Joseph Beuys: Wie der Aktionskünstler die Kunst veränderte
Joseph Beuys veränderte die Kunstvorstellungen der Deutschen durch und durch, indem er sich selbst in Szene setzte.
In den 1960er-Jahren entwickelten Künstler in den USA neue Kunstformen wie Happenings und Aktionen, um sich mit ihrer Arbeit gesellschaftlich einzumischen. In der Bundesrepublik war es vor allem Joseph Beuys, der in zahlreichen Aktionen seine Vorstellungen vom "erweiterten Kunstbegriff" und der "sozialen Plastik" umsetzte und damit herrschende Kunstvorstellungen grundlegend veränderte.
"Das Ganze ist wie eine Sendestation", erklärte Beuys auf der documenta 1968 als er vor zwei Tischen und einigen kleinen Sendern steht und fügte hinzu: "Die Tische werden geladen mit Hochfrequenz-Strom." Die Skulptur als Sendestation. Der Künstler als Sender. Als Heilsbringer.
Beuys erklärte totem Hasen seine Bilder
Nach einigen chaotischen Happenings mit Fluxus-Künstlern wie John Cage oder Nam June Paik, wurde Joseph Beuys 1965 schlagartig mit einer Einzelaktion bekannt: In einer winzigen Düsseldorfer Galerie erklärte er, den Kopf mit Blattgold und Honig beklebt, einem toten Hasen die Bilder. In einer New Yorker Galerie ließ er sich mit Filzdecke und einem langem Kupferstab drei Tage lang mit einem Kojoten einsperren. Und beim Kohlrabischälen erläuterte er, was Kunst ist: "Kunst ist das Element im Weltinhalt, ganz allgemein könnte man sagen, wo der Mensch erfährt, dass es der Punkt ist, aus dem heraus etwas in die Welt kommt."
Mit Fett, Filz und Honig
Mit seinen mythologisch aufgeladenen Aktionen voller Zeichen und Symbole, den gleichfalls aufgeladenen Materialien Fett, Filz, Honig und Kupfer, und begleitet von einem Sprechen in Rätseln, provozierte und spaltete Beuys das Publikum: Die einen waren fasziniert, die anderen ratlos.
"Nun muss ich allerdings sagen, dass ich es nicht als Aufgabe der Kunst ansehe, etwas zu machen, was man verstehen kann", philosophierte Beuys. "Die Kunst hat eben die Aufgabe der Erweckung der kreativen Zentren, die im Menschen noch schlummern."
Jeder soll "soziale Plastik" mitgestalten
Aktionen, Universitätslehre, die Gründung politischer Vereine - für den Anthroposophen Beuys war alles Kunst. Und: Jeder Mensch war ein Künstler, der die "soziale Plastik" genannte Gesellschaft mitgestalten sollte. "Ich habe also versucht, den Kunstbegriff so zu erweitern, dass er jede menschliche Tätigkeit zu umgreifen in die Lage gesetzt wird", hieß das bei Beuys im Original-Ton.
Der geniale Selbstdarsteller veränderte damit die Vorstellung von Kunst grundlegend: In Schottland inszenierte er sich mit Speer, Gelatine und dröhnender Orgelmusik als Gralshüter. Auf einer documenta boxte er gegen bestehende Hierarchien und für direkte Demokratie. Er protestierte mit Studierenden gegen den Numerus Clausus an der Düsseldorfer Akademie. Er plante eine freie Universität für alle, die für 100 Tage von Düsseldorf auf die documenta nach Kassel zog, wo ihre Verfechter mit Besuchern diskutierten.
Beuys' Sprache oft unverständlich
"Politik ist ja für mich kein Begriff", sagte Beuys einst im österreichischen Fensehen: "Politik brauchte es für mich nicht zu geben. Der Gestaltungsbegriff für alle Aufgaben, die die Menschen auf der Erde haben, ist der, der in der Zukunft zum Tragen kommen wird."
Selbst Talk-Shows verwandelte er in Aktionen, wobei er vom Hundertsten ins Tausendste kam und seine Kritiker zur Verzweiflung brachte, weil er verbal radikal, inhaltlich vage und oft unverständlich blieb: "In dieser Menschheit ist eingeschlossen der Hase, das Tier, die Pflanzen, die Erde, die Planeten, das, was oberhalb, im kosmischen Bereich, im übersinnlichen Bereich existiert und zu seinem Wesen gehört, was der Mensch selbst als Wesen vertritt."
Querdenker, Anti-Demokrat, Rechtskonservativer?
Kürzlich fragte der "Spiegel": "War Joseph Beuys Deutschlands erster Querdenker?". Und der Kunstwissenschaftler Hans-Dieter Huber zeigte sich im SWR irritiert darüber, dass Beuys trotz seiner braunen Vergangenheit und der lebenslangen, engen künstlerischen Zusammenarbeit mit Altnazis noch immer von vielen verherrlicht würde: "Dieses Werk muss man ... als die Visualisierung einer rechtskonservativen, antidemokratischen und anthroposophisch-verquasten Gesellschaftsutopie verstehen."
Seine letzte, große Aktion begann der Mann mit dem Hut wieder auf der documenta: 1982 pflanzte er die erste von 7.000 Eichen (siehe Foto oben). Ein starkes Zeichen für die Bewahrung der Natur, das - bei aller noch notwendigen Diskussion um den widersprüchlichen Künstler - die Stadt Kassel grün gemacht hat.