Stand: 12.08.2006 18:00 Uhr

Interview mit Günter Grass

Lohr: Günter Grass, was sagen Sie den Kritikern, und wir reden jetzt von den ernst zu nehmenden, die Ihnen gar nicht diese Waffen-SS-Mitgliedschaft vorwerfen, sondern die darauf insistieren und sagen, das Geständnis, das Eingeständnis, die Mitteilung ist gut, aber sie kommt zu spät?

Grass: Ja, diese Kritik muss ich wahrnehmen, und es ist eine, die ich mir selber stelle. Auch das wird im Buch deutlich. Ich hab’ es bis dahin nicht geschafft, ich kann nur, nicht entschuldigend, aber erklärend sagen, dass es bestimmte Themen gab, die bei mir lange lagerten, ich habe also auch erst zu einem sehr späten Zeitpunkt, obgleich der Stoff immer da war und auch gestaltet werden wollte, erst sehr spät - "Im Krebsgang" -, den Untergang der Wilhelm Gustloff schreiben können. Und gleiches trifft hier zu. Ich wäre nicht in der Lage gewesen, ich war nicht in der Lage, das einfach in der Öffentlichkeit mitzuteilen; ich hab’ das mit mir herumgetragen. Es war mit Pausen immer präsent, es war da, und erst als ich für mich die Form des autobiografischen Schreibens gefunden habe, war ich in der Lage, das mitzuteilen.

Lohr: Und was sagen Sie denen, die von Ihnen als moralischer Instanz nun enttäuscht sind?

Grass: Ja, ich muss mit dieser Kritik leben, ich will das alles auch nicht zurückweisen, wenn ich das so zur Kenntnis nehme, werd’ ich an meinen politischen Beurteilungen und meinen Einschätzungen nichts zurücknehmen. Ich habe, glaube ich, in all den Jahrzehnten als Schriftsteller wie auch als Bürger meine politische Position bezogen und habe mich zu einem sehr frühen Zeitpunkt, als das umstritten war, für den Brückenbau zwischen Deutschen und Polen, für das Gespräch zwischen Deutschen und Polen eingesetzt bei all den Schwierigkeiten, die noch während der Zeit der kommunistischen Zeit herrscht und die hat ja bis heute nicht abgenommen, davon nehme ich nichts zurück. Ich habe bestimmte soziale Mißstände in der Bundesrepublik kritisiert und angegriffen. Ich bin auch nach wie vor der Meinung, dass ein Mann wie Kurt Georg Kiesinger, der ein führender Nazi war, nicht hätte Bundeskanzler werden dürfen. Was soll ich davon zurücknehmen? Das sind Einschätzungen, die ich auch aufgrund meiner Erfahrungen gemacht habe. Ich gehöre zu dieser gebrannten Generation und habe daraus sehr früh dann nach und nach mit dem Wachsen meiner politischen Einsichten und Kenntnisse meine Konsequenzen daraus gezogen. Wenn man mir das zum Vorwurf machen will, gut, das muss ich dann hinnehmen, nur von diesen Dingen bin ich nicht bereit, etwas zurückzunehmen, und ich werde mich auch weiterhin als Schriftsteller wie auch als Bürger äußern.

Lohr: Günter Grass, die von Ihnen im Buch selber an manchen Stellen beklagten Erinnerungslücken und Filmrisse werden zum Teil jetzt durch Dokumente gefüllt, da gibt es jetzt Meldungen, dass aus Ihrer Entlassung bei der Kriegsgefangenschaft Archivfunde vorliegen. Wie bewerten Sie diese bisher gefundenen Schriftstücke?

Grass: Also, was ich bis jetzt gehört habe, ist es eigentlich ’ne Bestätigung dessen, was im Buch steht, dass ich bei der Waffen-SS-Panzerdivision Frundsberg gewesen bin. Das ist bekannt. Ich habe das vergessen, das so etwas registriert wurde; ich bin ja aus dem Lazarett in Gefangenschaft gekommen. Nachdem ich ausgeheilt war, kam ich in Gefangenschaft. Und da ist das sicher aktenkundig geworden und aufbewahrt worden, wie alles aufbewahrt wird, und bestätigt das, was ich im Buch schreibe.

Lohr: Wussten Sie, das möglicherweise Veröffentlichungen bevorstanden?

Grass: Das ist nun wirklich abenteuerlich und reine Spekulation und Behauptung. Ich habe vor drei Jahren angefangen, an diesem Buch zu arbeiten, und habe mich also unter keinerlei Druck durch Veröffentlichung bei Behörden gesehen. Der Zwang, den ich ausgeübt habe, der kam von mir. Ich habe mich gezwungen, darüber zu schreiben.

Lohr: Letzte Frage: Bei aller öffentlichen Erregung, die Sie auch in Ihrem Urlaub erreicht, Günter Grass, fühlen Sie sich erleichtert, dass das jetzt raus ist, dieses Stück Lebensbeichte?

Grass: Diese Erleichterung habe ich schon, bevor es überhaupt zu dieser Diskussion kam, gespürt. Also dieses schwierige Unterfangen, dieses Buch zu schreiben, das aus meiner Sicht mir als geglückt erschienen war. Da setzte diese Erleichterung ein. Ich muss abschließend sagen, jetzt liegt das Buch vor und die Leser können sich ein Bild machen - und ich hoffe, dass das Buch also auch in dem Sinne für mich sprechen wird.

Dieses Thema im Programm:

NDR Kultur | Das Gespräch | 12.08.2006 | 18:00 Uhr

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