Ölgemälde von Heinrich Engelhard Steinweg in seiner Werkstatt. © Steinway & Sons

Henry E. Steinway: Der Piano-Pionier kommt aus dem Harz

Stand: 30.06.2022 08:40 Uhr

Seinen ersten Flügel baute Heinrich Engelhard Steinweg in einer Harzer Waschküche. Als Henry E. Steinway schrieb er in den USA eine Erfolgsgeschichte sondergleichen. Am 22. Februar 1797 wurde der Klavierbauer in Wolfshagen geboren.

von Kristina Festring-Hashem Zadeh

Verborgen vor den strengen Augen der Zunftbeauftragten tüftelt im Jahr 1836 ein armer, junger Tischler namens Heinrich Engelhard Steinweg in der Waschküche seines Seesener Wohnhauses an einer besonderen Konstruktion - so jedenfalls erzählt es die Unternehmenslegende. Offiziell ist ihm der Instrumentenbau nicht gestattet, doch Steinweg fühlt sich berufen. Er baut ein neuartiges Instrument, das andere Klaviere vergleichsweise schnöde tönen lässt: den ersten Steinweg-Flügel.

Dies ist die wohl bekannteste der vielen Anekdoten, die sich um den Gründer des Piano-Imperiums ranken. Experten bezweifeln zwar, dass es sich wirklich so zugetragen hat. Doch sicher ist: Der später als Henry E. Steinway bekannt gewordene Niedersachse Heinrich Engelhard Steinweg hatte beachtliches Talent für den Klavierbau und ein eben solches für die Vermarktung seiner Instrumente.

Heinrich ist einziger Überlebender eines Blitzschlags

Am 22. Februar 1797 kommt Steinweg in Wolfshagen, einem Dorf bei Seesen im Harz, zur Welt. Kindheit und Jugend sind entbehrungsreich und von Schicksalsschlägen geprägt. Für Bildung fehlt das Geld. Schon früh unterstützt Heinrich seinen Vater, einen armen Köhler. Als der Junge 13 Jahre alt ist, stirbt seine Mutter. Im Juni 1812 erlebt Heinrich eine weitere Katastrophe: Bei einem Gewitter kommen sein Bruder und sein Vater ums Leben - nur Heinrich überlebt das Unwetter, das die drei Steinwegs im Wald überraschte.

Als Soldat bastelt Steinweg Zithern aus Fichtenholz

Klavierbauer Henry Steinway, geboren 1997 als Heinrich Engelhard Steinweg in Wolfshagen. © picture-alliance / newscom / Picture History | J. Gurney
Bevor er als Henry E. Steinway erfolgreicher Klavierbauer wurde, baute Steinweg zum Zeitvertreib bereits Zithern.

Mit 17 Jahren schließt er sich dem Truppencorps des Herzogs von Braunschweig, Friedrich Wilhelm, an. Erzählungen zufolge soll er das Signal zur Schlacht von Waterloo geblasen haben - doch Steinweg-Biografen rechnen auch dies der Legende zu. Belegt ist indes, dass Steinweg die freie Zeit beim Regiment nutzt, um erste Saiteninstrumente zu bauen: Zithern aus getrockneten Fichtenholz, auf denen er sich die Zeit vertreibt. Obwohl er nie zuvor Musikunterricht hatte, erwirbt er sich mit dem Nachspielen einfacher Melodien den Ruf eines begabten Musikers.

Das erste Klavier baut Steinweg aus Liebe

Nach Ende seiner Garnisonszeit arbeitet Steinweg zunächst in Goslar als Tischler und Orgelbauer. Sein Meisterstück: ein kunstvoll gearbeiteter Schreibtisch. Das erste Klavier soll er indes aus Liebe gebaut haben - für "Jungfer Johanne Juliane Henriette Thiemer", die Tochter eines gut situierten Handschuhmachers aus Seesen. Die Umworbene öffnet Steinweg ihr Herz ebenso wie die Tür zum gesellschaftlichen Aufstieg. Im Mai 1825 heiraten sie. Steinweg richtet sich eine Tischler-Werkstatt in Seesen ein. Im November kommt der erste Sohn, Theodor, zur Welt. Insgesamt schenkt Juliane im Laufe der Zeit zehn Kindern das Leben.

Steinweg rührt Werbetrommel - und verlost zwei Pianofortes

Steinway © Steinway & Sons
Steinwegs erster Flügel, der "Ur-Steinway".

Mit Leidenschaft widmet sich Steinweg dem Piano-Bau. Intensiv studiert er die Konstruktion alter englischer und moderner deutscher Instrumente, deren Techniken er zusammenführt und ergänzt. 1836 sucht er per Anzeige im "Wochenblatt des Kreises Gandersheim" einen Käufer für den ersten selbst gefertigten Flügel. Der "Ur-Steinway" soll als "kitchen piano" in die Geschichte eingehen. Um seine Instrumente einer größeren Öffentlichkeit bekannt zu machen, verlost er zudem zwei Pianofortes.

Mit den Jahren wird er zu einem anerkannten Klavierbauer. Doch die Zeiten sind politisch wie wirtschaftlich unruhig. Auch die behäbigen deutschen Behörden, die dem Emporkömmling immer wieder Ausbaupläne vereiteln, sind ein Grund dafür, dass Steinweg zu neuen Horizonten aufbricht.

Aus Steinweg wird Steinway - und der Erfolg in Amerika

Christian Friedrich Theodor Steinway © Steinway & Sons
Christian Friedrich Theodor Steinway bleibt zunächst als einziger Steinweg zurück in Deutschland.

Um seinen zweiten Sohn Karl vor dem Militär zu bewahren und ihn gleichzeitig die Lage in den USA erkunden zu lassen, schickt Steinweg ihn 1849 nach Amerika. Karl schildert viel Positives aus dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten - also machen sich der 53-jährige Heinrich, Juliane und sieben ihrer Kindern im Mai des Folgejahres ebenfalls von Hamburg aus per Schiff auf den Weg nach New York. Der älteste Sohn, Theodor, führt das Geschäft in der Heimat weiter.

In den USA nennt sich Heinrich Engelhard Steinweg fortan Henry E. Steinway. Ansonsten soll der als Analphabet geltende Klavierbauer nur radebrechend Englisch gesprochen haben. Um den amerikanischen Pianoforte-Bau kennenzulernen, arbeitet er mit seinen Söhnen zunächst in diversen Fabriken. 1853 gründen sie als Steinway & Sons in einem Hinterhaus das erste Geschäft.

Erfinderisch bei der Fertigung und beim Vermarkten

Schnell spricht sich die Qualität ihrer Instrumente herum. Die präzise gebauten, klangvollen Pianos sind begehrt und bescheren den Steinways neben immer neuen Aufträgen zahlreiche Preise. Immer wieder machen sie mit technischen Neuerungen von sich reden, auf ein Patent folgt das nächste - bis heute sind es mehr als 140.

Ebenso erfinderisch wie bei der Fertigung ihrer Flügel sind die Steinways bei deren Vermarktung. Das Unternehmen versorgt bekannte Pianisten mit ihren Instrumenten, organisiert Tourneen - und nutzt die Stars zugleich als Werbeträger. Die Strategie funktioniert bis heute. Künstler wie Klassik-Pianist Lang Lang oder Popstar Billy Joel sind nur zwei von etlichen Beispielen.

Arbeiteraufstände und Tod des Gründers

Doch auch dunkle Kapitel durchziehen die Familiengeschichte. Anfang der 1860er-Jahre streiken in den USA viele Arbeiter wegen niedriger Löhne und zu langer Arbeitszeiten - auch bei Steinway. Die Familie bezahlt Polizisten, um die Arbeiter in Zaum zu halten und lässt viele ins Gefängnis werfen.

Als 1865 kurz hintereinander seine Söhne Henry jr. und Charles sterben, ist Steinweg tief getroffen. Theodor, der sich bis dato um das deutsche Geschäft gekümmert hat, verkauft an Wilhelm Grotrian. Unter dem Namen Grotrian-Steinweg baut das Unternehmen in Braunschweig bis heute ebenfalls Flügel und Klaviere.

Zur Unterstützung des New-York-Geschäfts kommt auch Theodor in die USA. Gemeinsam mit Bruder William kümmert er sich um die Firma, aus der sich ihr Vater immer mehr zurückzieht. Am 7. Februar 1871 stirbt der Piano-Pionier Heinrich Engelhard Steinweg.

Ab 1880 produziert Steinway in Hamburg

Eine historische Zeichnung der "Steinway Piano-Fabrik" © Steinway & Sons
Damals in der Schanzenstraße: 1880 siedelte sich Steinway hier mit einer "Piano-Fabrik" an.

Sein Werk lebt weiter - und expandiert. Ein 1875 in London eröffnetes Verkaufsgeschäft erweist sich als außerordentlich lukrativ. Folglich will die Familie auch in Europa produzieren. Die Wahl fällt auf Hamburg, das mit seinem Hafen besonders gut an den Rest der Welt angeschlossen ist. Außerdem sind die Löhne zu dieser Zeit weitaus niedriger als in New York. 1880 eröffnet Steinway sein Werk in der Schanzenstraße.

Anfangs bauen die Arbeiter hauptsächlich aus New York importierte Teile zusammen. Dies ändert sich nach der Jahrhundertwende. Da die Preise für Metall in Deutschland stark gesunken sind, erscheint es wirtschaftlicher, vor Ort einzukaufen.

Zu Beginn des Ersten Weltkriegs produzieren die Werke in Amerika und Europa voneinander unabhängig. Bis heute unterscheiden sich die Flügel in bestimmten Eigenschaften. So ist der New Yorker Steinway seidenglanzschwarz lackiert, der Hamburger hochglanzpoliert. US-Instrumente haben eine rechtwinklige Tastenklappe, die aus der Hansestadt eine abgerundete. Auch sollen die europäischen heller klingen als die amerikanischen.

Im Weltkrieg fertigt Steinway Gewehrkolben und Särge

Transporter mit Holzkisten vor der Fabrik Steinway & Sons in Hamburg, undatierte Aufnahme. © Steinway & Sons
In den 1920er-Jahren entsteht in Hamburg eine neue Steinway-Fabrik. Dort wird bis heute produziert.

Zwischen 1923 und 1928 errichtet das Unternehmen eine neue, größere Fabrik am Rondenbarg in Hamburg-Bahrenfeld. Rund 500 Mitarbeiter produzieren die edlen Tasteninstrumente dort bis heute - was pro Instrument ohne Holz-Trocknung etwa zwölf Monate dauert.

Während des Zweiten Weltkriegs fertigt das Hamburger Werk Etagenbetten und Gewehrkolben für die deutschen Soldaten an. In den USA entstehen aus den edlen Hölzern Lastensegler und Särge für die US-Streitkräfte.

1972 verkauft der letzte Nachfahre das Familienunternehmen

Der letzte Steinway-Nachfahre und Urenkel des Gründers, Henry, verkauft das Familienunternehmen 1972 an die amerikanische Columbia Broadcasting Systems Inc. Seither hat Steinway bereits mehrfach den Eigentümer gewechselt. So auch im August 2013 - nach einem kurzen Bietergefecht erwirbt der Hedgefonds-Manager John Paulson das Unternehmen für 512 Millionen US-Dollar.

Steinways "Spirio" für das eigene Star-Konzert zu Hause

Die unanfechtbar hohe Qualität der Instrumente solle auf jeden Fall bleiben, so das damalige Versprechen, das wohl auch gehalten wird. Und auch der digitale Zeitgeist hat Einzug gehalten im Hause Steinway. Unter dem Motto "spielen und spielen lassen" bietet der Klavierbauer hartgesottenen Fans ein nicht ganz günstiges Extra: Mit "Spirio" werden verschiedene Flügel-Modelle zum Selbstspieler. Steuerbar per App spielt das Instrument die im stetig wachsenden Archiv verfügbaren Chopin-, Liszt-, Mozart- oder auch Beatles-Interpretationen hochkarätiger Pianistinnen und Pianisten ganz ohne eigenes Zutun - ein digital gesteuertes Privat-Konzert am eigenen Instrument. Selber spielen geht natürlich immer noch.

Dieses Thema im Programm:

DAS! | 29.06.2022 | 18:45 Uhr

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