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Fritz Reuter: Plattdeutscher Bestsellerautor mit Humor

Stand: 15.07.2024 12:18 Uhr

Erst mit Mitte 40 schaffte der Ex-Häftling Fritz Reuter aus Stavenhagen den Durchbruch. Seine plattdeutschen Werke begeisterten weltweit Millionen Leser. Am 12. Juli 2024 jährte sich der Todestag des Schriftstellers zum 150. Mal.

von Britta Probol

Wat den einen sin Uhl is, is den annern sin Nachtigall. Fritz Reuter, "Ut de Franzosentid"

Schulisches Desinteresse, Studienabbruch, jahrelange Gefängnis-Aufenthalte und dazu noch ein Alkoholproblem - eine bürgerliche Vorzeige-Karriere sieht anders aus. Trotzdem wurde aus Fritz Reuter einer der bedeutendsten Norddeutschen des 19. Jahrhunderts: Mit Mitte 40 schaffte er nach einigen Wirrungen den Durchbruch zum Erfolgsautor. Und das, obwohl er in niederdeutscher Mundart schrieb. Seine mecklenburgischen Typen wie Gutsinspektor Bräsig oder der Lausebengel Hanne Nüte haben Millionen Leser in München, Wien, selbst am Nordkap und in Übersee begeistert. In Hunderten von Auflagen und in elf Sprachen sind seine Bücher erschienen - nur zunächst nicht als Übersetzungen ins Hochdeutsche: Das ließ Reuter zu Lebzeiten nicht zu. Diese Übersetzungen erfolgten erst nach seinem Tod.

Früh den Sinn für Kunst entwickelt - nicht zur Juristerei geboren

Ein Selbstbildnis von Fritz Reuter von 1930. © Public Domain
In seinen Schuljahren beginnt Fritz Reuter zu zeichnen - des Öfteren ist er sich selbst Motiv.

Heinrich Ludwig Christian Friedrich Reuter, genannt Fritz, kommt am 7. November 1810 im Rathaus von Stavenhagen im Norden der Mecklenburgischen Seenplatte zur Welt. Sein Vater ist Bürgermeister, zugleich Stadtrichter und ein umtriebiger Unternehmer. Fritz teilt sein Zuhause mit einer jüngeren Schwester und zwei verwaisten Vettern, bis der Vater ihn 1824 auf die Gelehrtenschule in Friedland und danach auf das Gymnasium in Parchim schickt. Glorreich sind seine Leistungen nicht. Lieber malt und zeichnet der Junge, der schon als 15-Jähriger den Tod der Mutter verarbeiten muss. Doch die künstlerischen Neigungen des Filius sind dem Vater ein Dorn im Auge.

Gezwungenermaßen beginnt Fritz Reuter am 19. Oktober 1831 im Alter von 21 Jahren ein Jurastudium. Allerdings trifft man ihn eher zechend in geselliger Runde an als im Hörsaal oder im Studierzimmer der Universität Rostock.

Um des Vaters langen Arm zu entkommen, wechselt er ein Jahr später nach Thüringen an die berühmte Universität Jena. Sie gilt als Keimzelle der burschenschaftlichen Bewegung. "Ehre, Freiheit, Vaterland!": Für diese Werte begeistert sich schnell auch der Mecklenburger Jung und schließt sich gleich der  Jenaischen Burschenschaft "Germania" mit ihrer radikal-republikanischen Ausrichtung an. Noch 1832 wird er zum ersten Mal festgenommen.

Reuter verlässt Jena und will in Halle oder Leipzig weiterstudieren, wird dort aber nicht angenommen.

Reuters Jahre in Festungshaft

Besucher betreten durch ein Tor die Festungsanlage Dömitz. © picture-alliance / ZB Foto: Jens Büttner
Nach Haftstationen in Groß Glogau, Magdeburg und Graudenz landet Reuter 1838 in der mecklenburgischen Festung Dömitz.

Die Polizei findet den aus Jena geflohenen Freigeist am 30. Oktober 1833 in Berlin und kerkert ihn in der Festung Silberberg ein. Der Vorwurf: Teilnahme an hochverräterischen burschenschaftlichen Verbindungen in Jena und Majestätsbeleidigung. Er findet sich in Räumen wieder, die so feucht sind, dass "einem die Stiefel, die man nicht zufälligerweise an den Füßen hatte, vermoderten". Reuter wartet lange auf seinen Prozess. 1836 erfährt er das Todesurteil wegen Hochverrats, wird aber gleich darauf zu 30 Jahren Haft Festungshaft begnadigt. Später wird die Strafe auf acht Jahre reduziert. Insgesamt sieben Jahre, in denen er sich mit mancher "Buddel Win" tröstet und die ihm später reichlich Stoff für Erzählungen liefern, sitzt der Stavenhagener in unterschiedlichen Haftanstalten ein, unter anderem in der mecklenburgischen Festung Dömitz. Am 25. August 1840 wird er dort entlassen.

Heilsam: Reuters "Stromtid"

Fritz Reuter hält seine Ehefrau Luise im Arm - undatierte Fotografie. © picture-alliance / dpa
Mit 40 Jahren heiratet Reuter seine langjährige Freundin Luise Kuntze aus Roggenstorf (undatierte Fotografie).

Reuters halbherziger Versuch, das ungeliebte Studium weiterzuführen, endet in einem Desaster. 1841 lässt der Vater ihn aus Heidelberg abholen und zu einem Verwandten nach Jabel bringen. Dort, im Pastoren-Haus, soll er seine Trunksucht auskurieren.

Wieder in Mecklenburg entdeckt Reuter das Landleben für sich. "Ick segen de Landwirtschaft, sei hett mi gesund makt un hett mi frischen Maud in de Adern gaten", schreibt er später. Er nimmt eine Arbeit als "Strom", eine Art Auszubildender, auf einem Landgut nahe Demzin an und verliebt sich bald in Luise Kuntze, eine Pfarrerstochter aus Roggenstorf. Sie ist als Kindererzieherin im Haus des Pastors Augustin in Rittermannshagen tätig.

Rückbesinnung auf die künstlerische Begabung

Ein Wendepunkt ist das Frühjahr 1845: Der übermächtige alte Vater stirbt. Noch per Testament hat er Anweisungen für den weiteren Lebenswandel des Sohnes gegeben - de facto bedeutet das dessen Enterbung. Reuter junior aber begibt sich jetzt auf Künstlerpfade. Noch anonym veröffentlicht er ein paar kleine satirische Artikel in Zeitschriften auf Hochdeutsch, dann setzt er sich an eine sozialkritische Erzählung: "Herr von Hakensterz und seine Tagelöhner".

Die schriftstellerische Arbeit gibt Fritz Reuter neues Selbstbewusstsein. Mit inzwischen knapp 40 Jahren geht er als Privatlehrer für Turnen und Zeichnen nach Altentreptow, im Sommer darauf heiratet er seine Luise. Sie muss Klavierunterricht geben, um die schmale Haushaltskasse aufzubessern, Fritz Reuter dichtet - nun auf Plattdüütsch. Seine Scherzreime "Läuschen un Rimels" erscheinen 1853 im Selbstverlag. Ein Rückfall in die "platte" plattdeutsche Schriftstellerei sei das Buch, ätzt Dichterkollege Klaus Groth, doch es wird ein Bombenerfolg: Nach nur sechs Wochen sind sämtliche 1.200 Exemplare vergriffen.

Durchbruch als Schriftsteller op Platt

Fritz Reuter ist geselllig: 1856-63 hält er in Neubrandenburg regelmäßig Stammtisch (farbiger Lichtdruck von 1899 nach einem Aquarell von Johann Bahr. Berlin, Sammlung Archiv für Kunst und Geschichte) © akg-images
Reuter ist geselllig: Von 1856 bis 1863 hält er in Neubrandenburg regelmäßig Stammtisch (gemalt von Johann Bahr).

Reuter hat nun ein finanzielles Polster, das es ihm erlaubt, der Provinz den Rücken zu kehren. Er lässt sich in Neubrandenburg als freier Schriftsteller nieder. Dort gelingt ihm der endgültige Durchbruch: Es entstehen das sozialkritische Vers-Epos "Kein Hüsung" (1857) und seine drei großen Romane, die sogenannten Ollen Kamellen: "Ut de Franzosentid", "Ut mine Festungstid", "Ut mine Stromtid" (1. Teil, 1862). Der geschäftstüchtige Wismarer Verleger Dethloff Carl Hinstorff hat entscheidenden Anteil an Reuters Erfolgen.

Auswahl aus Fritz Reuters Werk

"Läuschen un Rimels" (1853): Scherzdichtungen
"Kein Hüsung" (1857): Ernstes Versepos, thematisiert soziale Fragen (mittellose Tagelöhner)
"Ut de Franzosentid" (1859): Heiterer Rückblick auf die Franzosen-Herrschaft 1806-1813
"Ut mine Festungstid" (1862): Leidenschaftslose, humorvolle Beschreibung seiner Gefangenschaft
"Ut mine Stromtid" (1862-64, 3 Teile): Umfassende Darstellung des kleinbürgerlichen und bäuerlichen Lebens in Mecklenburg mit charakterischen niederdeutschen Typen (Entspekter Bräsig).

Durch die wachsenden Kontakte mit anderen Intellektuellen wird Fritz Reuter die geistige Enge im damaligen Mecklenburg bewusst - ein Grund, warum er 1863 mit Luise nach Thüringen übersiedelt. In Eisenach lässt er sich direkt unterhalb der Wartburg eine feudale Villa erbauen. Im selben Jahr verleiht ihm die Uni Rostock die Ehrendoktorwürde. Sein neu gewonnener Status ermöglicht ihm auch Vergnügungen wie eine zweimonatige Orientreise, die er 1864 antritt und ebenfalls literarisch verarbeitet.

Anfang April 1874 erleidet er einen Schlaganfall und ist dananch auf einen Rollstuhl angewiesen. Am 12. Juli desselben Jahres stirbt er in seiner Villa in Eisenach. Er wird 63 Jahre alt.

Ein Mann verlässt den Kunstkaten in Ahrenshoop. © NDR Foto: Screenshot
AUDIO: Fritz Reuter -Vom Rebellen zum Nationalhelden (36 Min)

Bleibende Andenken an den Dichter Fritz Reuter

Als humorvoller und hintersinnig-kluger Unterhalter hat Fritz Reuter Zugang zu Menschen aller Generationen und Schichten gefunden, seine Romane und Figuren wurden im In- und Ausland verfilmt. Reuters Verdienst ist es bis heute - zusammen mit Klaus Groth -, das Plattdeutsche von der Mundart des einfachen, "ungebildeten" Volkes zur Literatursprache erhoben zu haben.

Dem Leben und Werk des Dichters ebenso wie der niederdeutschen Sprache widmet sich das Fritz-Reuter-Literaturmuseum in Stavenhagen, das im ehemaligen Rathaus untergebracht ist. Seit 1999 vergeben das Museum und die Stadt jährlich den mit 2.000 Euro dotierten Fritz-Reuter-Literaturpreis für Lyrik oder Prosa in niederdeutscher Sprache. Die Verleihung findet traditionell am 7. November, dem Geburtstag Fritz Reuters statt. Als eines von zwei plattdeutschen Profi-Ensembles in Deutschland bringt die Fritz-Reuter-Bühne in Schwerin seit 1926 niederdeutsche Stücke auf die Bühne.

Weitere Informationen
Die Fritz-Reute-Büste in der Hansestadt Wismar. © NDR

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Dieses Thema im Programm:

Nordmagazin | 07.07.2024 | 19:30 Uhr

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