Mauerfall: "Ein Moment, den ich nicht vergesse"
"Also Privatreisen nach dem Ausland können ohne Vorliegen von Voraussetzungen, Reiseanlässe und Verwandtschaftsverhältnisse beantragt werden. Die Genehmigungen werden kurzfristig erteilt." "Wann tritt das in Kraft?" "Das trifft, nach meiner Kenntnis, ist das sofort, unverzüglich." Dieser Wortwechsel zwischen SED-Funktionär Günter Schabowski und einem Journalisten am 9. November 1989, live im DDR-Fernsehen übertragen, ging in die Geschichte ein.
Jane Mayer aus Hagenow in Mecklenburg-Vorpommern, damals 21 Jahre alt, studierte gerade in Ost-Berlin: "Der Fernseher lief und wir hörten das und haben gesagt 'Häh? Hast du das eben auch gehört?'", erzählt sie. "Seit dieser Minute kann ich mich an alles erinnern, es ist nie verblasst. Es war so ein Moment, den ich auch nicht vergesse."
Am Grenzübergang gibt es kein Halten mehr
Sofort fuhr Jane Mayer mit Freunden per Straßenbahn zum Grenzübergang. Sie hörte, wie die Menge "Tor auf" rief. Dann sah sie, wie der Grenzübergang geöffnet wurde - und dann gab es kein Halten mehr. "Die Leute sind dann da rüber", erzählt sie. "Ich weiß noch genau, mein Herz hat geschlagen wie verrückt, und ich war total aufgeregt. Und dann waren dort Leute, die ihre Telefone aus dem Fenster gehalten haben und meinten, wir könnten jetzt unsere West-Verwandtschaft anrufen. Ich hatte nur die Nummer meiner Eltern im Kopf und habe dann sozusagen im Osten angerufen", erinnert sie sich. "Das war natürlich auch kurios."
Ihre Mutter Hanna hatte vom Fall der Mauer allerdings noch überhaupt nichts mitbekommen. "Und dann ruft sie an: 'Ich bin drüben, ich bin in West-Berlin!'", erinnert sich die 79-Jährige. "Da hab ich gesagt 'Du spinnst, das kann doch nicht angehen. Wie bist Du denn dahin gekommen?'" Jane habe erzählt, wie an der Bornholmer Straße der Grenzübergang geöffnet wurde und sie in den Westen gegangen sei. "Wie kommst du denn wieder zurück? Du kannst doch nicht da bleiben, dann kommen wir nicht wieder zusammen - das geht doch nicht", habe sie zu ihrer Tochter gesagt - "ich war vollkommen aufgeregt."
Bananen für die Ost-Deutschen
Auch aus Angst um die Tochter fuhr Hanna Mayer am nächsten Tag nach Berlin - und natürlich über die Grenze: "Und dann sah ich einen Lkw, da wurden immer Bananen herunter gereicht für die Ost-Deutschen, die rüberkamen." Sie habe sich auch selbst welche holen wollen, erzählt Hanna Mayer. Aber ihr Mann habe sie abgehalten. "Wenn die uns filmen, dann bin ich morgen meine Arbeit los", habe er gesagt. "Dann durfte ich mir keine Bananen holen."
Ergriffenheit im Westen
Und im Westen? Dort saßen die Kruses auf ihrem Hof im niedersächsischen Bleckede vor dem Fernseher. Ergriffen - aber auch nachdenklich. Opa Günther, heute 86 Jahre alt, und Schwiegersohn Manfred erinnern sich. "Das ging so runter wie Öl, man konnte das einfach gar nicht so glauben", schildert Manfred seine Eindrücke. Und Günther Gruntzke sagt: "Ich dachte: 'Hm, was was wohl wird?'"
Zweifel bleiben
Skepsis herrschte nicht nur bei den Kruses im Westen. Auch bei Jane Mayer, die an diesem 9. November erstmals die Grenze von Ost nach West überquerte, blieben neben der Freude auch noch einige Zweifel. Noch am selben Abend fuhr sie nach Ost-Berlin zurück - aus Sorge, dass die Grenzöffnung nur ein Versehen war. "Uns war nicht klar, dass das wirklich so bleiben könnte."