Sendedatum: 04.11.2014 18:45 Uhr

Die Mütter vom DRK

von Ilka Kreutzträger

Ungewohnte Unterstützung

"Erstmalig hatten wir das Gefühl, dass die Bürger das richtig gut finden, was wir da so tun. Das waren wir ja nicht gewohnt. Wenn man sonst sagte: 'Ich betreue Asylbewerber' war damit meist das Gespräch beendet, es gab betretenes Schweigen und die Gesprächspartner wechselten schnell zum Thema Wetter", sagt sie. Nun aber lief die Kleiderkammer über vor Spenden. Eine Weile waren die Übersiedler schon von Weitem an den gleichen blauen Trainingsanzügen mit weißen Streifen zu erkennen, die ein Sportartikelhersteller gespendet hatte. Später radelten die Neubürger alle mit den gleichen gespendeten Fahrrädern durch die Stadt.

DDR-Bürger warten auf dem gelände der deutschen Botschaft in Prag auf ihre Ausreise.
Flüchtlinge in der Prager Botschaft: Rund 260 von ihnen sollten mit einem Sonderzug nach Neumünster kommen.

Unbürokratisch, mit diesem Wort fassen die beiden Frauen ihre Arbeit 1989 zusammen und erinnern sich an den Sonntag, nach dem die Prager Botschaft geöffnet wurde. "Ich saß gerade beim Frühstück, als ich hörte, dass in der Nacht die Botschaft in Prag aufging und der Nachrichtensprecher sagte, dass 200 dieser Übersiedler nach Neumünster kommen", erzählt Markowski-Bachmann, die sofort vom Tisch aufsprang und ins Büro eilte. "Wir trudelten alle nach und nach auf dem Schleusberg ein, unser Chef auch und wir riefen die Leitstellen und die Verbindungsoffiziere der Aufnahmestellen in Bayern und Baden-Württemberg an, die hatten aber auch noch keinen Überblick."

260 Mal Begrüßungsgeld aus der Privatschatulle

In den Nachrichten stieg derweil die Zahl derjenigen, die noch am selben Tag mit einem Sonderzug nach Schleswig-Holstein und damit zum DRK Neumünster kommen sollten, auf 260 an. 260 Übersiedler bedeuteten für die engagierten Rot-Kreuzlerinnen, dass sie 260 Schlafplätze organisieren und 260 Mal Begrüßungsgeld bereitstellen mussten. Sie hängten sich ans Telefon und brachten ein ortsansässiges Kaufhaus dazu, ihnen die Tore zu öffnen, so dass sie Handtücher und Hygieneartikel für den erwarteten Flüchtlingsansturm kaufen konnten. Der damalige DRK-Vorsitzender Herbert Gehrisch öffnete für das Begrüßungsgeld seine Privatschatulle. "Dann warteten wir. Wir waren mit allem ausgestattet und warteten", sagt Markowski-Bachmann. "Aber: Sie kamen nicht!"

Mona Rödel
Mona Rödel arbeitet seit 25 Jahren beim DRK, der Ansturm 1989 war für sie "eine tolle Erfahrung".

An diesem Sonntag kam kein Sonderzug, kamen keine 260 Übersiedler. Erst am Montag betraten einige Flüchtlinge das DRK-Büro, die aus der Prager Botschaft kamen. "Aber wir waren vorbereitet", sagt die 55-jährige Rödel. "Und wir haben auf jeden Fall gelernt, wie schnell man unbürokratisch Hilfe auf die Beine stellen kann. Das war schon eine tolle Erfahrung."

Bis der große Flüchtlingsansturm Anfang 1990 langsam abebbte, arbeiteten Mona Rödel, Petra Markowski-Bachmann und ihre Kollegen an sieben Tagen in der Woche und gingen nur für wenige Stunden zum Schlafen nach Hause. "Wir haben für jedes von unseren 'Häschen', wie wir sie gern nennen, eine Unterkunft gefunden und viele haben es geschafft, hier Fuß zu fassen", erinnert sich Markowski-Bachmann.

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DAS! | 04.11.2014 | 18:45 Uhr

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