Jahrestag: Hamas-Terror und seine Folgen für Religionsgemeinschaften
Vor einem Jahr hat die radikal islamistische Terrorgruppe Hamas mehr als 1.200 Menschen im Süden Israels ermordet und 250 Geiseln verschleppt. Was sind die Auswirkungen des zunehmenden Nahost-Konfliktes in Deutschland?
"Der 7. Oktober war für mich und für viele von uns wie eine Zäsur", sagt Svenja Detto. Sie ist Jüdin. Israel als Rückzugsversicherung in der Not sei in Frage gestellt; antisemitische Vorfälle in Deutschland sind seit dem 7. Oktober um das Vierfache angestiegen. Wie Svenja Detto engagiert sich auch Yefgen Bruckmann in der liberalen jüdischen Gemeinde in Hannover: "In meinem Bekanntenkreis gab es Leute, die sehr schnell mit vollem Bewusstsein zur globalen Intifada aufgerufen haben, was das heißt, dass das auch mit einem Aufruf zur Gewalt gegen Juden und Jüdinnen ist."
Doch nicht nur die Judenfeindlichkeit, auch der antiislamische Rassismus ist stark angestiegen. Die Zahl der antimuslimischen Straftaten hat sich verdoppelt. Das veränderte Klima sei im Alltag zu spüren, sagt die muslimische Studentin Mona aus Osnabrück: "In der Öffentlichkeit bleibt es auch nicht bei bösen Blicken, sondern man wird beleidigt, angespuckt und das kann überall passieren, bis hin zu Gewalt, wo das Kopftuch abgerissen wird und wo geschlagen wird."
Klare Positionierung der christlichen Kirchen im Nahostkonflikt
Bei Jüdinnen und Juden führt der wachsende Antisemitismus zu konkreten Überlegungen, sagt Yefgen Bruckmann: "Die Frage steht im Raum: Sollen wir gehen und wohin gehen wir dann? Aber wir sehen auf der ganzen Welt einen Rechtsruck, es gibt nicht so viele Orte, wo man sich sicher fühlen würde." Oft ist es ein israelbezogener Antisemitismus, mit dem man konfrontiert werde, sagt Rebecca Seidler. Sie ist Vorsitzende der Israelitischen Kultusgemeinden von Niedersachsen: "Das Problem ist nur, die jüdische Community in Deutschland ist nicht Stellvertreter des Staates Israels und Angriffe in Deutschland sind nicht zu rechtfertigen."
Die christlichen Kirchen haben sich im Nahostkonflikt offiziell klar positioniert. So erklärt der katholische Hildesheimer Bischof Heiner Wilmer: "Aus meiner Sicht ist ganz klar: Wir stehen an der Seite Israels, und Juden und Christen sind Geschwister im Glauben, und es gilt zusammenzuhalten." Das wird aber unter Christinnen und Christen nicht überall geteilt. Der aus dem Libanon stammende Pfarrer Stephen Lakkis vermisst eine kirchliche Empathie mit allen Opfern des Konfliktes: "Ich stehe mit keiner Nation, sondern ich knie mit den Opfern. Dort bei den Menschen, die schreien, dort in den Trümmern, dort bei den Geisel, dort finden wir Christus, und dort müssen wir auch sein mit allen, die den Namen Christi tragen."
Jedes Wort auf der Waagschale - Klage um Schweigen
In allen Religionsgemeinschaften ist eine gewisse Verunsicherung zu spüren. Jedes Wort wird auf die Waagschale gelegt. Oft wird ein Schweigen beklagt. Dabei ist für Fatih Yildiz gerade der interreligiöse Dialog der beste Weg, um aus Polarisierung und Sprachlosigkeit herauszukommen. Yildiz ist Vorsitzender der Hamburger Schura, des Rates der islamischen Gemeinschaften in der Hansestadt. Er beteiligt sich am Interreligiösen Forum in Hamburg, in dem sich acht verschiedene Religionsgemeinschaften – unter anderem Juden und Muslime - regelmäßig austauschen.
"Bei schwierigen Themen ist es wichtig, dass man zusammenkommt, wertschätzt und den anderen immer als Teil einer Lösung sieht", erklärt Yildiz, "deshalb müssen wir die Orte der Begegnung noch mehr ausbauen. Wir sind Teil der Gesellschaft und so auch Teil der Lösung." Und Rebecca Seidler von der liberalen jüdischen Gemeinde in Hannover wünscht sich: "Wenn Menschen angefeindet werden, seien es Muslime, Juden oder andere Gruppen, dass man sich einmischt und nicht zurücklehnt und nicht sagt: 'Das regeln die schon selber', sondern dass man sich proaktiv vor diese Menschen stellt."