arbeiten sind sowieso davon geprägt, dass wir das Publikum einbeziehen. Aber wenn es, wie bei "Deep Sea Monsters", dann auch an verschiedenen Inseln im Raum platziert sitzt und wir, die Performerinnen, vor, hinter oder zwischen den Inseln agieren, dann wird eine Kontaktaufnahme fast selbstverständlich. Diese Idee, dass wir als Performende etwas aufführen, wird durch ein gemeinsames Erleben ersetzt. Dabei geht es aber nicht darum, dass aus dem Publikum Menschen auf die Bühne geholt werden und mitmachen "müssen", sondern eher, dass sich diese Grenze zwischen Publikum und Performerinnen, Bühne und Tribüne auflöst.
Welcher Herausforderungen und Chancen ergeben sich für Schauspielende, Regisseurinnen und Regisseure, wenn sie die Bühne verlassen?
Glitsch: Eine Herausforderung ist sicherlich, dass man sich um alles kümmern muss. Die gesamte technische Ausstattung muss man meist mitbringen, die Öffentlichkeitsarbeit muss selbst organisiert werden, es gibt keine vorgesehenen Backstage-Räume, wer reißt die Tickets ab? Gibt es überhaupt welche? Aber auf der anderen Seite ist es ja auch manchmal etwas komisch, dass Geschichten und Themen in einem geschlossenen meist schwarzen Raum verhandelt werden, die eigentlich das betreffen, was außerhalb des Raumes passiert. Da ist es ja fast logischer, dorthin zu gehen, wo die Geschichten und Themen auch stattfinden.
Und natürlich ist es eine sehr tiefe und spannende künstlerische Auseinandersetzung, die - so ist es in unserer Arbeit - diese strikten Grenzen zwischen Gewerken wie Regie, Dramaturgie, Schauspiel, Bühne, Musik, Licht usw. aufweicht. Das ist in unserer Arbeit als Kollektiv sowieso so, aber sicherlich auch spannend für Künstler*innen, die es gewohnt sind, in dieser Trennung zu arbeiten. Außerdem kommt natürlich auch ein anderes und neues Publikum, was vielleicht nicht ins Theater gekommen wäre. Bei unseren ersten Vorstellungen waren beispielsweise auch viele Familien da.
Wie integrieren Sie weitere Technologien in das Gesamterlebnis?
Glitsch: Bei "Deep Sea Monsters" arbeiten wir mit Funkkopfhörern. Das ist erstmal praktisch. Denn während wir spielen hat das Museum normal geöffnet und so werden die teilnehmenden der Performance, aber auch die Museumsbesucher*innen nicht gegenseitig gestört, haben aber trotzdem ein physisches Miteinander. Künstlerisch haben wir diesmal mit vorproduzierten und live hergestellten Sounds und Musik gearbeitet. Diese spezielle Mischung wird über die Kopfhörer zu einem besonderen Hörerlebnis. Zum einen umhüllt einen der Sound auf eine andere Art und Weise als wenn er über Lautsprecher im Raum erklingt und zum anderen weiß man manchmal gar nicht mehr, was jetzt live und was vorproduziert ist. Dadurch verschiebt sich das Gefühl für das, was real im Raum stattfindet auf faszinierende Weise.
Warum ist eine Darbietung im Raum Ihrer Meinung nach ein besonderes Erlebnis für das Publikum?
Glitsch: Ich glaube, es geht vor allem um dieses "Mit-dabei-sein" und nicht nur zuschauen.
Die performative Audioinstallation ist am 8. und 9. November 2024 jeweils um 17:00 Uhr im MARKK zu erleben.
Das Interview führte Anina Pommerenke. Das MARKK ist Kulturpartner von NDR Kultur.