Stand: 23.02.2023 18:00 Uhr

1939: Krieg und Vernichtung, Gleichzeitigkeit von Weltkrieg und Gewalt, Antisemitismus

von Hajo Funke, Politikwissenschaftler

Hitlers Vernichtungsdrohung

In seiner Rede vom 30. Januar 1939 hat Hitler den von ihm geplanten Weltkrieg mit der vermeintlich tödlichen Gefahr des internationalen Finanzjudentums verknüpft: "Ich bin in meinem Leben sehr oft Prophet gewesen und wurde meistens ausgelacht. In der Zeit meines Kampfes um die Macht war es in erster Linie das jüdische Volk, das nur mit Gelächter meine Prophezeiungen hinnahm, ich würde einmal in Deutschland die Führung des Staates und damit des ganzen Volkes übernehmen und dann unter vielen anderen auch das jüdische Problem zur Lösung bringen. Ich glaube, dass dieses damalige schallende Gelächter dem Judentum in Deutschland unterdes wohl schon in der Kehle erstickt ist. Ich will heute wieder ein Prophet sein: Wenn es dem internationalen Finanzjudentum in und außerhalb Europas gelingen sollte, die Völker noch einmal in einen Weltkrieg zu stürzen, dann wird das Ergebnis nicht die Bolschewisierung der Erde und damit der Sieg des Judentums sein, sondern die Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa." (Zit. n. Longerich 2001: 68)

Adolf Hitler machte in dieser Rede erneut aus allen Gegnern Juden und drohte mit ihrer Vernichtung. Europa könne nicht mehr zur Ruhe kommen, bevor die jüdische Frage ausgeräumt sei. Hitler gab sich als Mann des Friedens aus - und kündigte in den nächsten Tagen die Aufstockung der U-Boote und der Luftflotte an. Unmissverständlich - und doch von vielen immer noch als leere Phrasen abgetan - stellte Hitler die Bevölkerung auf einen Weltkrieg ein.

Schritte zum Krieg

Am 14. März 1939 beorderte Hitler den Staatspräsidenten der Tschechoslowakei nach Berlin und erzwang die Unterzeichnung des "Protektoratsvertrags". Gleichzeitig begann der Einmarsch der Wehrmacht in die sogenannte "Rest-Tschechei". Anders als in Österreich wurden die Besatzer mit Protesten empfangen. Großbritannien und Frankreich zogen ihre Botschafter zurück - mehr passierte von internationaler Seite nicht. Aber Mitte März 1939 war der Krieg nah.

Am 23. August unterzeichneten die Sowjetunion und Deutschland überraschend einen Nichtangriffspakt und verabredeten, Polen zwischen den beiden Vertragspartnern aufzuteilen. Damit war die Sowjetunion fürs Erste neutralisiert. Hitler war euphorisiert und sah - immer noch im Glauben, Frankreich und Großbritannien würden nicht auf Deutschlands Angriff auf Polen reagieren - "seinen" Krieg fasziniert vor sich.

In den Erinnerungen Albert Speers am Abend dieses 23. August heißt es: "In der Nacht standen wir mit Hitler auf der Terrasse des Berghofes und bestaunten ein seltsames Naturschauspiel. Ein überaus starkes Polarlicht überflutete den gegenüberliegenden, sagenumwobenen Untersberg für eine lange Stunde mit rotem Licht, während der Himmel darüber in den verschiedensten Regenbogenfarben spielte. Der Schlussakt der Götterdämmerung hätte nicht effektvoller inszeniert werden können. Gesichter und Hände eines jeden von uns waren unnatürlich rot gefärbt. Das Schauspiel rief eine eigentümlich nachdenkliche Stimmung hervor. Unvermittelt sagte Hitler zu einem seiner militärischen Adjutanten gewandt: 'Das sieht nach viel Blut aus. Dieses Mal wird es nicht ohne Gewalt abgehen.'" (Speer 1969: 177)

Für Saul Friedländer ist das Kitsch in höchster Vollendung: "Der Mann, der sich anschickt, die Welt zu erobern (…), steht da hoch oben in seiner Felsenburg, umgeben von einer grandiosen Gipfellandschaft. Er hat das Gesicht dem Nachthimmel zugewandt, den ein seltsames Rotlicht in die Farbe des Blutes taucht - er ist der Dichter am See, kurz vor dem Ausbruch des Sturmes, er ist der Mörder auf der Flucht unter einem fahlen, von Blitzen durchzuckten Himmel." (Friedländer 1999: 23 f.)

Am 1. September begann Hitler den Krieg und ließ die Wehrmacht in Polen einmarschieren. Am 3. September erklärten unter anderem Großbritannien und Frankreich Deutschland den Krieg: Hitler hatte sie in einen Weltkrieg gezwungen. (Nachama 2021: 178)

Kujau

TB 1.9.1939: "September 1939. Meldung. Zwischenfall am Sender Gleiwitz. Die Lage ist unklar, wer dafür verantwortlich ist. Verlange genauen Bericht. Alle deutschen Sender geben die Mitteilung der Reichsregierung bekannt. Über den Zwischenfall beim Sender Gleiwitz noch keinen genauen Bericht. Die amtliche Mitteilung wird den Botschaftern überreicht. l. Sept. Die Schleswig-Holstein hat um 4,45 Uhr das Feuer auf die Westernplatte eröffnet. Meine Proklamation die ich in der Nacht verfasste wird über den Rundfunk bekanntgegeben. Ich habe nun den Befehl gegeben die Kampfhandlungen zu beginnen. Ich werde ab heute nichts anderes sein als der erste Soldat des Reiches und genauso den grünen Rock tragen wie jeder deutsche Soldat. Der Herrgott stehe uns bei, in diesen schweren Tagen! Adolf Hitler"

Mit Kujaus Bemerkung, "Hitler" müsse prüfen, wer für den Zwischenfall in Gleiwitz verantwortlich sei, zeigt sich selbst in dem entscheidenden Moment vor dem Beginn des Zweiten Weltkriegs, dass Kujau getreu der Hitlerschen Propaganda ihn auch von dieser Verantwortung entlastet. Hitler sprach schon zuvor davon, er werde für einen propagandistischen Vorwand sorgen, um den Krieg zu beginnen, so wenig plausibel er auch sein möge. (Kershaw 2000: 295)

Tatsächlich waren die Grenzzwischenfälle etwa in Gleiwitz in Oberschlesien provoziert: Um 22:30 Uhr trafen die ersten Nachrichten darüber ein. (Ebd. 311) Am 1. September erfolgte dann durch das Schulschiff Schleswig-Holstein um 4:45 Uhr der Angriff auf das polnische Gelände der Westerplatte am Hafen von Danzig. Der Befehl dazu kam verschlüsselt und war schon wenige Tage zuvor einmal erteilt und dann wieder zurückgezogen worden. Im Reichstag erklärte Hitler unter dem üblichen Beifall Polen den Krieg. Zu den bekannten Sätzen gehörten: "Polen hat nun heute nacht zum ersten Mal auf unserem eigenen Territorium auch durch reguläre Soldaten geschossen. Seit 5:45 Uhr wird jetzt zurückgeschossen! Und von jetzt ab wird Bombe mit Bombe vergolten! Wer mit Gift kämpft, wird mit Giftgas bekämpft. Wer selbst sich von den Regeln einer humanen Kriegsführung entfernt, kann von uns nichts anderes erwarten, als dass wir den gleichen Schritt tun. Ich werde diesen Kampf, ganz gleich gegen wen, so lange führen, bis die Sicherheit des Reiches und seiner Rechte gewährleistet sind." (Zit. n. Domarus 1963: 1315)

Hitler hatte seine Taktik darauf angelegt, Frankreich und Großbritannien aus der Umsetzung ihrer Bündnisverpflichtung gegenüber Polen möglichst herauszuhalten. Er hatte dazu nach mehreren Gesprächen in einer Mischung von zurückhaltender Freundlichkeit und brutaler Entschiedenheit tatsächlich leichtfertig vermutet, Großbritannien und Frankreich würden nicht auf den Angriff auf Polen reagieren, und war, als am 3. September beide Länder Deutschland den Krieg erklärten, zunächst von seiner Fehleinschätzung irritiert. Selbst Göring hatte ihm noch am 29. August nahelegen wollen, es sei nicht nötig, stets das äußerste Risiko einzugehen - er bekam die Antwort: "Ich habe in meinem Leben immer va banque gespielt." (Zit. n. Kershaw 2000: 329)

Von seiner sozialdarwinistischen Entschiedenheit, Polen "gnadenlos zu vernichten" (so der Außenminister Ribbentrop zum italienischen Außenminister Ciano), ließ sich Hitler - auch aus Kränkung über den Kompromiss in München im Jahr zuvor - nicht im Geringsten abbringen.

Schon Anfang Oktober waren die brutal von Deutschen geführten Kämpfe in Polen vorüber. Am 5. Oktober flog Hitler nach Warschau und fuhr dort im offenen Wagen stehend durch die sichtbar stark zerstörte Stadt und nahm eine Parade der 8. Armee ab.

Kujau: Churchill - "Hetzer und Lügner"

Hitler hatte offenkundig in seinem Allmachtsanspruch von einem Zusammengehen mit Großbritannien fantasiert, und war entsetzt, als Churchill ins Kabinett eintrat. (Kershaw 2000: 322) Aus diesem Anspruch dürfte die Fixierung auf Churchill resultieren - und Hitlers Sündenbock-Annahme, dieser sei für den Krieg verantwortlich, den er in seinen Allmachtsfantasien nicht unter Kontrolle bringt und deswegen für schuldig am Zweiten Weltkrieg erklärt. Das bildet Kujau in seinen Fantasie-Aufzeichnungen durchaus auch genauso ab - sie stehen in der Tradition dieser nationalsozialistischen Feinderklärung, auch nach 1945.

TB 9.8.1939: "Eröffnung der Salzburger Festspiele. Wenn ich den Text der gestrigen Rede dieses Churchill lese, so weiß ich gleich wer der größte Vergifter in London ist. Nun kann ich Heß verstehen, der meint diesen Churchill muß man umgehen oder ausschalten. Göring gibt mir Bericht über seine Verhandlungen mit den Engländern. Auch merkt nun Göring, daß die Engländer kein Interesse haben Spannungen abzubauen."

TB 12.10.1939: "Dieser aalglatte Chamberlain lehnt natürlich mein ernsgemeintes großzügiges Angebot ab. Da steckt wieder einmal der Hetzer und Lügner Churchill dahinter."

TB 31.10.1939: "(…) Dieser Churchill, der größte Hasser Deutschlands entgeht nur knapp unseren Torpedos. Dieser Treffer hätte uns und der Welt vieles erspart, denn die alten Greise in England hätten sofort meine Vorschläge angenommen. Der kann nur dem Herrgott danken. Dieser Churchill ist es, der zwischen unseren Völkern steht. Adolf Hitler"

Von der "Judenpolitik" zur "Vernichtungspolitik" im Herbst 1939

Direkt nach Kriegsbeginn ordnete Hitler im Reich "Euthanasie"-Morde an, im Oktober kam es zu den ersten Deportationen von Juden. Am 27. September gründete Heinrich Himmler das Reichssicherheitshauptamt als wichtigstes Organ nationalsozialistischer Terrorherrschaft; am 7. Oktober wurde er Beauftragter für die Umsiedlungspolitik in Posen und Westpreußen, aus denen die polnische Bevölkerung deportiert werden sollte. Für den Historiker Peter Longerich liegt die entscheidende Zäsur für den Übergang von der nationalsozialistischen "Judenpolitik" zur "Vernichtungspolitik" im Herbst 1939. Zuvor hatte die "Entjudung" der deutschen Gesellschaft das Instrument geliefert. Doch erst im Krieg sah Hitler die Möglichkeit, seine "Lebensraum"-Vorstellungen imperial zu verwirklichen. Schon während des Krieges gegen Polen entwickelte das NS-Regime ein gigantisches Umsiedlungsprogramm für die neu eroberten Gebiete.

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Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Reschke Fernsehen | 23.02.2023 | 23:35 Uhr

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