Eine Hand greift in einem Naturkostladen nach einem glutenfreien Brot. © Peter Endig / dpa Foto: Peter Endig

Verzicht auf Gluten: Vor- und Nachteile glutenfreier Ernährung

Stand: 11.04.2024 10:40 Uhr | vom Norddeutscher Rundfunk-Logo

Bei einer Zöliakie müssen Betroffene streng auf Gluten verzichten. Auch immer mehr gesunde Menschen meiden Getreide mit Gluten. Doch das ist oft nicht nötig und kann gesundheitlich ungewollte Folgen haben.

Gluten ist auch als Klebereiweiß bekannt. Wer gerne bastelt, kennt den Effekt: Mehl mit Wasser verrührt wirkt wie Kleister. In Verbindung mit Flüssigkeit trägt das im Mehl vorhandene Gluten dazu bei, dass ein Teig schön elastisch wird und nach dem Backen nicht zerkrümelt. Gluten steckt also typischerweise in Brot und Gebäck - aber auch in Müsli, Bier und verarbeiteten Lebensmitteln wie Gewürzmischungen, Soßen, Eis, Fertiggerichten aller Art. Denn Getreide-Auszüge sind in der Lebensmittelindustrie vielfach als Stabilisatoren und Trägerstoffe im Einsatz. Weizen, Dinkel, Roggen und andere heimische Getreidesorten enthalten im Inneren des Korns Gluten.

Was ist Gluten?

Viele denken, Gluten sei ein bestimmter Stoff, der in manchen Getreidesorten steckt. Aber es ist ein bisschen komplizierter: Genau genommen ist Gluten ein Oberbegriff. Er bezeichnet ein Gemisch aus zwei Gruppen von Pflanzeneiweißen, die in praktisch allen Getreidesorten (Süßgräsern) vorhanden sind - im Weizen ebenso wie im Roggen oder Reis. Die Eiweiße unterscheiden sich aber im Aufbau ein wenig. Und das ist ausschlaggebend für die Verträglichkeit. Es gibt zwei Gluten-Gruppen in allen Getreidepflanzen, sie heißen Prolamine und Gluteline. Die Gluteline aller Getreidesorten sind nach heutigem Kenntnisstand harmlos.

Verantwortlich für Allergien und Unverträglichkeiten sind nur Prolamine, und zwar ganz besonders die vom Weizen und seinen botanisch nahen Verwandten wie Dinkel oder Einkorn. Die Weizen-Prolamine heißen "Gliadine". Dem Weizen nah verwandt sind Roggen und Gerste, auch ihre Prolamine machen daher einigen Menschen Probleme. Wenn man umgangssprachlich von "glutenhaltig" spricht, bedeutet das daher genau genommen: enthält potenziell unverträgliche Prolamine.

Glutenhaltiges Getreide

Die meisten der in Deutschland beliebten Getreidesorten enthalten potenziell unverträgliche Prolamine, sind also "glutenhaltig":

  • Weizen (Hartweizen, Weichweizen)
  • Dinkel
  • Grünkern
  • Emmer
  • Khorasan (Kamut)
  • Einkorn
  • Roggen
  • Gerste

Glutenfreie Mehle und Produkte

"Glutenfrei" sind Produkte und Mehle aus:

Buchweizen, Quinoa und Amarant sind botanisch gesehen kein Getreide, lassen sich aber teils ähnlich in der Küche einsetzen. Man bezeichnet sie als Schein- oder Pseudogetreide. Zunehmend sind auch Mehle aus Hülsenfrüchten (Soja, Linsen, Kichererbsen und Co.) auf dem Markt, aus ihnen lassen sich ebenfalls Teigwaren herstellen.

Hafer: Glutenfrei oder nicht?

Hafer spielt eine Sonderrolle bei den heimischen Getreiden: Er kann unter bestimmten Umständen als glutenfrei verkauft werden. Hafer gehört zwar zu den Getreiden und enthält demnach Gluten, aber seine Prolamine ("Avenine" genannt) sind chemisch deutlich anders aufgebaut als die von Weizen, Roggen und Gerste. Hafer ist deshalb für die meisten glutenempfindlichen Menschen verträglich.

Trotzdem wird Hafer nicht für die streng glutenfreie Ernährung im Rahmen von Zöliakie empfohlen. Dabei spielt auch eine Rolle, dass auf dem Produktionsweg, also beim Anbau oder in der Getreidemühle, Spuren von glutenhaltigem Getreide in den Hafer gelangen können. Der "glutenfreie" Hafer im Handel stammt aus speziell kontrollierter Produktion: Er ist frei von den unverträglichen Prolaminen anderer Getreidegattungen.

Ist Gluten ungesund?

Gluten steht seit einigen Jahren pauschal als krankmachend in Verruf. Einige Menschen leiden unter einer nachgewiesenen Glutenunverträglichkeit, der sogenannten Zöliakie. Das ist eine nicht heilbare Erkrankung, bei der körpereigene Immunzellen bestimmte Glutenarten als Feind ansehen, Entzündungen im Darm verursachen und die Darmzotten angreifen. Betroffen sind etwa 0,5 Prozent der deutschen Bevölkerung. Sie müssen streng darauf achten, selbst kleinste Spuren von Gluten zu meiden.

Weitere Informationen
Weizenähren, -körner und Mehl auf einem Holztisch. © fotolia Foto: Christian Jung

Weizenunverträglichkeit: Was steckt dahinter?

Zöliakie, Weizenallergie, Weizensensitivität - wie ungesund ist Weizen wirklich? Sind Dinkel und andere Getreide verträglicher? mehr

Doch auch Menschen ohne nachgewiesene Glutenunverträglichkeit setzen immer häufiger auf "glutenfrei“. Denn Weizen und Gluten stehen im Verdacht, Entzündungen und bestimmte Autoimmunerkrankungen (etwa Hashimoto) zu fördern. Die Zusammenhänge sind bisher weder komplett verstanden noch bewiesen. Aber glutenfreie Ernährung ist bereits ein Trend: Dem Marktforschungsunternehmen Nielsen zufolge wurden mit "Glutenfrei"-Produkten im Jahr 2021 rund 487 Millionen Euro umgesetzt - ein Plus im Vergleich zum Vorjahr von zwölf Prozent. Der Nutzen für Gesunde ist jedoch Fachleuten zufolge zumindest zweifelhaft.

Glutenfreie Ersatzprodukte sind teuer

"Glutenfrei“ gekennzeichnete Nahrungsmittel kosten meist deutlich mehr als entsprechende glutenhaltige Lebensmittel. Der Grund: Die Produktion ist sehr aufwendig. Jegliche Kontamination mit Gluten muss vermieden werden, da für Zöliakie-Betroffene schon Spuren von Gluten schädlich sind. Nicht zuletzt unterhalten viele Firmen eigene Labore, um die Glutenfreiheit innerhalb ihrer Produktion zu überprüfen. Für den Geldbeutel sind diese Produkte also eine zusätzliche Belastung.

"Glutenfrei"-Produkte: Zusatzstoffe und Schwermetalle

Ein weiterer Nachteil: Zwar enthalten "Glutenfrei"-Produkte wie Brot und Gebäck kein potenziell schädliches Klebereiweiß, dafür aber in der Regel etliche Zusatzstoffe. Sie sollen zum Beispiel die Backeigenschaften optimieren und die sensorische Qualität des Produkts anheben, also das "Mundgefühl" und die Konsistenz verbessern. Studien aus den USA haben zudem gezeigt, dass "Glutenfrei"-Produkte öfter krankmachende Schwermetalle wie Arsen enthalten. Ursache dafür: Der Reis, der häufig als glutenfreies Ersatzgetreide genutzt wird, ist generell stärker mit Arsen belastet.

Glutenfreien Lebensmitteln fehlen Vitamine und Ballaststoffe

Häufig fehlen glutenfreien Produkten auch Vitamine und Ballaststoffe. Verzichtet man beispielsweise auf Vollkornbrot, meidet man automatisch gesunde Ballaststoffe, die wichtig für den Darm wären und einen positiven Einfluss auf den Blutdruck hätten. Ebenso kann die Zufuhr von ausreichend Magnesium oder anderen Nährstoffen wie B-Vitaminen schwieriger sein, wenn man glutenhaltige Getreidearten meidet. Studien deuten auf ein erhöhtes Risiko zur Entwicklung von Diabetes Typ 2 unter einer glutenfreien Diät.

Glutenfrei essen erfordert Vorbereitung und Kommunikation

Nicht zu unterschätzen ist letztlich die soziale Komponente: Das Einhalten einer streng glutenfreien Ernährung erfordert dauerhaften Verzicht. Gerade bei geselligen Anlässen, in Restaurants oder auf Reisen kann das eine echte Herausforderung werden. Für Menschen mit Zöliakie ist es unerlässlich, sich über die Speisenzubereitung zu informieren und gegebenenfalls ihr eigenes Essen mitzunehmen - auch auf die Gefahr hin, bei Kellnern, im Familien- oder Freundeskreis anzuecken und Diskussionen führen zu müssen. Wer nachgewiesen glutenbedingte Beschwerden hat, also etwa wegen Zöliakie auf eine entsprechende Diät angewiesen ist, kann in solchen Situationen nicht "mal eine Ausnahme machen", sondern muss lebenslang penibel auf eine "Glutenfrei"-Einhaltung achten.

Weitere Informationen
Ernährungs-Doc Dr. Viola Andresen. © NDR Foto: Moritz Schwarz
44 Min

E-Docs-Podcast #28: Wer auf Gluten verzichten muss

Janne H. leidet an Zöliakie: Schon kleinste Mengen Gluten lösen schwere Entzündungen aus. Deshalb muss sie vieles meiden - nicht nur Getreide. 44 Min

Für wen lohnt sich "glutenfrei?"

Für Gesunde können glutenfreie Produkte also unnötige Nachteile mit sich bringen - demgegenüber haben Menschen ohne Zöliakie von einer strengen "Glutenfrei"-Diät keine Vorteile. Wer auf Gluten verzichtet, sollte jedenfalls umso mehr darauf achten, möglichst vielfältig zu essen und dabei so oft es geht frisch und natürlich zu kochen.

Glutenfreie Mehle aus Hülsenfrüchten, Buchweizen und Co. öfter in den Speiseplan einzubauen, lohnt sich für alle, denn Abwechslung tut dem Körper gut. Außerdem kann man seine Glutenaufnahme meist schon dadurch reduzieren, dass man weniger Fertigprodukte verwendet und mehr frisch kocht - Stichwort: Clean Eating.

Expertinnen und Experten zum Thema

Dr. Constanze Lohse, Praxis Berliner Allee, Norderstedt

Fachärztin für Allgemeinmedizin, Ernährungsmedizinerin
Berliner Allee 15
22850 Norderstedt
www.praxis-berliner-allee.de

 

Weitere Informationen
Ein Glas mit Avocado-Chia-Beeren-Quark steht auf dem Tisch. © NDR Foto: Claudia Timmann

Rezepte bei Zöliakie

Gerichte für Menschen mit Zöliakie sollten nicht einmal kleine Spuren von Gluten enthalten. Diese Rezepte sind glutenfrei. mehr

Getreidekörner auf einer kleinen Holzschaufel. © Fotolia Foto: photocrew

Zöliakie: Gluten-Unverträglichkeit erkennen und behandeln

Bei Gluten-Unverträglichkeit zerstören schon kleinste Mengen Gluten aus Getreiden, Fertigprodukten oder verunreinigten Küchenutensilien die Darmzotten. mehr

Buchweizen-Körner, Brot und gemahlener Buchweizen auf einem Holzlöffel. © Fotolia.com Foto: kostrez

Buchweizen zubereiten: Rezepte mit dem gesunden Pseudogetreide

Buchweizen zählt nicht zu den Getreidesorten, kann aber ähnlich verwendet werden. Zudem ist er glutenfrei und sehr gesund. mehr

Hirse © Fotolia.com Foto: joanna wnuk

Hirse: Glutenfreies Getreide zum Kochen

Ob für Aufläufe, Risotto oder Burger: Hirse ist sehr vielseitig. Zum Backen ist das glutenfreie Getreide nicht geeignet. mehr

Weizenähren, -körner und Mehl auf einem Holztisch. © fotolia Foto: Christian Jung

Weizen, Gerste, Hafer: Was unterscheidet die Getreidesorten?

Brot, Pasta, Müsli: Getreideprodukte bestimmen unseren Speiseplan. Ein Überblick über die wichtigsten Sorten. mehr

Dieses Thema im Programm:

NDR Fernsehen | Die Ernährungs-Docs | 19.02.2024 21:00 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Lebensmittelindustrie

Ernährung

Lebensmittel