1944: Vor dem Untergang
1944 war die Wehrmacht an allen Fronten auf dem Rückzug. Im Juni eröffneten nach der Invasion in Frankreich die Alliierten eine zweite Front. Am 22. Juni begann eine sowjetische Großoffensive, die praktisch zur Auflösung der Heeresgruppe führte und die sowjetischen Truppen Ostpreußen und Warschau erreichten. Nach dem gescheiterten Attentat auf Hitler am 20. Juli trieb das Regime in eine Radikalisierungsphase von Zerstörung und Selbstzerstörung. Ende des Jahres wurde von der Wehrmacht eine Antwort auf die zweite Front in der sogenannten Ardennenoffensive im Dezember versucht, die kläglich misslang.
Hitlers Verhältnis zur Wehrmacht und der 20. Juli 1944
Hitler hatte schon vor und dann erst recht während des Krieges sorgsam darauf geachtet, die Armeeführung unter Kontrolle zu halten. Er hatte dazu sowohl das Personal in der Wehrmachtsführung ausgewechselt als auch die Organisationsstruktur mehrfach verändert. Nach den erfolgreichen Feldzügen zu Beginn des Krieges zunächst in Polen und dann gegen Frankreich war er 1940 als Kommandeur wie auch als Reichskanzler in Deutschland unangefochten beliebt. Mit dem Scheitern des "Blitzkriegs" im späten Herbst 1941 wuchsen die Zweifel, vor allem in der Armeeführung; dies verschärfte sich naheliegenderweise nach der Niederlage von Stalingrad Anfang 1943. Dass es am 20. Juli 1944 der Widerstandsgruppe um Graf von Stauffenberg gelang, ein Attentatsversuch auf Hitler durchzuführen, erschütterte den Diktator zutiefst. Sein ohnehin bestehendes Misstrauen kannte nunmehr keine Grenzen. Er sah nur Verrat und erklärte, dass der gesamte Generalstab verseucht sei: "Ohne die Verräter wären wir längst Sieger! Hier ist meine Rechtfertigung vor der Geschichte." (Zit. n. Kershaw 2000: 800).
Nach dem Attentat am 20. Juli, aus dem er leicht verletzt hervorging, glaubte Hitler, die Vorsehung habe ihn errettet. Er sah sich gleich einer Erlösergestalt wie Parzival nun dazu ausersehen, den Krieg gegen den Bolschewismus zu gewinnen oder aber zu erkennen, dass das deutsche Volk ihn möglicherweise nicht verdiente, sich als zu schwach erweise, vor der Geschichte versage und daher zur Vernichtung verdammt sei. (Kershaw 2000: 909) Hitler glaubte, nun müsse man den Kampf bis zur totalen Zerstörung, sogar der Selbstzerstörung fortsetzen, um die Schmach der Niederlage wie im November 1918 zu verhindern.
Die zweite Hälfte des Jahres 1944 stellte eine Orgie einer fast vollständigen Zerstörung des eigenen Landes dar: durch die Bombardierungswellen ohne militärische Abwehr, durch die Grausamkeit in der Verfolgung derer, die abwichen, vor allem aber dadurch, dass noch einmal hunderttausende Soldaten in vergeblichen Schlachten und sogar Offensiven - zum Beispiel die (gescheiterte) Ardennenoffensive im Dezember 1944 - verheizt wurden. Von den Männern für den "Volkssturm", die im September ohne militärischen Sinn einberufen wurden, fanden innerhalb weniger Monate 175.000 den Tod. In den folgenden Monaten verlor die Wehrmacht an allen Fronten: im Westen Europas durch die Offensiven der Alliierten, im Osten durch den schnellen Vormarsch der Roten Armee und den Abfall aller südosteuropäischen Bündnispartner bis auf Ungarn. Das Ende wurde um viele Monate hinausgezögert, der Todeskampf von Millionen verlängert.
Ermordung der ungarischen Juden - bei Kujau kein Wort davon
Am 19. März 1944 ging nach einer infamen Erpressung Hitlers gegenüber dem ungarischen Herrscher, Admiral Miklós Horthy, die Macht in Ungarn in deutsche Hände über. Damit war die weitgehend intakt gebliebene jüdische Gemeinschaft von etwa 800.000 Menschen zum Untergang verurteilt. Mit den deutschen Truppen kam auch ein besonderes Sondereinsatzkommando zur "Endlösung der Judenfrage" in Ungarn unter Adolf Eichmanns persönlicher Leitung. (Longerich 1998: 567) Innerhalb von weniger als drei Monaten wurden 92 Züge mit etwa 300.000 ungarischen Juden in die Vernichtungsstätten verbracht. Im Juli 1944 versuchte Horthy, den weiteren Deportationen Einhalt zu gebieten, ehe mit einem Putsch der besonders radikalen "Pfeilkreuzler" am 15. Oktober noch einmal etwa 100.000 Jüdinnen und Juden in die Fänge Adolf Eichmanns gerieten und zu einem großen Teil nicht überlebten.
In den gefälschten "Tagebüchern" Kujaus, die weitgehend nur für die Monate Januar, Februar und begrenzt für Juli 1944 vorliegen, findet sich einiges darüber, wie sich der Rückzug der Wehrmacht gestaltete, wie erschüttert Hitler über das Attentat vom 20. Juli war, nichts aber über die Ermordung der Juden, stattdessen unterstelltes Nicht-Wissen Adolf Hitlers über die Tatsache der Juden-Ermordung auch noch im Januar 1945, eingerahmt in die übliche antisemitische Grundvorstellung einer allgegenwärtigen, tödlich gefährlichen Verschwörung des Weltjudentums:
TB 11.1.1945: "(…) Nun greifen die Amerikaner schon unsere Hauptverbandsplätze mit Blitzbomben an. Diesen Handlangern des Judentums ist doch selbst das rote Kreuz kein Hinderungsgrund für Terrorangriffe. Nun sehe ich das ich mit den Juden viel zu human umgegangen bin. Hätte sie auf Schiffe setzen sollen und wenn sie keiner aufnimmt absaufen lassen sollen. Meldung. Im Brückenkopf nördlich Straßburg wird Herrlisheim stark umkämpft. Westlich des Rheins herrscht Ruhe. Adolf Hitler"