Filmfest Hamburg: Doku "Total Trust" zeigt die totale Überwachung
Der Dokumentarfilm "Total Trust" feiert beim Filmfest Hamburg Deutschlandpremiere. Dieser zeigt anhand der Situation in China, wie düster eine totale Überwachung werden kann. Ein Gespräch mit Knut Jäger, einem der Produzenten.
Herr Jäger, in China werden schon Social-Credit-Systeme getestet. Was hat es damit auf sich?
Knut Jäger: 2014 hat die Kommunistische Partei offiziell verkündet, so ein System einführen zu wollen, aus der Notwendigkeit heraus, weil es so ein System für den Beweis von Kreditfähigkeit in China gar nicht gibt. Also für den Erhalt von Krediten für ein Haus oder für ein Auto. Dafür wurde das initiiert, aber auf ganz andere Weise, als es hierzulande ist: mit einem Punktesystem. Für besonders gutes Verhalten bekommt man Punkte oder man wird für schlechtes Verhalten mit Minuspunkten bestraft, wenn man zum Beispiel bei rot die Ampel überquert. Es gibt Bonuspunkte, die dazu führen, dass man sein Kind zum Beispiel in eine bessere Schule schicken kann. Diese Systeme sind Pilotprojekte, die es seit ein paar Jahren gibt. Eins davon ist in einer Hafenstadt im Nordosten von China. Dort gibt es zum Beispiel auch Systeme für Community-Arbeit: Wenn man sich zum Beispiel am Müllsammeln beteiligt, bekommt man Punkte gutgeschrieben.
Was sind die Schattenseiten dieses Systems? Der Film erzählt zum Beispiel die Geschichte von drei Frauen. Was ist denen widerfahren?
Jäger: Vor allem zwei Frauen und ihre Familien sowie eine Journalistin sind Extremformen von Überwachung ausgesetzt. Sie sind in einer Extremsituation: Die Männer der beiden Frauen sind Anwälte, der eine ist im Gefängnis zum Zeitpunkt unserer Produktion. Der andere ist zu dem Zeitpunkt, als wir gedreht haben, wieder entlassen worden und ist traumatisiert. Das sind aber normale Anwälte, würde man sagen. Der eine hat sich zum Beispiel gegen sexuelle Übergriffe eingesetzt. Die Journalistin hat sich mit der MeToo-Bewegung in China auseinandergesetzt.
Und die sind durch diese totale Überwachung vor Gericht geraten, beziehungsweise angeklagt worden?
Jäger: Das nennt man dann "Subversion Of State Power" aus chinesischer Sicht. Dabei ist relativ willkürlich, was diese Subversion sein soll. Aus Sicht der chinesischen Regierung stellt das die Staatsgewalt infrage, wenn man zum Beispiel dementsprechend journalistisch oder anwaltlich tätig wird. Man kann als normaler Bürger, wenn man nicht aufpasst, in so eine extreme Situation der Überwachung geraten.
Man könnte denken: In Europa könnte das nicht passieren. Aber das war nicht ihr Ansinnen, das so darzustellen, oder?
Jäger: Genau. Es geht um Überwachung im digitalen Zeitalter als globales Phänomen. Uns war stets wichtig, dass wir uns zwar auf China konzentrieren, gleichzeitig war uns immer klar, dass das ein Spiegel sein soll für westliche Gesellschaften, für uns selber, für die Situation in Europa und in den USA.
Sie haben von dem Social-Scoring-System gesprochen, was es in China gibt. Gibt es bereits etwas Vergleichbares in der EU?
Jäger: Die Schufa ist so ein System zur Kreditbewertung. In China gibt es rund die Hälfte aller weltweit existierenden Überwachungskameras. Aber wir haben auch vor 20, 30 Jahren auch schon in Europa, in England über CCTV-Kameras gesprochen, die dort in öffentlichen Räumen für Sicherheit sorgen sollen, zur Kriminalitäts- oder zur Terrorbekämpfung, wie es heißt. Jetzt ist aber im Rahmen der Digitalisierung das Phänomen von Big Data und Künstlicher Intelligenz dazugekommen. Die wird auch häufig bei Großveranstaltungen genutzt. Jetzt steht die Fußball-EM bevor oder in Frankreich die Olympischen Spiele. Frankreich experimentiert dort gerade mit Software, die Verhalten analysieren kann, wie wir das auch im Film beispielhaft zeigen. Das soll auch bei den Olympischen Spielen eingesetzt werden, wogegen schon viele Organisationen geklagt haben.
Das Interview führte Mischa Kreiskott.