Ballettkritikerin: "Marco Goecke hat seine Lektion gelernt"
Marco Goecke wird ab Sommer 2025 neuer Künstlerischer Leiter und Haus-Choreograf des Balletts am Theater Basel. Die Journalistin Dorion Weickmann von der "Süddeutschen Zeitung" hat ihn bei der Pressekonferenz als "nachdenklich und reumütig" erlebt.
Choreograf Marco Goecke gilt in der internationalen Ballettszene als absolute Größe. Er ist auch über die Tanzwelt hinaus bekannt, allerdings nicht unbedingt für seine Arbeit als Ballettmacher, sondern weil er letztes Jahr eine bekannte Tanzkritikerin körperlich angegriffen und sie mit Hundekot beschmiert hat. Die Staatsoper Hannover hat sich daraufhin von seinem Ballettdirektor getrennt. Das Ganze hat eine Debatte ausgelöst über das Verhältnis von Kunst und Kritik und natürlich auch darüber, ob und inwieweit Werk und Autor voneinander zu trennen sind.
Frau Weickmann, wie haben Sie Marco Goecke bei der Pressekonferenz des Theaters Basel erlebt?
Dorion Weickmann: Nachdenklich und reumütig. Er hat zu dieser Attacke im Februar 2023 sehr klar gesagt: "Das war der größte Fehler meines Lebens." Er ist sehr schmal geworden, wenn man ihn von früher her kennt. Er ist keiner Frage ausgewichen und hat letztlich sehr offen Auskunft darüber gegeben, was damals eigentlich los war: dass er im Grunde in eine selbst verursachte Überarbeitung reingerannt ist, in den Burn-out, und das jetzt als Chance begreift, um nach vorne zu schauen. Er wurde sehr gut moderiert und unterstützt von dem Intendanten Benedikt von Peter, der ihn geholt hat und der den Eindruck gemacht hat, dass er stolz darauf ist, dass er Goecke an sein Haus holen konnte.
Aber vergessen kann man das nicht, dass er eine Frau mit Hundekot beschmiert hat, oder?
Weickmann: Nein, das wurde sehr deutlich. Das hat auch von Peter noch mal gesagt: Das wird man natürlich nicht vergessen, das wird auch nicht unter den Tisch fallen gelassen. Das Berufungsverfahren selbst ist offenbar durch etliche Etappen gegangen: Der Verwaltungsrat war involviert, externe Berater waren involviert. Es ist also nicht so, dass das eine Zweier-Nummer war. Man muss aber dazu sagen, dass Goecke zwar die Kritikerin tätlich angegriffen hat, aber die Tat ist letztlich wie ein Bumerang auf ihn selbst zurückgefallen. Der ist total abgestürzt, er ist rausgefallen aus dem beruflichen Rahmen, er hat seine Lektion dafür bekommen. Er ist nicht vorbestraft, aber er hat ein Bußgeld bezahlt. Das Verfahren ist eingestellt, die Kritikerin hat auf zivilrechtliche Schritte verzichtet. Man wird das sicher nicht vergessen, aber man darf auch nicht vergessen, dass das Ballett auf einmal in einer Lage war, dass da jeder hingeguckt hat aufgrund der Schlagzeilen, die entstanden sind, was ja sonst nie der Fall ist. Goecke war das Schmuddelkind unter allen Theaterkünstlern. Vielleicht kommen die Relationen jetzt wieder auf ein Gleis.
Aber wie groß ist das Risiko für das Theater Basel, sich das "Schmuddelkind" ins Haus zu holen?
Weickmann: Ich glaube, das Risiko ist total überschaubar. Einerseits weil man wirklich merkt, dass Goecke das total bereut und weiß, dass er da totalen Mist gebaut hat. Das Andere ist, dass er antritt mit einem Team, einer Kulturmanagerin und einem Ex-Tänzer, die für ihn das Organisatorische schultern werden. Er kann sich wirklich aufs Kreative konzentrieren - das ist, glaube ich, für ihn total wichtig. Er hat sich auch vorgenommen, auswärts keine Aufträge mehr anzunehmen, mit Ausnahme des Nederlands Dans Theater, mit dem er sehr lange verbandelt ist. Insofern glaube ich, dass man da die entsprechenden Sicherungen eingebaut hat, um zu verhindern, dass es nochmal zu so einer Burnout-Situation kommt.
Das Interview führte Keno Bergholz.