Transrapid-Unglück: Bei Testfahrt sterben 23 Menschen
Am 22. September 2006 prallt ein Transrapid auf der Versuchsstrecke im Emsland mit Tempo 170 auf einen Wartungswagen. 23 Menschen sterben, elf weitere werden teils schwer verletzt.
Ein Spätsommermorgen beendet eine bis dahin makellose Erfolgsgeschichte. Seit 1984 dreht die Magnetschwebebahn Transrapid auf der Versuchsstrecke bei Lathen im Emsland ihre Runden, mehr als 500.000 Besucher sind mitgefahren. Über die Jahre entwickelt sich die Hochgeschwindigkeitsstrecke zwischen Meppen und Papenburg zum Besuchermagneten ohne einen einzigen nennenswerten Unfall - bis zum 22. September 2006.
Aufprall mit 170 Stundenkilometern
Die letzte Besucherfahrt des Transrapid dauert nur eine Minute. Gegen 9.55 Uhr prallt die Magnetschwebebahn mit 31 Menschen an Bord bei Tempo 170 auf ein Wartungsfahrzeug. 23 Menschen sterben, elf weitere werden zum Teil schwer verletzt. Am Unfallort zeigt sich ein Bild des Grauens: Wrack- und Trümmerteile werden bis zu 300 Meter weit geschleudert. Erste Rettungskräfte, die gegen 10.15 Uhr eintreffen, können den zerstörten Transrapid nur schlecht erreichen: Er steht in seiner Fahrspur auf meterhohen Stelzen. Das ganze Ausmaß der Katastrophe wird erst nach Stunden deutlich. Um 19.25 Uhr bergen Helfer das letzte Todesopfer.
Transrapid-Zugführer trifft keine Schuld
Ein von der Staatsanwaltschaft in Auftrag gegebenes Gutachten des Eisenbahn-Bundesamtes beschreibt das Unglück so: "Der Bug des Transrapid 08 unterfuhr das Sonderfahrzeug, welches dann wie eine Stanze in die erste Fahrzeugsektion eindrang und diese völlig zerstörte". Den verstorbenen Fahrzeugführer des Transrapid trifft dem Gutachten zufolge keine Schuld: Da er nach dem Start verschiedene Instrumente kontrollieren musste, konnte er nach Auffassung der Gutachter erst kurz vor dem Aufprall den Blick wieder auf die Strecke richten und eine Notbremsung auslösen.
Untersuchungsausschuss stellt menschliches Versagen fest
Acht Monate ermittelt ein Untersuchungsausschuss des Niedersächsischen Landtages. Parallel sucht auch die Staatsanwaltschaft nach der Unfallursache. Im Kern kommen beide im September 2007 zu dem Ergebnis: Menschliches Versagen war Schuld am Unfall. Der Fahrdienstleiter hatte demnach das Wartungsfahrzeug vergessen, das nach einer Kontrollfahrt noch auf der Strecke stand.
Die Staatsanwaltschaft erhebt Anklage gegen den Mann und einen Kollegen wegen fahrlässiger Tötung und Körperverletzung. Das Verfahren wird zunächst vorläufig eingestellt, da beide Männer verhandlungsunfähig sind. Sie gelten als suizidgefährdet. Erst im März 2011 wird ihnen der Prozess gemacht. Sie räumen die Vorwürfe ein, bitten die Hinterbliebenen vor dem Landgericht Osnabrück um Vergebung. Das Urteil lautet ein Jahr und sechs Monate beziehungsweise ein Jahr für die beiden Angeklagten. Das Gericht setzt die Haftstrafen zur Bewährung aus und verhängt außerdem Geldbußen.
Betriebsleiter zu Geldstrafen verurteilt
Auch der Betriebsleiter der Teststrecke und sein Vorgänger müssen sich vor dem Osnabrücker Landgericht verantworten. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen fahrlässige Tötung vor, da klare Vorschriften fehlten, wann eine Strecke zu sperren ist. Eine solche Streckensperre in dem betroffenen Abschnitt hätte das Unglück verhindern können. Wie sich herausstellte, wurde sie jedoch nicht gesetzt. Das Gericht verurteilt die beiden Ingenieure im Mai 2008 wegen fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Körperverletzung zu Geldstrafen.
Die Richter sehen es als erwiesen an, dass die Männer für das "lückenhafte Sicherheitskonzept" auf der Transrapid-Teststrecke verantwortlich waren. Sie hätten sämtliche Fahrdienstleiter anweisen müssen, die Fahrwegsperre zu setzen, wenn Werkstattwagen auf der Strecke stehen. Dies sei vom Hersteller so vorgeschrieben gewesen und hätte auch in Lathen "zwingend Vorschrift" sein müssen, stellt das Gericht fest.
Opposition fordert Rücktritt des Verkehrsministers
Politisch schlägt das Transrapid-Unglück hohe Wellen. Die Opposition im Landtag wirft der Landesregierung im September 2007 eine Mitschuld an der Katastrophe vor und fordert den Rücktritt des damaligen Verkehrsministers Walter Hirche (FDP). Aber der Unfall hat keine politischen Folgen.
Teststrecke muss schließen
Ab 2008 wird zunächst ein Nachfolgemodell des Unglücks-Transrapids im Emsland getestet. Doch Ende 2011 kommt das Aus für die Teststrecke, rund 60 Mitarbeiter verlieren ihre Arbeitsplätze. Die Industrie investiert nicht mehr in die weitere Forschung, denn das Projekt Transrapid ist kein kommerzieller Erfolg. Pläne für verschiedene Strecken in Deutschland werden nicht realisiert. Weltweit besteht nur eine Verbindung, auf der eine Magnetschwebebahn im Regelbetrieb fährt: im chinesischen Shanghai.
Hyperloop-Tests auf alter Strecke?
Lange wird nach der Stilllegung der Teststrecke um deren Rückbau gestritten - insbesondere um die Frage, wer die Kosten dafür zu tragen hat. Unterdessen werden Überlegungen angestellt, die alte Transrapid-Teststrecke für aktuelle wissenschaftliche Zwecke zu reaktivieren. So wollen Wissenschaftler dort im Rahmen eines europäischen Hyperloop Forschungs- und Technologiezentrums die Mobilität der Zukunft erforschen. Das Hyperloop-System, das dort im Fokus stehen könnte, kombiniert die Magnetschwebetechnik mit dem Rohrpostprinzip und soll Züge auf Überschallgeschwindigkeit bringen können. Doch trotz einer Förderung durch das niedersächsische Wissenschaftsministerium bleibt die Frage der Finanzierung offen.
Im März 2021 meldet der chinesische Bahnkonzern "China Railway Rolling Stock" (CRRC) Interesse an einer Nutzung der Testrecke an, Ziel ist die Weiterentwicklung der Magnetschwebetechnik für Hochgeschwindigkeitszüge. Laut Testrecken-Betreibergesellschaft Intis müssten dafür allerdings zunächst etliche genehmigungsrechtliche Fragen geklärt werden.