NDR Serie "Was war da los?": Nur Mut, kleines Schaf!
Was treibt diese Schafe 1957 so zielstrebig ins kalte Nass bei Friedrichskoog, wo Schafe doch nur ungern schwimmen? Tatsächlich haben die Schäfer sie sogar selbst ins Wasser geschubst - als Teil einer ganz gängigen Praxis, wie die NDR Serie "Was war da los" erläutert.
Schafe gehören zu Norddeutschland wie Zimt zum Franzbrötchen - schließlich ist bekanntlich erst Sturm, wenn die Schafe keine Locken mehr haben. Normalerweise grasen die Tiere aber auf Deichen und Wiesen, in der Nordsee sind sie eher selten zu sehen. Aus gutem Grund: "Schafe können zwar schwimmen, tun es aber in der Regel nicht gern", sagt die zuständige Fachreferentin beim Deutschen Tierschutzbund, Stephanie Riederer. "Gerade für bewollte Tiere kann es auch ein Risiko darstellen, da sie zwar kurze Zeit an der Oberfläche treiben, sich dann aber die Wolle mit Wasser vollsaugen kann und sehr schwer wird." Dennoch war das Bad im Salzwasser früher gängige Praxis, wie auf obigem Bild aus dem Jahr 1957 zu sehen.
Schafe wandeln sich von verschwitzt zu schneeweiß
"Acht Tage vor dem Scheren wird die Rückenwäsche durchgeführt", heißt es in einem Handbuch aus dem Jahr 1944 zur Pflege der Schafe. Die "geschieht in der Weise, dass sie bei auflaufender Flut zwei- bis dreimal einen 20-40 Zentimeter breiten Priel (Kanal) durchschwimmen müssen." Schäfer Reimer Bährs aus Neufelderkoog (Kreis Dithmarschen) kann sich noch gut an diese Aktionen erinnern. "Die Schafe haben ja Schweißwolle auf dem Rücken. Damit die sauber wird, haben wir die gewaschen", erinnert sich der Senior 2023. "Da konnte man richtig zuschauen, wie die schneeweiß wurde."
Die Tiere sollten durch die Wäsche aber nicht nur sauber aussehen. Durch das Waschen wurden Verunreinigungen wie Staub oder Fettrückstände entfernt, was zu einem höheren sogenannten Reinwollgehalt führte. So war die Wolle auf den Auktionen - in Schleswig-Holstein in Husum (Kreis Nordfriesland) und Neumünster - mehr wert, erzählt Schäfer Bährs. Denn die reinere Wolle machte weniger Mühe bei der weiteren Verarbeitung. Zudem wurde die Wolle auch nach der Schur und den Auktionen noch einmal gereinigt, bevor sie weiterverkauft wurde. Blieb dabei viel Schmutz übrig, bedeutete das natürlich einen Verlust für die zuerst ankaufenden Händler. Für einen höheren Reinwollgehalt zahlten sie deshalb mehr.
Schafwäsche eine stressige Prozedur für die Tiere
Dafür nahmen die Schäfer wiederum den Aufwand im Vorfeld in Kauf. "Die Schafe gingen ja nicht freiwillig ins Wasser", erinnert sich Schäfer Bährs. Man müsse einige Tiere hineinwerfen, dann würden die anderen folgen, heißt es im Handbuch von 1944. Aus Tierschutzgründen äußerst bedenklich: "Man kann die Schafwäsche als durchaus stressig für die Schafe bezeichnen", merkt Stephanie Riederer vom Tierschutzbund an. "Da Schafe Fluchttiere sind, werden sie in einer solchen Situation nicht ruhig stehen bleiben, sondern ständig versuchen zu entkommen. Das heißt in der Folge, dass die Tiere konstant fixiert oder festgehalten werden müssen und allein das stellt einen enormen Stress dar."
Mit den Schafen ins Wasser
Bährs berichtet, dass er und seine Helfer jeweils einen Bereich abgesperrt hatten, um die Tiere dann gezielt ins Wasser treiben zu können. Dafür musste wiederum der passende Wasserstand bei Springflut abgewartet werden. "Das war meistens so, dass man gerade noch stehen konnte", sagt Bährs. Auch die Schafe sollten den Priel gerade noch durchlaufen oder ein Stück schwimmen können. Die Wolle konnte sich in der kurzen Zeit nicht so sehr vollsaugen, dass die Tiere untergingen. Allerdings sollte ja vor allem die Rückenwolle durch die Wäsche sauber werden. Deshalb mussten immer einige Helfende mit ins Wasser, um die Schafe unterzutauchen, erzählt Bährs. "Die Schafe haben ja Luft in der Wolle und wenn die da einmal durchliefen, dann wurden die oben am Rücken gar nicht nass."
Salzwasser reinigte die Wolle besser
Bährs' Pacht-Grundstücke liegen an der Mündung der Elbe in die Nordsee. So ist in den Prielen auf der Weide Salzwasser - und das war wichtig für die Schafwäsche: "So ging das Fett besser raus", erklärt Bähr. Je nach Salzgehalt habe er damals auch beobachtet, dass die Wolle besser oder schlechter sauber wurde. Es gab aber auch regionale Unterschiede, wie aus dem Handbuch von 1944 hervorgeht: "In Südtondern wäscht man die Schafe nicht im Priel, sondern in tiefen Gräben am Hause. Die Schäfer stehen hierbei auf behelfsmäßig verlegten Laufbrettern", heißt es darin. "Auf der Insel Sylt werden die Tiere in Holzbottichen gewaschen und hiernach mit einigen Eimern Wasser überspült."
Schäferei: "Scheren ist heute ein Verlustgeschäft"
All das, damit die Wolle zum Lebensunterhalt der Schäferinnen und Schäfer beitragen konnte. Doch das funktionierte im Lauf der Zeit immer weniger, denn der Wollmarkt veränderte sich. Inzwischen gibt es für gröbere Wollen, wie sie in Norddeutschland gehandelt werden, nur noch Cent-Beträge. "Das Scheren ist heute ein Verlustgeschäft", sagt Reimer Bährs.
Geschoren werden müssen die Tiere trotzdem noch, denn sonst kann die Wolle verfilzen und verkleben - was wiederum zu Juckreiz, Hautproblemen oder Parasitenbefall führen kann. Mindestens einmal im Jahr sollten Schafe nach Angaben des Tierschutzverbandes geschoren werden. Gewaschen werden sie in Schleswig-Holstein vorher aber nicht mehr.
Zeiten des unfreiwilligen Bades sind vorbei
Schäfer Bährs hat seine Tiere nach eigener Aussage noch bis vor 40 Jahren vor der Schur gewaschen. "Es gab auch Berufskollegen, die das noch länger gemacht haben", erinnert er sich. Doch nicht nur die alte Praxis hat sich überholt, auch die Kollegen werden weniger: Existierten nach Angaben des Landesverbands Schleswig-Holsteinischer Schaf- und Ziegenzüchter im Jahr 1955 rund 9.500 schafhaltende Betriebe im Land, waren es 2022 nur noch 1.000. Diese halten insgesamt 200.000 Tiere - die jetzt nicht mehr unfreiwillig in Salzwasser baden müssen.