Als Rendsburgs Innenstadt pulsierte
Bilder von früher im Vergleich mit Fotos von heute - möglichst aufgenommen von exakt derselben Position: Das ist das zentrale Element der Serie "Schleswig-Holstein früher und heute". So wollen wir den Wandel der Städte im nördlichsten Bundesland dokumentieren. NDR Autoren tauchen in die Stadtarchive ein. Dabei fördern sie persönliche Geschichten und historische Aufnahmen zu Tage, die teilweise in großem Kontrast zur Gegenwart stehen. Ein interaktiver Foto-Vergleich macht das besonders deutlich.
Von Daniel Kummetz
Die Hälfte der Ladengeschäfte steht leer, eins ist zugenagelt, in einem Haus sind sogar Fensterscheiben kaputt: Wenn man heute im unteren Teil der Rendsburger Nienstadtstraße steht, ist es schwer vorstellbar, dass diese Nebenstraße der Innenstadt mal eine gefragte Adresse war. Eine Gitarrenschule ist noch da, ein Kunstverein hat seine Ausstellungsräume hier, ein Second-Hand-Shop und ein Geschäft für neue Kleidung, Dekoartikel mit angeschlossenem Cafe. "Früher gab es hier alles für den täglichen Bedarf: Bäcker, Schlachter, Milchleute, Blumenläden", erzählt Dirk Ladewig. Seine Eltern, seine Tante und Großeltern hatten hier ein Jahrhundert lang ein Geschäft für Papier- und Bürobedarf, inklusive Druckerei. Dirk Ladewig war nach der Schule oft hier. "Ich habe in der Werkstatt bei meinem Vater gespielt, später dann - so mit zehn, elf Jahren - mitgedruckt". Das Haus Ladewig, ein verputzter Fachwerkbau, gibt es inzwischen nicht mehr - es wurde erst verkauft und dann abgerissen.
Die Rendsburger Nienstadtstraße 1968. Damals stand das Haus Ladewig noch - ein Papier- und Bürobedarfsladen mit Druckerei. Heute ist es abgerissen, ein Neubau ist an seiner Stelle errichtet worden - wie anhand des Schiebereglers zu sehen.
Sie finden 1.000 besondere Bilder
Vor dem Abriss räumte die ganze Verwandtschaft das Haus leer. "Das war unheimlich viel Material, Handarbeiten, Druckarbeiten. Die komplette Ladeneinrichtung war noch da", erinnert sich Dirk Ladewig. Er steht mit seiner Frau Irene vor dem Haus, an dessen Stelle der Laden seiner Eltern stand. Die Familie sichtete und sichtete. "Und dann sind uns alte Dias in die Finger gekommen", erinnert sich Irene Ladewig. "Ich glaube, das waren 3.000 Stück". Etwas später ist klar: Das sind nicht nur Urlaubsdias, sondern auch etwa 1.000 besondere Bilder. „Das sind Aufnahmen von den Sonntagsspaziergängen, von den Häusern und Landschaften in und um Rendsburg. Da kann man sehr gut sehen, wie sich Rendsburg von damals zu heute entwickelt hat", sagt Dirk Ladewig. "Uns war klar, die kommen auf keinen Fall weg", erinnert sich seine Frau Irene.
Ein Gedächtnisspiel mit ungleichen Paaren
Schnell entstand die Idee, irgendetwas daraus zu machen. Dirk Ladewig ist heute Mediengestalter und Digitaldrucker. Er schlägt vor, einen Kalender zu machen - jeden Monat ein Bild aus dem Rendsburger Stadtleben der 50er-, 60er- und 70er-Jahre - und zum Vergleich ein Bild vom selben Ort heute. Sie legten los, zeigten ein Exemplar einer Buchhandlung - und begannen dann eine größere Produktion. Acht Ausgaben sind nun entstanden. Im vergangenen Jahr kam ein weiteres Produkt dazu: ein Gedächtnisspiel - nach dem gleichen Konzept: Die Kartenpaare sind nicht identisch, sondern zeigen den selben Ort - einmal heute, einmal in der Wirtschaftswunderzeit.
Blick auf die Nordseite des Alstädter Marktes 1890 - früher tatsächlich auch ein Marktplatz. Bis zum Bau des Kaufhauses stand auf der Nordseite (links im Bild) eine Häuserzeile vor der Marienkirche. Rechts im Bild ist die Markthalle, in der sich heute ein Restaurant befindet.
Die erste Rolltreppe im Land
In der Sammlung befinden sich auch Aufnahmen vom Altstädter Markt und dem anliegenden Kaufhaus zwischen Marktplatz und Marienkirche. Sie zeigen einen Neubau aus den 50er-Jahren. "Ich kann mich dunkel daran erinnern, dass hier das Kaufhaus Grimme war, mit der ersten Rolltreppe Schleswig-Holsteins". In der Zeit war Rendsburg auch dank dieses Hauses attraktiv zum Shoppen, zog sogar Einkäufer aus dem Umland an. "Es gab damals da schon alles - wie später bei Karstadt, Hertie. Vom Knopf, über die Hose, zum Pullover, aber auch eine Nachttischlampe konnte man da bekommen", erinnert sich Ladewig. Das war damals etwas Besonderes. Grimme, Karstadt und auch Hertie sind längst Geschichte - und das Gebäude bald auch. Noch in diesem Monat soll der Abriss beginnen. Eine Käufergruppe möchte an der Stelle etwas Neues errichten - ein Seniorenheim.
Das dominanteste Gebäude auf dem Altstädter Markt ist allerdings das Alte Rathaus, das im 15. Jahrhundert noch als das Neue Rathaus bezeichnet wurde. Im 17. und 19. Jahrhundert wurde das Haus zweimal beschädigt und wieder aufgebaut.
Heute wird rund um den alten Hafen eingekauft
Wenn man die Rendsburger Fußgängerzone vom Altstädter Markt Richtung Schiffbrückenplatz geht, ändert sich das Bild der Innenstadt. Die Ladenlokale sind durchgängig vermietet, viele Menschen sind unterwegs. Auf dem Schiffbrückenplatz steht seit ein paar Jahren ein kleines Einkaufszentrum. An diesem Ort war schon einmal Motor und Mittelpunkt des wirtschaftlichen Lebens - als der Platz noch Anliegeplatz und später richtiger Hafen war - die Schiffbrücke, Rendsburgs wichtigster Anschluss an den Schiffsverkehr auf der Eider, bis ins 18. Jahrhundert hinein. Im 19. Jahrhundert wurde das Hafenbecken erst zum Teil, schließlich komplett zugeschüttet.
Die Rendsburger Schiffbrücke, um 1870: Dort, wo heute der Schiffbrückenplatz ist, gab es früher wirklich eine Anlegestelle - quasi seit der Stadtgründung. Später entstand an der Stelle ein Hafen. Doch irgendwann verlandete der Hafen und wurde 1870 erst zum Teil zugeschüttet, einige Jahre später dann vollständig.
Noch ist der Schatz nicht ganz gehoben
Bevor die Ladewigs auf den familiären Fotoschatz gestoßen sind, haben sie sich nicht besonders für die Stadtgeschichte interessiert. Doch das hat sich jetzt geändert. "Ich finde es schön, alte Bilder zu haben", sagt Irene Ladewig. Sie appelliert an Menschen, die Haushalte von älteren Verwandten auflösen, alte Fotos und Dias nicht wegzuwerfen. "Es gibt Leute, die etwas aus alten Fotos machen können." Der Fotoschatz des Ehepaars ist noch längst nicht ganz gehoben. Bisher konnten sie nur die Hälfte der Rendsburg-Dias digitalisieren. Viele sind noch nicht gesichtet. Für die Ladewigs ist das Abenteuer Stadtgeschichte noch nicht vorbei.
Die Straßendrehbrücke am Nord-Ostsee-Kanal um 1939: Bevor der Rendsburger Kanaltunnel gebaut wurde, mussten Pkw über eine Straßendrehbrücke den Kanal queren. Wenn es viel Schiffsverkehr gab, stauten sich die Pkw in die Stadt. Über die Drehbrücke fuhr auch die Rendsburger Kreisbahn zwischen Rendsburg und Hohenwestedt.