Der Neubau des Israelitischen Krankenhauses in der heutigen Simon-von-Utrecht-Straße. © Israelitisches Krankenhaus Foto: Israelitisches Krankenhaus

Vom "Dorn im Auge der Nazis" zur modernen Klinik

Stand: 16.02.2021 09:10 Uhr

Wegen seiner Popularität wagen die Nazis lange nicht, gegen Hamburgs Israelitisches Krankenhaus vorzugehen. Doch mit Kriegsbeginn kommt es zur Enteignung. Ab Februar 1946 gelingt der Klinik der Wiederaufbau.

von Hanna Grimm, NDR.de

Kranke liegen in Blechbetten ohne Decken, aus den Matratzen quillt Stroh. Es gibt keinen Strom, der Schein der Petroleumlampen flackert an den Wänden. So oder ähnlich sieht es Mitte der 1940er-Jahren in einem der Acht-Bett-Zimmer des Israelitischen Krankenhauses in der Schäferkampsallee in Hamburg-Eimsbüttel aus. Was auf den ersten Blick wie eine trübe Szene der Nachkriegszeit erscheint, ist ein Bild der Hoffnung. Das jüdisch geprägte Hospital hat gerade wieder eröffnet - dank des Engagements des ehemaligen Verwaltungsleiters des Hauses, Felix Epstein. Dieser war 1942 deportiert worden, hatte das Ghetto Theresienstadt überlebt - und ist nun wieder zurück in Hamburg.

Ein Neuanfang nach der Nazi-Zeit

Der Neubeginn ist einer der wichtigen Momente in der Geschichte des Hauses. "Dass das Krankenhaus heute existiert, verdanken wir der großartigen, fast unfassbaren Initiative Epsteins", betont Peter Layer, Ärztlicher Direktor des Israelitischen Krankenhauses in Hamburg. "Juden hätten nach dem Krieg allen Grund gehabt, auf Rache und Vergeltung zu sinnen. Epsteins Tat war ein Werk der Versöhnung."

Juristische Schwierigkeiten bei der Wiederbelebung der Krankenhaus-Stiftung im Februar 1946, aber auch Personalmangel nach dem Krieg und mangelhafte Ausrüstung: Im Israelitische Krankenhaus fehlt es an vielem. So wird ein damaliger Hospital-Mitarbeiter in einer Festtags-Chronik zitiert, die zum 175-jährigen Jubiläum des Hauses erstellt worden war: "Bett und Operationswäsche war völlig unzureichend. Das Chefarztzimmer war gleichzeitig Laboratorium. Es wurden dort Blut- und andere Untersuchungen vorgenommen." Operationen seien wegen fehlender Ausrüstung verschoben worden, nur Notfälle konnten operiert werden.

Risse in den Wänden, Löcher im Boden

Das Gebäude in der Schäferkampsallee war massiv vom Zweiten Weltkrieg geschädigt. "Die Wände und Decken zeigten Risse, die Fenster schlossen schlecht [...]. In dem Linoleum der Fußböden befanden sich große Löcher", heißt der Chronik weiter. Es werden Pläne gemacht zur Renovierung, doch die Stadt entscheidet sich für einen Neubau. Am Rednerpult bei der Grundsteinlegung: Felix Epstein, der nun erneut eine Wiederauferstehung seines Projekts erleben kann. Wenn Peter Layer, der an der Krankenhaus-Chronik mitgeschrieben hat, diese Zeit analysiert, sagt er: "Wie Epstein das Haus wiederbelebt hat, ist mindestens genauso bewundernswert gewesen wie die ursprüngliche Gründung durch den reichen Hamburger Bankier Salomon Heine."

Weitere Informationen
Ausschnitt einer Lithographie von Otto Speckter mit eigenhändiger Signatur von Salomon Heine, 1842. © Heine-Haus e.V. Foto: Heine-Haus e.V.

Salomon Heine: Der Mann, der Hamburg rettete

Er gehört zu den wichtigsten Männern in Hamburgs Stadtgeschichte. Nach dem Brand 1842 finanzierte er den Wiederaufbau. mehr

Israelitisches Krankenhaus von Hamburger Mäzen Heine finanziert

Dieser hatte den Bau 1839 zum Andenken seine verstorbene Frau Betty mit einer Stiftung initiiert. Vier Jahre später nimmt das Krankenhaus an der heutigen Simon-von-Utrecht-Straße in St. Pauli den Betrieb auf - als erstes modernes Hospital Norddeutschlands, in dem die Ärzte ihr Patienten dauerhaft betreuen und sich gleichzeitig wissenschaftlich mit Medizin auseinandersetzen. Laut Layer damals keine Selbstverständlichkeit. "Außerdem hatten Juden einen guten Ruf, was Medizin angeht."

Das Krankenhaus soll nach dem Willen seines Stifters ein "Institut zur Aufnahme, Verpflegung und Heilung Israelitischer Kranker jedweden Alters und Geschlechts" sein. Tatsächlich ist es jedoch für alle Menschen geöffnet - nicht nur für Juden. "Menschenliebe zählte für Heine nur, wenn man sie lebte", so Layer über den einstigen Gönner. Der Neffe von Salomon Heine, der Dichter Heinrich Heine, lobte das Engagement seines Onkels kurz nach dessen Tod sogar mit einem eigenen Gedicht:

"Das neue Israelitische Hospital in Hamburg" von Heinrich Heine

Jüdische Klinik "ein Dorn im Auge der Nationalsozialisten"

Von Beginn an genießt das zweitälteste Hospital Hamburgs eine außerordentlich gute Reputation - die der Einrichtung zunächst auch während der Nazi-Zeit hilft. "Natürlich war das Haus den Nationalsozialisten ein Dorn im Auge. Aber die Popularität war so groß, dass sie es nicht einfach schließen oder umwidmen konnten", so Layer. Dennoch kommen mit dem NS-Regime dann auch für das Krankenhaus dunkle Jahre.

Enteignung und Bombenangriffe: Das Ende des Israelitischen Krankenhauses?

Die Nazis deportieren Ärzte, Schwestern und Verwaltungsangestellte. Weil sich immer weniger nicht-jüdische Menschen in dem Hospital behandeln lassen, gehen die Einnahmen zurück. 1939 dürfen nicht-jüdische Patienten gar nicht mehr behandelt werden. Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs beschlagnahmen die Nazis das Krankenhaus. Gebäude, Einrichtung und Restvermögen werden dem Staat überschrieben. Die wenigen Patienten kommen zunächst in der Johnsallee, dann notdürftig im ehemaligen jüdischen Siechenheim in der Schäferkampsallee unter. Schließlich verliert das Krankenhaus auch eine rechtliche Selbstständigkeit. Als Hamburg verstärkt ins Visier der alliierten Bomber gelangt, werden die Kranken größtenteils entlassen - denn bombensichere Räume zu deren Schutz sind nicht vorhanden.

Die Zeit des Israelitischen Krankenhauses scheint abgelaufen zu sein - bis Verwaltungsleiter Epstein nach Hamburg zurückkehrt. 1946 eröffnete das Hospital wieder - teilweise mit schlechteren Standards als Mitte des 19. Jahrhunderts. Doch die Patienten kommen wieder. In den 1960er-Jahren gelingt ein Neubau am Orchideenstieg in Alsterdorf, wo das Krankenhaus immer noch steht.

Vom kleinen Hospital zur Klinik

Von einem Haus mit 80 Betten ist das Israelitische Krankenhaus heute zu einer modernen Klinik mit rund 400 Mitarbeitern geworden: Jährlich lassen sich hier etwa 8.100 Patienten stationär behandeln. Spezialisiert hat sich das Hospital auf Tumorerkrankungen in den Verdauungsorganen. Einen guten Ruf genießt es in Hamburg nach wie vor. Das liege auch daran, dass das Hospital nicht renditeorientiert arbeite, meint Layer. "Damit sind wir mittlerweile eine Ausnahme." Für die Zukunft hofft er: "Dass uns das Gesundheitssystem erlaubt, so weiterzumachen wie bisher."

Karte: Das Israelitische Krankenhaus im Wandel

Dieses Thema im Programm:

Hamburg Journal | 08.10.2017 | 19:30 Uhr

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