Als man in Kiel zum Einkaufen mit der Gondelbahn fuhr
Am 28. März 1974 wurde in Kiel eine ganz besondere Attraktion eingeweiht: die Weipert-Bahn, die über den Bootshafen führte. Sie verband ein Kaufhaus mit einem Parkhaus. 1988 wurde die Anlage stillgelegt, später demontiert. Die NDR Serie "Was war da los?" erzählt die Hintergründe.
"Nördlichste Gondelbahn der Bundesrepublik", "eine Attraktion, die keine andere Großstadt in Europa vorzeigen kann" und "die den Namen Kiel in die Zeitungsspalten von Flensburg bis hinunter nach Konstanz bringt": Die lokalen Medien in Schleswig-Holstein überschlagen sich im Jahr 1974 geradezu. Grund dafür ist der neueste Marketing-Coup des Weipert-Kaufhauses in der Kieler Innenstadt: eine Freiluft-Seilbahn, die das Kaufhaus mit dem dazugehörigen Parkhaus verbindet. In 18 Metern Höhe verkehren zwei Gondeln auf der knapp 144 Meter langen Strecke über den Bootshafen, die Überfahrt ist kostenlos und bis zur Stilllegung der Bahn im Jahr 1988 werden rund drei Millionen Fahrgäste gezählt.
Von der Idee zur Seilbahn am Kieler Bootshafen
Bereits Ende 1971 informiert sich ein Architekturbüro in Bern in der Schweiz über Seilbahnen, um eine solche für Weipert planen zu können. Das geht aus Akten im Stadtarchiv Kiel hervor. Von der Idee bis zur Eröffnung ist es aber ein langer Weg - und hier versteckt sich auch der Grund für obiges Bild. Denn natürlich müssen für ein solches Vorhaben zahlreiche Genehmigungen eingeholt und Vorgaben erfüllt werden. Allein 25 Kilogramm gedrucktes Papier seien für Sicherheitsberechnungen draufgegangen, zitieren die "Kieler Nachrichten" Kaufhaus-Geschäftsführer Franz Weipert und berichten von "unermüdlichen Prüfungen und Tests und Berechnungen und Kontrollen und Probefahrten und nochmaligen Kontrollen bis zum allerletzten Moment".
Kostenlos pendeln über der Innenstadt
Auch bei der Stadt Kiel lagern zahlreiche Unterlagen: Im Januar 1972 gibt der Bauausschuss seine Zustimmung zum Bau der Seilbahn. Aus dem Schriftstück im Stadtarchiv geht hervor, dass seitens der Verwaltung keine Bedenken bestehen. Im Gegenteil, die Bahn solle zur Sicherheit der Fußgängerinnen und Fußgänger am damals noch befahrenen Berliner Platz sorgen und die Attraktivität der Innenstadt erhöhen. Im Mai 1972 spricht sich das Stadtplanungsamt für eine kostenlose Personenbeförderung aus und gibt vor, dass die Gestaltung der Kabinen und der Fassadenteile der Seilbahnstation mit dem Amt abzustimmen sei. Das gesamte Baugenehmigungsverfahren ist laut Stadtarchiv im Dezember 1972 abgeschlossen.
Sicherheit, Sicherheit und nochmal Sicherheit
Mit Planung, Bau und Abnahme dauert es noch bis 1974, bis die Seilbahn in Betrieb genommen werden kann. Anfang des Jahres wird mit dem Aufbau der Bahn begonnen. Für die Montage wird eine Firma aus der Schweiz mit ins Boot geholt und schon während der Bauzeit berichten Zeitungen über die Sicherheitsmaßnahmen.
Irgendwann während der Vorbereitungen kommt offenbar die Frage auf: Was wäre eigentlich, wenn die Gondeln wegen eines Defekts während der Fahrt mitten über dem Bootshafen stecken bleiben? Die Fahrgäste müssten evakuiert werden, etwa wie bei einer Achterbahn. Für den Ernstfall übt die Kieler Berufsfeuerwehr einen Tag vor der offiziellen Eröffnung der Bahn eine solche Rettungsaktion. Der Plan: Die Passagiere sollen mithilfe der Einsatzkräfte zuerst abgeseilt und mit Booten an Land gebracht werden. Dabei entsteht das Bild des Feuerwehrmanns, der gerade auf halber Strecke in der Luft hängt.
In olympischer Erinnerung: Abfahrt für "Kiel" und "München"
Die Feuerwehrübung verläuft offenbar reibungslos - und auch alle anderen Sicherheitsmaßnahmen scheinen zufriedenstellend zu sein: Der TÜV erteilt die Freigabe und am 28. März 1974 geht die Seilbahn öffentlichkeitswirksam mit einem Festakt und Musik in Betrieb. In Anlehnung an die Olympischen Spiele 1972 in München, deren Segelwettbewerbe in Kiel ausgetragen wurden, werden die beiden Gondeln der Seilbahn "Kiel" und "München" getauft. Ein Erfolg für Firmenchef Franz Weipert - aber nur eine seiner zahlreichen Ideen für das Kaufhaus und die Innenstadt.
Große Ambitionen und Pläne: Weipert denkt Kiel
Das Weipert-Kaufhaus ist damals eines der größten und bekanntesten in der Stadt. "Es hatte eine große Bedeutung für die Kieler Innenstadt, allein aufgrund seiner Lage", erinnert sich Uwe König, damals Geschäftsführer des Modehauses Hartung direkt nebenan. Ohnehin habe die obere Holstenstraße in Kiel damals eine wichtige Rolle für den Einzelhandel gespielt. Auch Buchhändler Wolfgang Erichsen aus der Dänischen Straße erinnert sich: "Kaufhäuser waren die Magneten in der Innenstadt."
Firmenchef Franz Weipert hatte noch mehr Ambitionen. Nachdem er das Kaufhaus nach dem Tod seines Vaters 1969 übernommen hat, entwickelt er immer neue Projekt-Konzepte. "Er hatte immer viele Ideen", erinnert sich König. "Er wollte zur damaligen Zeit schon den Bootshafen umbauen und verschönern, hat sich aber damals nicht durchgesetzt. Er hat schon versucht, viel nach vorne zu bringen, drauf gedrungen, den Standort Innenstadt attraktiver zu machen", sagt der Geschäftsmann.
Mit der Weipert-Bahn bis nach Kiel-Gaarden?
Im März 1972 gibt es Akten im Stadtarchiv zufolge zum Beispiel eine Diskussion über einen Hubschrauberlandeplatz und ein weiteres Geschoss im Parkhaus - der Stadtbaurat lehnt ab. 1978 soll eine weitere Seilbahn die Innenstadt und den Stadtteil Gaarden miteinander verbinden. Weipert schickt eine entsprechende Studie an Tiefbauamt und Stadtbaurat. Doch es gibt erhebliche Zweifel, auch an der Wirtschaftlichkeit. Laut Presse sammeln sich im Laufe der Jahre ganze Aktenordner bei der Stadt. Dabei gibt es anscheinend auch immer wieder Streit, unter anderem um Stellplätze im Parkhaus und Vorwürfe von Weipert, notwendige Investitionen würden verhindert. Davon zeugen zahlreiche Beschwerdebriefe und Schriftwechsel, die im Stadtarchiv erhalten sind.
Nach einem Umbau eröffnet 1982 "Weiperts Einkaufsstadt" - mit 15 eigenen Textilabteilungen und 18 Kooperationspartnern auf 10.000 Quadratmetern Verkaufsfläche. Das hochgelobte Konzept weckt hohe Erwartungen, geht betriebswirtschaftlich aber nicht auf. 1983 meldet Weipert Konkurs an.
Einstiges Vorzeigeprojekt erweist sich als unwirtschaftlich
Auch die Seilbahn lohnt sich ökonomisch nicht. Personalkosten für die Gondelführer, Betrieb, Wartung und nicht zuletzt die Sicherheitsbestimmungen machen das Projekt teuer, erinnern sich die Einzelhändler König und Erichsen. Und die kostenlose Fahrgast-Beförderung bringt natürlich auch keine Einnahmen. 1988 wird die Bahn von den neuen Eigentümern des Einkaufzentrums, nun das "Förde-Einkaufs-Zentrum" (FEZ), stillgelegt. "Irgendwann fuhr sie dann nicht mehr, teilweise hingen die Gondeln unbewegt über dem Bootshafen, dann in den Stationen", erinnert sich Buchhändler Erichsen.
Letzte Hoffnung für die Seilbahn scheitert an Kosten
Wenig später keimt noch einmal Hoffnung: Zwei Geschäfte kündigen in den "Kieler Nachrichten" an, Geld für die Seilbahn-Rettung ausgeben zu wollen und suchen Mitstreiter. Doch selbst im stillgelegten Zustand ist der Unterhalt extrem teuer. Allein ein zu erneuerndes Seil hätte laut Stadtarchiv 30.000 D-Mark gekostet. Es ist das endgültige Aus für Kiels Gondelbahn, Anfang der 1990er-Jahre wird die Anlage demontiert.
Die Bürgerinnen und Bürger hätten sie laut Stadtarchiv wohl gern behalten. "Die Leute haben das genossen", sagt auch Uwe König. "Da gondelten nicht nur die, die da parkten." Die Bahn sei auch eine Touristenattraktion gewesen. Proteste konnten die Stilllegung am Ende nicht verhindern. Die Idee lässt die Kielerinnen und Kieler aber offenbar nicht los. Mehrmals wurden in den vergangenen Jahren Überlegungen angestellt, ob eine Seilbahn in der Kieler Innenstadt nicht wieder möglich sein könnte. Bisher findet das Experiment aber nur in Gedanken statt.