Stand: 23.02.2023 18:00 Uhr

1945: Ende des Krieges, Testament und Selbstmord Hitlers

von Hajo Funke, Politikwissenschaftler

Tatsächlich war der letzte Versuch Hitlers und seiner Wehrmacht, die militärische Niederlage aufzuhalten, die sogenannte Ardennenoffensive. Sie begann am 16. Dezember 1944 und scheiterte zehn Tage später, am 26. Dezember. (Kershaw 2000: 973–1061, auch im Folgenden) Hitler versuchte noch im Norden des Elsass eine "Operation Nordwind" zustande zu bringen, scheiterte damit aber Anfang 1945. Der Diktator schwadronierte in seiner Neujahrsansprache 1945 an das deutsche Volk von Fortschritten bis zum "Endsieg", den man erreichen müsse, und Front und Heimat sollten dafür sorgen, "dass der jüdisch-internationale Weltfeind (…) bei diesem Versuch, Europa zu vernichten und seine Völker auszurotten, nicht nur scheitern, sondern sich die eigene Vernichtung holen wird." (Zit. n. Kershaw 2000: 968)

Wenig später äußerte er sich gegenüber seinem Adjutanten Nicolaus von Below nach Tiraden über den "Verrat" der Generäle und des Volkes: "Wir kapitulieren nicht, niemals. Wir können untergehen. Aber wir werden eine Welt mitnehmen." (Ebd. 970) Die Konflikte zwischen Hitler und seiner Generalität wurden immer irrer, da er jeden, der taktische Ratschläge und die Zurücknahme von Fronten auch nur ansprach, zum Verräter erklärte und gegebenenfalls auswechselte. Hitler schien jeglichen Zugang zur Wirklichkeit verloren zu haben und von einem Todeswunsch beherrscht zu sein, nicht nur für sich selbst, sondern auch für Deutschland und sein Volk. (Ebd. 975) Er war durch die Erfahrung des Ersten Weltkriegs von Gedanken an Verrat und Betrug besessen, erst recht nach dem Attentatsversuch vom 20. Juli 1944. Die Konflikte mit dem Generalstabschef Heinz Guderian führten zu immer weiterer Entfremdung, bis Hitler ihn am 28. März nach einer Besprechung in Hitlers Bunker durch den gefügigeren General Hans Krebs ersetzte, während der zum Chef der Heeresgruppe Weichsel bestimmte Heinrich Himmler in den Augen Hitlers alsbald versagte.

Die Staatsspitze blieb bis zum eigenen Untergang von roher mörderisch-antisemitischer Brutalität gegenüber ihren vermeintlichen Feinden, den tatsächlichen Opfern des Regimes, bestimmt. Bekanntermaßen erreichte die Rote Armee Ende Januar 1945 Auschwitz und war mit noch wenigen tausend "lebenden Leichen" konfrontiert, während im Westen die alliierten Truppen Anfang März am Rhein standen und ihn überquerten. Bei der Auflösung von Auschwitz und nachfolgend der anderen Konzentrationslager wurden von der SS Todesmärsche in Gang gesetzt, durch die bis zu ein Drittel der überlebenden Gefangenen, vor allem Juden, unter den winterlichen Bedingungen und aufgrund vollkommener Entkräftung umkam. Parallel kam es zu einer panischen Flüchtlingswelle von Millionen von Menschen, um den herannahenden Truppen der Roten Armee zu entkommen.

Joseph Goebbels und Martin Bormann hielten innerhalb der schwindenden Entourage um Hitler an ihrer "Nibelungentreue" fest, bis zu einem relativ späten Zeitpunkt auch Göring, ehe ihn Hitler am 23. April aus allen Staats- und Parteiämtern entließ, weil dieser als Vertreter des Deutschen Reichs Verhandlungen mit den Westalliierten über eine Verständigung führen wollte – während Albert Speer spät mit Denkschriften zu verhindern versuchte, dass auch die Reste an Industrieanlagen und ökonomischer Substanz in der Politik der "verbrannten Erde" Hitlers untergingen. Die Entourage aber entfesselte auch im April noch einmal ihre terroristische Zerstörungswut an jenen, die nicht allem folgten, was an (selbst)zerstörerischen Befehlen ausgegeben wurde. Am 3. März befahl Himmler beispielsweise die Erschießung aller männlichen Bewohner in Häusern, an denen weiße Kapitulationsflaggen gezeigt wurden, am 14. April, dass kein Insasse von Arbeits- oder Konzentrationslagern lebend zurückzulassen sei.

Hitlers Testament

In dem von Adolf Hitler am 29. April tatsächlich diktierten politischen Testament wendet sich der Diktator an das deutsche Volk, die Welt und die Geschichte. (Friedländer 2006: 689 ff., auch im Folgenden) "Es ist unwahr, daß ich oder irgendjemand anderer in Deutschland den Krieg im Jahre 1939 gewollt haben." Anschließend referiert er seine große Zwangsvorstellung: "Er (der Krieg) wurde gewollt und angestiftet ausschließlich von jenen internationalen Staatsmännern, die entweder jüdischer Herkunft waren oder für jüdische Interessen arbeiteten."

Nachdem er noch einmal jede Verantwortung für den Kriegsausbruch von sich weist, überantwortet er dem angeblichen "Weltjudentum" die Kriegsschuld und prophezeit ein letztes Mal Vergeltung: "Es werden Jahrhunderte vergehen, aber aus den Ruinen unserer Städte und Kunstdenkmäler wird sich der Haß gegen das letzten Endes verantwortliche Volk immer wieder erneuern, dem wir das alles zu verdanken haben: dem internationalen Judentum und seinen Helfern! (…) Ich habe aber auch keinen Zweifel darüber gelassen, dass, wenn die Völker Europas wieder nur als Aktienpakete dieser internationalen Geld- und Finanzverschwörer angesehen werden, dann auch jenes Volk mit zur Verantwortung gezogen werden wird, das der eigentlich Schuldige an diesem mörderischen Ringen ist: Das Judentum! Ich habe weiter keinen darüber im Unklaren gelassen, dass dieses Mal nicht nur Millionen Kinder von Europäern der arischen Völker verhungern werden, nicht nur Millionen erwachsener Männer den Tod erleiden und nicht nur Hunderttausende an Frauen und Kindern in den Städten verbrannt und zu Tode bombardiert werden dürften, ohne dass der eigentlich Schuldige, wenn auch durch humanere Mittel, seine Schuld zu büssen hat."

Die Verantwortung für die Vernichtung von bis zu sechs Millionen Menschen, die von den Nationalsozialisten als jüdisch definiert wurden, schob Adolf Hitler den Opfern selbst zu. Das Testament wendet sich der Entscheidung zu, das Schicksal der Einwohner Berlins zu teilen, und endet in der unvermeidlichen Mahnung: "Vor allem verpflichte ich die Führung der Nation und die Gefolgschaft zur peinlichen Einhaltung der Rassegesetze und zum unbarmherzigen Widerstand gegen den Weltvergifter aller Völker, das internationale Judentum."

Hitler bestimmte Großadmiral Karl Dönitz zu seinem Nachfolger als Reichspräsident. Am 30. April beging der Diktator in seinem Berliner Führerbunker Selbstmord. Auch Eva Braun, die er einen Tag zuvor heiratete, nahm sich mit einer Giftkapsel das Leben, ebenso Joseph Goebbels mit seiner Frau und ihren sechs Kindern. Am 8. Mai erfolgte die von Dönitz unterschriebene bedingungslose Kapitulation.

Den von Kujau fantasierten gütigen und friedlichen Hitler gab es nicht. Stattdessen haben Adolf Hitler und sein Nationalsozialismus aus einer Ideologie des radikalen Antisemitismus, Rassismus und Sozialdarwinismus heraus ihre "Feinde" im Innern bekämpft. Sie haben ab 1939 mit ihrer ideologisch angetriebenen kumulativen Dynamik im Schatten des Weltkriegs den Holocaust entfesselt. In Hitlers Augen waren die Juden "die Ursache des Weltkonflikts" (Kershaw).

Saul Friedländer hat seine große Studie zum "Dritten Reich und die Juden" so beendet: "Die Mehrzahl der wenigen 100.000 Juden, die im besetzten Europa geblieben waren und überlebt hatten, schlug entweder durch den Zwang der Verhältnisse oder aufgrund eigener Entscheidung in einer neuen Umgebung Wurzeln; diese Menschen bauten sich ihr Leben auf, verbargen entschlossen ihre Narben und erfuhren das gewöhnliche Maß von Freuden und Leiden, dass die Alltagsexistenz bereithält. (…) Welchen Weg auch immer sie aber wählten, für sie alle blieben diese Jahre die bedeutsamste Zeit ihres Lebens. Sie waren in ihr gefangen. Immer wieder zog die Vergangenheit sie zurück in überwältigendes Entsetzen, und durchgängig weckte sie auch nach all den Jahren die unzerstörbare Erinnerung an die Toten." (Friedländer 2006: 693)

Die jüdische Philosophin Hannah Arendt, die 1943 im New Yorker Exil zum ersten Mal mit Nachrichten über die Massenvernichtung konfrontiert wurde, äußerte sich 1964 so: "Das ist der eigentliche Schock gewesen. Vorher hat man sich gesagt: Nun ja, man hat halt Feinde. Das ist doch ganz natürlich. Warum soll ein Volk keine Feinde haben? Aber dies ist ganz anders gewesen. Das war wirklich, als ob der Abgrund sich öffnet. Weil man die Vorstellung gehabt hat, alles andere hätte irgendwie noch einmal gut gemacht werden können, wie in der Politik ja alles einmal wieder gut gemacht werden können muss. Dies nicht! Dies hätte nie geschehen dürfen!" (Zit. n. Diner 1988: 30 ff.)

Bibliografie

  • Ruth Beckermann 1989: Unzugehörig. Österreicher und Juden nach 1945. Wien
  • Thomas T. Blatt 2003: Nur die Schatten bleiben. Der Aufstand im Vernichtungslager Sobibór. Berlin
  • Karl Dietrich Bracher 1969: Die deutsche Diktatur. Köln
  • Christopher Browning 2003: Die Entfesselung der "Endlösung". Nationalsozialistische Judenpolitik 1939–1942. München
  • Micha Brumlik 2000: Deutscher Geist und Judenhass. München
  • Dan Diner 1988: Aporien der Vernunft, in ders.: Zivilisationsbruch. Denken nach Auschwitz. Frankfurt/M.
  • DHM: LeMO
  • Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit 2016: Alltag Zwangsarbeit 1938–1945. Berlin
  • Max Domarus 1963: Hitler Reden und Proklamationen 1932–1945. Würzburg
  • Marek Edelman 1993: Das Getto kämpft. Berlin
  • Richard Evans (2000): Expert Report by Professor Richard Evans (2000) IRVING VS. (1) LIPSTADT AND (2) PENGUIN BOOKS. https://www.hdot.org/evans_toc/ David Irving, Hitler and Holocaust Denial by Richard J. Evans - Holocaust Denial on Trial
  • Saul Friedländer 1989: Es gibt keine Katharsis, in Funke 1989
  • Saul Friedländer 1998: Das Dritte Reich und die Juden. Bd. 1. München
  • Saul Friedländer 1999: Kitsch und Tod. Frankfurt/M.
  • Saul Friedländer 2006: Das Dritte Reich und die Juden. Bd. 2. München
  • Saul Friedländer/Orna Kenan 2010: Das Dritte Reich und die Juden. München
  • Hajo Funke 1989: Die andere Erinnerung. Frankfurt/M.
  • Hajo Funke 2000: Expert Witness Report. David Irving, Holocaust denial, and his connections to right-wing extremists and Neo-National Socialism (Neo-Nazism) In Germany. The Nizkor Project
  • Hajo Funke/Thomas Skelton-Robinson 2002: David Irving – eine politische Karriere im braunen Netz. Unveröffentlichtes Manuskript
  • Hajo Funke 2019: Der Kampf um die Erinnerung. Hitlers Erlösungswahn und seine Opfer. Hamburg
  • Christian Gerlach 1999: Kalkulierte Morde. Hamburg
  • Walter Grab 1989: Nicht aus Zionismus, sondern aus Österreich, in: Funke 1989
  • Christian Hartmann u.a. (Hrsg.) 2016: Hitler, Mein Kampf. Eine kritische Edition, 1. Bd. 1925, 2. Bd. 1926. München, online: https://www.mein-kampf-edition.de
  • Hannes Heer 2005: "Hitler war´s". Die Befreiung der Deutschen von ihrer Vergangenheit. Berlin
  • Adolf Hitler 1925: Mein Kampf. München
  • Raul Hilberg 1990: Die Vernichtung der europäischen Juden. Frankfurt/M. (Erstveröffentlichung 1961)
  • Heinz Höhne 1984: Mordsache. Röhm. Hitlers Durchbruch zur Alleinherrschaft 1933–1934. Hamburg
  • Tobias Jersak 1999: Die Interaktion von Kriegsverlauf und Judenvernichtung. Ein Blick auf Hitlers Strategie im Spätsommer 1941, in: Historische Zeitschrift 268 (1999), Heft 1, S. 311–374
  • Ian Kershaw 1998: Hitler 1889–1936. Stuttgart
  • Ian Kershaw 1999: Der NS-Staat. Reinbek
  • Ian Kershaw 2000: Hitler. 1936–1945. Stuttgart
  • Victor Klemperer 2015: Ich will Zeugnis ablegen bis zum Letzten. Berlin
  • Joachim Kuropka 1986: Zur Sache – Das Kreuz. Vechta
  • Peter Longerich 1998: Politik der Vernichtung. Eine Gesamtdarstellung der nationalsozialistischen Judenverfolgung. München/Zürich
  • Peter Longerich 2001: Der ungeschriebene Befehl. Hitler und der Weg zur Endlösung. München/Zürich
  • Peter Longerich 2008: Heinrich Himmler. München
  • Peter Longerich 2010: Joseph Goebbels. München
  • Henry und Yela Lowenfeld 1989: Weihrauch und Giftgas. Der Versuch, das Rätsel Hitler zu erklären, in: Funke 1989
  • Andreas Nachama 2021: Über die Zeit des Nationalsozialismus. 12 Jahre 3 Monate 8 Tage. Berlin
  • Uwe Neumärker/Andreas Nachama 2018: Kristallnacht. Berlin
  • Dieter Pohl 2003: Verfolgung und Massenmord in der NS-Zeit 1933–1945. Darmstadt
  • Ralf Georg Reuth (Hrsg.) 1992: Joseph Goebbels Tagebücher 1930–1945. München
  • Harald Sandner 2016: Hitler und Das Itinerar. Band II–IV. Berlin
  • Jan Erik Schulte 2009: Die SS, Himmler und die Wewelsburg. Paderborn
  • Hilde Schramm 2012: Meine Lehrerin, Dr. Dora Lux. Reinbek
  • Albert Speer 1969: Erinnerungen. Frankfurt/M.
  • Christian Streit 1997: Keine Kameraden. Die Wehrmacht und die sowjetischen Kriegsgefangenen 1941–1945. Bonn
  • Hans Ulrich Thamer/Simone Erpel 2010: Hitler und die Deutschen. Berlin
  • Johannes Tuchel 1994: Die Inspektion der Konzentrationslager 1938–1945. Berlin
  • Hans-Rudolf Vaget 2017: "Wehvolles Erbe". Frankfurt/M.
  • Samuel Willenberg 2009: Treblinka. Lager, Revolte, Flucht, Warschauer Aufstand. Hamburg/Münster Michael Wildt 2007: "Volksgemeinschaft" als Selbstermächtigung. Gewalt gegen Juden in der deutschen Provinz 1919–1939. Hamburg
  • Peter Witte 1999: Der Dienstkalender Heinrich Himmlers 1941/42. Hamburg

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Dieses Thema im Programm:

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