Hitlers Hafen: So waren die Pläne der Nazis für Hamburg
Eine gigantische Elb-Brücke, ein Wolkenkratzer in Altona: So plante der Hamburger Architekt Konstanty Gutschow einen neuen Hafen. Unzählige Klinker wurden benötigt - produziert im Konzentrationslager Neuengamme.
Ein Wolkenkratzer nach Art des Empire State Buildings, eine Hängebrücke nach dem Vorbild der Golden Gate Bridge. Spektakulär plante der Hamburger Architekt Konstanty Gutschow ab 1939 den Hamburger Hafen. Sein Auftraggeber: Adolf Hitler.
"Hamburg hat etwas Amerikanisches", urteilt der Diktator bei einer Barkassenfahrt durch den Hafen der Hansestadt - so jedenfalls schreibt es der damalige Bürgermeister Carl Vincent Krogmann in seinen Memoiren. Entsprechend gigantisch wünscht sich Hitler für die "Hauptstadt der deutschen Schifffahrt" eine Silhouette, die Besucher mindestens so beeindruckt wie die Skyline New Yorks - am besten noch stärker. "Da soll das Hochhaus hin", soll Hitler bei der Bootsfahrt ebenfalls gesagt und mit dem Finger auf Altona gedeutet haben.
Die Botschaft: "Wir können mehr als die Amerikaner"
Gewaltig, Respekt einflößend, Bewunderung erweckend. So stellt sich der Diktator das Antlitz des neuen Hafens, ja Hamburgs insgesamt, vor. "Er wollte demonstrieren: Wir können mehr als die Amerikaner", erklärt Historikerin Sylvia Necker, die sich intensiv mit der Hamburger Stadtplanung im Nationalsozialismus beschäftigt hat, im Gespräch mit dem NDR 2013.
Für Hitler ist der Hafen der Hansestadt Schlüssel zur Herrschaft über den Welthandel. Entsprechend repräsentativ soll das Tor zur Welt des Nationalsozialismus neu gestaltet und das Zentrum von der Alster an die Elbe verlegt werden. Auch die "Kraft durch Freude"-Urlauber auf Kreuzfahrtschiffen wie der "Wilhelm Gustloff" sollen schon beim Ansteuern des Hafens über den Anblick der Handelsstadt staunen.
Neugliederung des gesamten Hafens
Eine Neugliederung des Hafens ist ebenfalls angedacht. Die Nationalsozialisten planen, den Fischereihafen nach Wedel-Schulau auszulagern. Störende Industrie soll nach Kattwyk-Hohenredder. Die bisher auf Waltershof konzentrierten, kriegswichtigen Mineralölhäfen sollen auf mehrere Standorte verteilt werden, damit bei möglichen Bombenangriffen nicht alle Raffinerien auf einmal zerstört werden.
Um den richtigen Mann für die umfangreichen Planungen von Hafen und Stadt zu gewinnen, lässt Hitler einen Wettbewerb ausrichten. Vier Architekten sind eingeladen. Am besten gefallen der Jury die Ideen des gebürtigen Hamburgers Konstanty Gutschow (1902-1978), der ab dem 1. April 1939 den Titel "Architekt des Elbufers" tragen darf.
Gutschows kometenhafter Aufstieg
Für den damals 37-Jährigen bedeutet diese Ernennung einen Karriereschub sondergleichen. Bis dato hat er eher durch Wettbewerbe und Beiträge in Architekturzeitschriften als durch reale Bauten von sich reden gemacht. Umgesetzt wurden bis dahin lediglich das Kaifu-Bad in Hamburg-Eimsbüttel sowie wenige kleinere Wohnhäuser. Nun hat der Einfamilienhaus-Architekt plötzlich den Auftrag, eine Stadt zu gestalten. Sein Büro wächst auf mehr als 150 Mitarbeiter, hinzu kommen rund 100 weitere technische Experten und Gutachter.
Der Verbrauch von Zeichenstiften im Büro steigt. Gutschow selbst reist zur Inspiration mehrmals in die USA. Bis ins Detail erkundet er die Konstruktionen der Hochhäuser und Brücken, um sie später auf Hamburger Verhältnisse zu übertragen.
Bis 1965 sollten die Pläne umgesetzt sein
Gutschow fabriziert ein Gedankenkonstrukt, das nach Vorbild der New Yorker Skyline Manhattan als "Elbhattan" beschrieben werden kann. Auf Höhe des heutigen Altonaer Balkons sollte das Gauhochhaus als Herzstück der Hafensilhouette emporragen. Dazu ein Gauforum und eine Volkshalle. Auf Höhe des heutigen neuen Elbtunnels sollte eine Hochbrücke mit 180 Meter hohen Pfeilern und einer Spannweite von 750 Metern über die Elbe führen.
Auch den Rest der Stadt gestaltet Gutschow in detaillierter Arbeit komplett um. Veranschlagte Kosten für das "Neue Hamburg": 1,6 Milliarden Reichsmark. Geplantes Bauende: 1965.
Neuengammer Häftlinge sterben bei Klinkerproduktion
Unzählige Steine werden benötigt, um die Pläne umzusetzen. Roter Klinker soll es sein. Produzieren müssen ihn ab Ende der 1930er-Jahre die Häftlinge im Konzentrationslager Neuengamme. Das bedeutet: schwere körperliche Arbeit in den Tongruben. Bei Wind und Wetter. Von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang. Wunde Hände, schmerzende Körper, leere Mägen. Gleichzeitig graben einige Zwangsarbeiter an einem Stichkanal, über den die Klinkersteine in den Hafen transportiert werden sollten. Viele sterben.
Gutschow plant. So ganz trifft er den Geschmack des verhinderten Architekten Hitler aber nie. Immer wieder präsentiert der Hamburger dem Führer neue Modelle des Hafens und der Stadt. Deutsche Soldaten ziehen in den Krieg. Gutschow zeichnet. Bomben fallen auf die Hansestadt. Gutschow entwirft neue Modelle. "Was sind schon die paar nächtlichen Besuche der Tommies [= Engländer, die Redaktion], die uns in den Keller schicken?", fragt er im Frühjahr 1941. "Wir stehen hier noch mitten in der Arbeit an der Zukunft nach dem Krieg."
"Bild der Trümmer rührt uns nicht"
Die zerstörten Häuser der Menschen und das Not und Elend auf den Straßen sind für Gutschow nur ein vorübergehender unerfreulicher Zustand - den es zu überwinden gilt. "Das Bild der Trümmer rührt uns nicht in der Seele", schreibt er. Er sieht es als Chance, die durch die schnelle Industrialisierung am Ende des 19. Jahrhunderts vergleichsweise wild gewachsene Stadt aufzuräumen und neu zu ordnen.
"Dem allergrößten Teil der baulichen Zerstörungen weinen wir keine Träne nach": Im Sommer 1943 legt die "Operation Gomorrha"Hamburg binnen weniger Tage in Schutt und Asche. 40.000 Menschen sterben. Etwa 750.000 Hamburger werden obdachlos. Für Gutschow lassen die zerstörten Häuser "nur umso deutlicher und lebendiger das Bild des zukünftigen Hamburgs, des Neuen Hamburgs, vor unseren Augen entstehen."
Dabei arbeitet er auf Anweisung des Regimes längst als Leiter des "Amts für kriegswichtige Aufgaben". Als solcher organisiert er Not-Unterkünfte für die ausgebombte Bevölkerung. Und wenn es die Zeit zulässt, plant und zeichnet er weiter an seinem Traum vom "Neuen Hamburg".
Pläne als Grundlage für den Wiederaufbau
Der ist nach Kriegsende ausgeträumt - vorerst. Mit vier Jahren Berufsverbot kommt Gutschow mehr als glimpflich davon. Da er während der Nazizeit sein Büro stets als Privatarchitekt weitergeführt hat, ist er offiziell unabhängig von den Behörden geblieben. Wie die meisten seiner Mitarbeiter flüchtet sich Gutschow unter den Deckmantel des Technokraten, der vom Ausmaß der nationalsozialistischen Gräuel nichts geahnt haben will. Es sei ihm immer nur um "die Sache" gegangen, verkündet er.
Das von ihm geplante Elbufer wird nach Kriegsende zwar nicht gebaut. Der sandige Untergrund hätte, sind sich Experten sicher, dem riesigen Gauhochhaus auch gar nicht standgehalten. Aber Gutschows Generalbebauungsplan für Hamburg dient nach dem Krieg als Grundlage für den Wiederaufbau. Und im Büro der Stadtplanung sitzen nach 1945 ehemalige Mitarbeiter des Elbufer-Architekten.
*Die Autorin ist nicht mehr für den NDR tätig. Die Urfassung dieses Beitrags wurde bereits 2013 veröffentlicht.