1937: Größenfantasien und Machtzelebrierung Hitlers, Ruhe vor dem Sturm
In seiner Rede vom 30. Januar 1937 sprach Adolf Hitler voll nationalen Selbstbewusstseins von der Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht 1935, der Schaffung der Luftwaffe, dem Wiederaufbau der Marine und der Wiederbesetzung des Rheinlands 1936, die die deutsche Ehre wiederhergestellt habe. (Kershaw 2000: 77) 1937 erschien das Hitler-Regime im In- und Ausland stabil, stark und erfolgreich, Hitlers Stellung unantastbar: Innerer Aufbau des Landes und nationale Triumphe in der Außenpolitik wurden ihm zugeschrieben. In der Rückschau, so Kershaw, war es die Ruhe vor dem Sturm. Hitlers kaum vorstellbare Triumphe seit 1933 führten aber auch dazu, dass der Diktator sich in Größenwahn und Visionen von deutscher Macht und Vorherrschaft verlor. Bei der Einweihung des Hauses der deutschen Kunst im Juli 1937 fantasierte er, es solle "der Bau eines Tempels beginnen nicht für eine sogenannte moderne - sondern für eine wahre und ewige deutsche Kunst". (Zit. n. ebd.)
Auf dem Reichsparteitag in Nürnberg verband er die nationalen und sozialen Leistungen mit den seit Langem heftigsten Angriffen auf den sogenannten "jüdischen Bolschewismus". Es genügte diese eine Hetzrede für eine neue antisemitische Welle, die sich im folgenden Jahr 1938 weit heftiger als 1935 entfalten sollte. Im November kündigte Hitler das Projekt der Umwandlung Berlins in die Welthauptstadt Germania an, um "einem tausendjährigen Volk mit tausendjähriger geschichtlicher und kultureller Vergangenheit für die vor ihm liegende unabsehbare Zukunft eine ebenbürtige tausendjährige Stadt zu bauen". (Zit. n. ebd.) Albert Speer wurde die Neugestaltung Berlins übertragen.
Schon im Sommer 1937 begann sich Hitler die Expansion Deutschlands in Richtung Österreich und Tschechoslowakei vorzustellen (ebd. 85), und im November des Jahres entwickelte er vor den drei Oberbefehlshabern in einem langen Monolog die dringende Notwendigkeit einer Expansion Deutschlands unter Einsatz von Gewalt in den kommenden Jahren. Er sprach von der Notwendigkeit einer Erweiterung des "deutschen Lebensraums". Der Angriff auf die Tschechen müsste "blitzartig schnell" erfolgen. (Ebd. 89) Die Oberbefehlshaber waren entsetzt. Für General Ludwig Beck, Kopf der Militäropposition, waren die Darlegungen Hitlers "niederschmetternd" und zwar durch die "Verantwortungslosigkeit und den Dilettantismus" seines Hazardspiels. Demgegenüber hatten sich Verteidigungsminister von Blomberg und der Chef der Abteilung Landesverteidigung, Oberst im Generalstab Alfred Jodl, trotz Bedenken alsbald Hitler bereitwillig gefügt. Damit trat das "Dritte Reich" außenpolitisch in eine neue radikale Phase. (Ebd. 92)
Besuch Mussolinis am 25. bis 29. September 1937
Hitler brauchte den italienischen Diktator Mussolini als Bündnispartner, wenn er seine Expansion in Europa durchführen wollte. Seine Idee, Großbritannien auf die deutsche Seite zu ziehen, schien nicht erfolgreich; so war Hitler in besonderem Maße auf Mussolini angewiesen. Während eines fünftägigen Staatsbesuchs des Italieners Ende September tat Hitler alles, um den "Duce" zu beeindrucken. Mussolini sollte eine Vorstellung von deutscher Stärke und Macht mit nach Hause nehmen. (Vgl. Reuth, 3. Bd., 1992: 1129–1134)
Kujau stellt das so dar:
TB 23.–29.9.1937: "23. Ich bestimme: anläßlich des Besuches des ‚Königlich Italienischen Regierungschefs Benito Mussolini ist der 25.Sept. für München und der 28.Sept. für Berlin öffentlicher Feiertag. 25. Deutschlandbesuch des Duce. Mussolini traf um 9 Uhr auf dem deutschen Grenzbahnhof Kiefersfelden ein und wurde dort in meinem Aufrage von Heß und Frank empfangen. (…) Privates. Als ich den Duce auf dem Münchner Bahnhof empfing, strahlte er eine Sicherheit und Männlichkeit aus, vergleichbar eines römischen Feldherrn. Aber nach den ersten Apellen und Vorbeimärschen war sein Stolz schon sichtlich gebrochen. Die Sache mit diesen Ehrenkorporal der Miliz hat mich etwas wütend gemacht. Ich kann nun mal den Namen Miliz nicht hören. Und der Titel 'Ehrenkorporal' ist für einen Obersten Befehlshaber eine Beleidigung. Aber unsere Männer in Uniform haben dies alles wieder ausgebügelt und mich mit Stolz erfüllt. Der Duce reiste ziemlich kleinlaut wieder ab. Adolf Hitler"
Der Fantasie Kujaus sind offenkundig keine Grenzen gesetzt: Mussolini strahle eine Sicherheit und Männlichkeit aus, vergleichbar eines römischen Feldherrn - um dann nach wenigen Stunden gebrochen worden zu sein; der zuvor strahlende Mann kehre kleinlaut nach Italien zurück.
Victor Klemperer schreibt Ende 1937 in sein Tagebuch: "Das fürchterliche Stillstehen der Zeit, das hoffnungslose Vegetieren." (Klemperer, Bd. 1, 2015: 321)