Reuter-Jahr: Lesung "Ut mine Festungstid" von Gerd Micheel
Der Todestag des niederdeutschen Schriftstellers Fritz Reuter jährt sich 2024 zum 150. Mal. Aus diesem Anlass stellt der NDR Archiv-Aufnahmen des Romans "Ut mine Festungstid" online.
An vier Sonntagen ab 26. Mai, jeweils 20 Uhr, sendet NDR 1 Radio MV die Aufnahmen.
Bereits mit seinen Kindheitserinnerungen "Ut de Franzosentid" hatte Fritz Reuter seinen besonderen Ton gefunden: 1859 war der Roman auf Plattdeutsch erschienen und drei Jahre darauf legt Reuter nach. "Ut mine Festungstid" beschreibt seine Zeit in Haft, doch nicht als große, bittere Abrechnung mit denen, die ihn hinter Gittern gebracht hatten, sondern als durchaus humorvolle Beschreibung der inneren und äußeren Vorgänge in dieser für ihn so prägenden Zeit. Schließlich ist Reuter gerade 22 Jahre alt, als er festgenommen und eingekerkert wird.
Und so ist "Ut mine Festungstid" eine Erzählung, die vor allem von Kameradschaft und gegenseitiger Hilfe handelt, ja von Liebe sogar und einem Alltag, der heute kaum vorstellbar ist. Ausgespart bleiben die politischen Umstände, unter denen Reuter in diese Lage gebracht wurde, dennoch nicht und auch nicht die Tragik bleibt verborgen, die der Schriftsteller rückblickend im Schicksal seiner eigenen Person erkennt.
"Ut mine Festungstid" - die Radio-Bearbeitung
Die Aufnahmen von Reuters Werken mit Schauspieler Gerd Micheel am Mikrofon gehören zu den besten, die Liebhaber oder auch Neu-Entdecker des Niederdeutschen, finden können. Die besondere Ruhe des Vortrags, das authentische Plattdeutsch Mecklenburgs, die präzise und unprätentiöse Charakterisierung der Reuterschen Figuren allein mit den wenigen Akzenten, die Gerd Micheel setzt, sind in dieser Schönheit wohl kaum noch einmal zu finden. Wenn, dann bei Gerd Lüpke, der unter anderem Reuters "Ut de Franzosentid" für den NDR eingesprochen hat. Diese Aufnahmen sind als CD erschienen.
Sendezeiten der plattdeutschen Lesung
Den Archiv-Angaben zufolge sind die hier vorliegenden Aufnahmen von "Ut mine Festungstid" Ende der 1960er-Jahre für den Rundfunk der DDR entstanden. Dafür wurde der Reutersche Originaltext geringfügig gekürzt. An vier Sonntagen ab 26. Mai, jeweils 20 Uhr, sendet NDR 1 Radio MV die Aufnahmen im linearen Programm - im Wechsel mit dem Niederdeutschen Hörspiel und den Wiederholungen der aktuellen Sendung "De Plappermoehl". Online ist die Lesung "Ut mine Festungstid" auf dieser Seite komplett verfügbar - und auch im Podcast-Feed "Plattdeutsches aus MV".
Der Sprecher Gerd Micheel
Gerd Micheel, geboren 1926 in Schwerin, war Schauspieler an der niederdeutschen Fritz-Reuter-Bühne, am Mecklenburgischen Staatstheater und von 1960 an am Volkstheater in Rostock. In der Hansestadt leitete er ab 1968 zwei Jahre lang die Staatliche Schauspielschule. Gerd Micheel hat einen Großteil des Werkes von Fritz Reuter für den Rundfunk gesprochen, er wirkte außerdem mit in Filmproduktionen und Hörspielen.
Historischer Hintergrund: Fritz Reuter in den 1830er-Jahren
Leicht ist es in Preußen in den 1830er-Jahren für einen Studenten verurteilt zu werden: die Burschenschaften gelten als geheime politische Verbindungen und schon die Mitgliedschaft oder das Wissen um revolutionäre Schriften, Beschlüsse oder Treffen können in einem Todesurteil münden.
Fritz Reuter ist Mitglied der Jenaischen Burschenschaft Germania, im Juli 1832 tritt er bei und noch im selben Jahr wird er zum ersten Mal verhaftet.
In Jena erträumen sich die Studenten der Verbindung "Germania" eine Republik, einen deutschen Nationalstaat mit Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz und Bürgerrechten. Spottlieder auf den Adel singen sie in den Kneipen. Das genügt bereits, um in den Fokus preußischen Strafverfolgung zu geraten. Bis 1836 Jahre verurteilt das preußische Kammergericht mehr als 200 Studenten wegen Hochverrats.
Der 22-jährige Fritz Reuter wird auf der Heimreise von Berlin nach Stavenhagen festgenommen, ein Gericht erklärt ihn für schuldig der Majestätsbeleidigung und der Mitgliedschaft eben in der Burschenschaft "Germania". Das Todesurteil wird später abgemildert: 30 Jahre Festungshaft stehen dem jungen Mecklenburger nun bevor. Sieben davon wird er absitzen, dank einer Intervention des mecklenburgischen Großherzogs.
Die Stationen seiner Haft: die Festungen Silberberg und Groß Glogau in der heutigen Woiwodschaft Niederschlesien, die Festung Magdeburg und die Festung Graudenz, etwa 100 Kilometer südlich von Danzig.
Im Sommer 1840 wird Fritz Reuter aus Festung Dömitz entlassen, nachdem er die letzten zwei Jahre Haft dort verbracht hatte.