Als der Seemann noch nach Hause funkte
Seefunk und Schiffskatastrophen
So ging am 21. September 1957 ein Funkspruch in die Geschichte ein, der Notruf der "Pamir". Auf dem Weg von Buenos Aires nach Hamburg war der Großsegler auf dem Atlantik in Seenot geraten: "SOS, SOS, SOS von Pamir, stopp. Kommt sofort zu uns, stopp. Deutsche Viermastbark Pamir in Gefahr zu sinken, stopp." Aber die Zeit war zu knapp. Nach wenigen Stunden gab es keine Rettung mehr, das Schiff kenterte. Zuvor hatte Norddeich Radio noch eine Sturmwarnung herausgegeben. Vergeblich, die "Pamir" geriet direkt in den Hurrikan Carrie. Nun beteiligte sich die deutsche Küstenfunkstelle an der bis dahin größten Rettungsaktion der Seefahrtsgeschichte. Tagelang dauerte die Suche nach Überlebenden. Die traurige Bilanz des Unglücks: 80 Männer starben, nur sechs konnten gerettet werden.
Auch an der groß angelegten Suche nach dem verschollenen deutschen Frachtschiff "München" war Norddeich Radio beteiligt, sammelte Hinweise auf den Verbleib des Frachters. Im Dezember 1978 war er in Bremerhaven ausgelaufen und befand sich auf einer Atlantiküberquerung, als er vor den Azoren spurlos verschwand. Mehr als 100 Schiffe und 13 Flugzeuge suchten nach der "München", sie wurde nie gefunden. Die genaue Unglücksursache ist bis heute ungeklärt. Offenbar gab der Bordfunker die falsche Position an. Vermutlich wurde das Schiff Opfer einer Monsterwelle.
DDR-Frachter versinkt in der Biskaya
Von Schiffsunglücken blieb auch die DDR nicht verschont. Das bis dahin schwerste erlebte der Arbeiter- und Bauernstaat 1967, als der Frachter "Fiete Schulze" in der Biskaya in einen schweren Sturm geriet und kenterte. Zwar hörte der Funker des Fruchtschiffes "MS John Brinckmann", das ebenfalls unter DDR-Flagge fuhr, den schwachen Notruf. Doch konnte die "Fiete Schulze" nur noch eine unvollständige Positionsangabe machen. So waren die Retter aus dem eigenen Land nicht schnell genug vor Ort. Ein amerikanischer Tanker konnte einige Passagiere aufnehmen, aber 14 Menschen starben bei dem Untergang: Eine Tatsache, die die DDR-Regierung am liebsten vertuschen wollte - ebenso, dass westliche Schiffe an der Rettung der 28 Überlebenden beteiligt waren.
Auch medizinische Behandlungen oder Notoperationen wurden über Funk koordiniert. War kein Arzt an Bord oder konnte keiner eingeflogen werden, musste der Kapitän schon mal selbst die Behandlung durchführen - nach Anleitung aus der Ferne.
Alltag eines Küstenfunkers
Solche großen Dramen erlebte Bernd Wagemeyer in seiner kurzen Dienstzeit bei Rostock Radio nicht, kleine aber schon. Wenn etwa ein Reeder Pleite ging, lagen die Schiffe im Hafen, kamen nicht mehr weg und die Seeleute wollten nach Hause telefonieren. "Wenn dann keiner mehr die Rechnung übernahm, haben sie auch die Verbindung nicht gekriegt", erzählt er. "Das ging dann schon mal zu Herzen."
Rund um die Uhr, 365 Tage im Jahr, waren die Küstenfunker im Einsatz. Zu den wichtigsten Aufgaben von Wagemeyer und seinen Kollegen gehörte die Koordinierung von Schiffen der DDR-Handelsflotte. Wegen der geringen Reichweite des UKW-Funks zählten lediglich die Einzugsbereiche der Häfen Wismar und Rostock zu ihrem Gebiet. Mit dem Rest der Welt nahm Rügen Radio Kontakt auf, die übergeordnete Küstenfunkstelle.
"Der ganze Funkverkehr wurde auch überwacht", erinnert sich Wagemeyer. Falsche Formulierungen oder etwa die Nennung des Rufzeichens in der verkehrten Reihenfolge mahnte die Funküberwachung an. "Das kriegte dann der Chef und man wurde schon mal rangeholt."
Wende und Ende
Aufregend fand Wagemeyer die erste Hanse Sail 1991, geprägt von der Begeisterung und Aufbruchsstimmung der Nachwendezeit: "Das war vom Anblick schön, das war vom Gesprächsaufkommen toll. Wir waren mit drei Mann durchgängig da. Da ging es rund." Wenn er frei hatte, schaute er sich die vielen Segelschiffe im Hafen an. Über Funk entstanden Kontakte zur Besatzung, die dann schon mal zur Besichtigung an Bord einlud. Seine tägliche Arbeit bekam dadurch eine persönlichere Note.
Bis 1992 plötzlich Schluss war und Rostock Radio dicht gemacht wurde. "Wir waren alle ganz traurig", erinnert sich Bernd Wagemeyer, obwohl er danach als gelernter Elektriker bei der Deutschen Telekom in einem anderen Bereich Arbeit fand. Noch heute habe er zu Kollegen von damals Kontakt. "Weil das so eine ganz eigene kleine Welt für sich war."
- Teil 1: Ein menschlicher Draht zu den Seefahrern
- Teil 2: Aus der Geschichte des Küsten- und Seefunks