Conti-Hochhaus: Als das "Drei-Brötchen-Haus" Hannover überragte
65 Meter hoch steigt das neue Verwaltungsgebäude der Continental AG in den 50ern aus den Kriegstrümmern empor. Am 28. August 1953 wird es eingeweiht. Es gilt damals als höchstes und modernstes Bürogebäude der Bundesrepublik.
In einer Zeit, als zwischen Fräulein und Frau noch genau unterschieden wird, entsteht in Hannover am Königsworther Platz das 65 Meter hohe Conti-Hochhaus. Bei seiner Einweihung ist es das höchste und modernste Bürohaus in der Bundesrepublik. Nach einem Entwurf des Architekten Ernst Zinsser im Auftrag der Continental AG entsteht ein Bauwerk, das die Bewohner und die Wirtschaft in Hannover nach dem Zweiten Weltkrieg wieder hoffen lässt. Da an der Geschäftsstelle in Vahrenwald der Platz für die Personalverwaltung nicht mehr ausreicht, wird im Herzen Hannovers in die Höhe gebaut.
Einweihungsfeier bleibt in prägender Erinnerung
Am 28. August 1953 wird in Hannover groß gefeiert. Die Mitarbeiter der Continental AG strömen aus allen Firmenwerken an den Königsworther Platz und säumen den Straßenrand. Die Geschäftsführung hat zur Einweihungsfeier geladen. Ein Auto-Korso, den man heute wohl nur noch während Europa- und Weltmeisterschaften beim Fußball sieht, bahnt sich seinen Weg durch die Stadt auf das Gelände des neuen Verwaltungsstandorts der Continental AG. Die Gebäude sind nach Entwürfen der Architekten Ernst Zinsser und Werner Dierschke entstanden.
Drei Brötchenhälften zur Begrüßung für die Angestellten
Horst-Albert Jonas zieht 1957, nach seiner Lehre zum Industriekaufmann in Hameln, als neuer Mitarbeiter in die Personalabteilung, in das Conti-Hochhaus. Er selbst ist nicht bei der Einweihungsfeier dabei gewesen. Doch hat er noch die Geschichten seiner Kollegen im Ohr, bei denen diese Feier bleibenden Eindruck hinterlassen hat. Die wohl nachhaltigste Erinnerung der damaligen Mitarbeiter ist, dass jeder der Angestellten im neuen Hochhaus mit einem Frühstück begrüßt worden ist. Genau drei Brötchenhälften erhält jeder. Ein findiger Mitarbeiter gibt dem Gebäude daraufhin den Beinamen "Drei-Brötchen-Haus".
"Neue Moderne" überragt Kriegstrümmer
Die erste Erinnerung an das Hochhaus hat Horst-Albert Jonas, der später Personalchef des Unternehmens wird, noch vor der Fertigstellung des Gebäudes. Im Herbst 1952 besucht er seinen Onkel in Hannover. Auf dem Weg dorthin kommt er auch an dem Rohbau des Conti-Hochhauses vorbei. "Wahnsinn, so ein großes Gebäude!", erinnert er sich noch Jahre später. Hannover ist zu dieser Zeit noch völlig zerbombt. Mitten aus den Trümmern ragt nun dieser Prachtbau heraus. Für die Hannoveraner ein Zeichen dafür, dass es wieder aufwärts geht.
Das Hochhaus wird auf dem Gelände des ehemaligen Arbeitsamtes, das im Krieg komplett zerstört worden ist, gebaut. Jeder, der die Stadt über den Königsworther Platz erreicht, wird von der "Neuen Moderne" empfangen. An das Grundstück des alten Arbeitsamtes grenzt ein Friedhof, der auch teilweise für das neue Conti-Haus bebaut wird. Bei den Grabungen für das Fundament werden Skelette und einzelne Knochen entdeckt. Die menschlichen Überreste seien damals jedoch pietätvoll an anderer Stelle wieder beigesetzt worden, so Jonas.
Rohrpost und Fahrstühle: Neuland für Angestellte
"Die Zusammenballung von über 1.200 Menschen in den drei Gebäuden des Neubaus bringt Verkehrsaufgaben mit sich, welche nur durch entsprechende Auflockerung der Verkehrsstöße zu meistern sind", heißt es im Handbuch für das neue Hochhaus, das jeder Mitarbeiter bekam. Vor allem mit der damals hochmodernen Fahrstuhllogistik sind viele Menschen noch nicht vertraut. Sieben Fahrstühle sind allein im Bau 2, dem höchsten Gebäude, unterwegs. Der große Personenaufzug bringt die Belegschaft vom Erdgeschoss in die Stockwerke zwei bis vier. Auf der vierten Etage werden die Mitarbeiter in drei Gruppen aufgeteilt, denen jeweils zwei Fahrstühle zur Verfügung stehen, denn nicht jeder Fahrstuhl erreicht auch jedes Stockwerk.
Nicht nur durch die Fahrstuhltechnik sind alle Stockwerke miteinander verbunden, sondern auch durch ein Rohrpost-System, das mit Druckluft funktioniert. Im 14. Stockwerk steht eine Kantine für die Mittagspause zur Verfügung. Von dort aus haben die Mitarbeiter einen einzigartigen Blick über Hannover. In den ersten Jahren wird das Essen noch an den Tischen serviert.
Von Prokuristen-Klos und Ecken-Chefs
Leicht grinsend steht Horst-Albert Jonas vor dem Conti-Hochhaus und schaut auf den etwas monumentaleren Eingang eines Nebengebäudes. "Die Führungsriege hatte ihren eigenen Gebäude-Komplex mit einem schickeren Eingang", erinnert er sich. Die höheren Angestellten haben damals auch ihre eigene Cafeteria. Sie befindet sich im 13. Stock, die Tische sind mit weißen Tischdecken gedeckt und das Essen kostet ein paar Mark mehr. Die Abteilungsleiter sind aber nicht nur beim Essen unter sich. In jedem Stockwerk gibt es die sogenannten Prokuristen-Klos. Nur die Leiter haben Zugang mit einem Schlüssel. Die meisten Mitarbeiter arbeiten in großen Schreibsälen, die Chefs sitzen in einer Ecke des Raumes, von wo sie den ganzen Saal überblicken können. Unter den Arbeitern festigt sich der Begriff der "Ecken-Chefs". Erst in den 1970er-Jahren, als Carl H. Hahn Vorstandsvorsitzender der Continental AG wurde, baut man diese Ungleichstellungen ab.
Das Conti-Hochhaus heute
In den 1990er-Jahren wird auch das Conti-Hochhaus für die Personalverwaltung zu klein. Die Mitarbeiter ziehen erneut um. Seit 1995 dient das Grundstück als Campus der Leibniz-Universität Hannover mit den Schwerpunkten Literatur und Sprachen, Wirtschaft und Recht. Hans-Albert Jonas wird zum Personalchef bei der Continental AG. Für seine Fairness wird er von seinen Kollegen geschätzt. Zum Jahresende 1994 geht Hans-Albert Jonas in den Ruhestand, kehrt aber bereits 1995 an seine langjährige Wirkungsstätte zurück. Im Rahmen eines Senioren-Studiums studiert er Geschichte an der Universität Hannover. Einige Kurse finden auch im denkmalgeschützten Continental-Hochhaus statt.