Oljean Ingster - Häftling Nummer 106 955 - ist tot
Er überlebte acht Konzentrationslager der Nazis und war 1948 in Schwerin Gründungsmitglied der Jüdischen Landesgemeinde Mecklenburg: Oljean Ingster. Am 20. Mai 2023 ist das langjährige Mitglied der Jüdischen Gemeinden in Schwerin und Berlin im Alter von 95 Jahren gestorben.
Oljean Ingster kam am 2. Februar 1928 in Proszowice in der Nähe von Krakau zur Welt. Bereits 13 Jahre später machte sich der Junge drei Jahre älter, um in ein Arbeitslager zu kommen. Das war im September 1941. Der polnische Jude wurde von den deutschen Besatzern zusammen mit seinen Eltern und seiner Schwester sowie Hunderten anderen Juden aus der Region in der Nähe von Krakau inhaftiert. Oljean Ingster sah seine Familie nie wieder, er selbst überlebte in den folgenden dreieinhalb Jahren acht Konzentrationslager. Am 2. Mai 1945 endete das Martyrium in Mueß bei Schwerin. Der damals 17-jährige Oljean Ingster war einer von Hunderten Häftlingen eines KZ-Todesmarsches aus Sachsenhausen.
Ingster überlebt Todesmarsch aus KZ Sachsenhausen
Vier Jahre zuvor - 1941 - musste der Junge für Daimler-Benz im Flugmotorenwerk Reichshof arbeiten. Später folgten unter anderem die Konzentrationslager Plaszow sowie Flossenbürg, Lager in Elsass-Lothringen und schließlich das KZ Sachsenhausen. Von dort aus marschierte der Häftling mit der Nummer 106 955 in Richtung Nordwesten, bis am 2. Mai 1945 der Todesmarsch kurz vor Schwerin endete.
KZ-Häftlinge wehren sich mit Waffen
In einem ausführlichen Gespräch mit dem NDR erinnerte sich der damals 87-Jährige im Jahr 2015, wie die SS-Wachleute an jenem 2. Mai noch versuchten, Häftlinge zu erschießen. Diese fanden aber in den umliegenden Wäldern Waffen und wehrten sich. In Schwerin waren bereits amerikanische Soldaten einmarschiert und so seien die SS-Bewacher geflohen.
Einen Tag später, so berichtete Oljean Ingster, waren am Störkanal auch die ersten sowjetischen Soldaten. Russen und Amerikaner hätte da sogar Fußball gespielt. Er selbst bekam von einem Bäcker Brot, übernachtete gemeinsamen mit seinem Lagerkameraden, dem 20 Jahre älteren Arzt Wolf-Thadeusz Epstein in einem Stall. Später erhielten der ehemalige Häftling "100 Reichsmark und einen Anzug, der viel zu groß war".
Als Kantor in der größten Synagoge Deutschlands
Oljean Ingster blieb 1945 in Schwerin, holte seinen Schulabschluss nach und begann zudem eine Ausbildung zum Elektromonteur.
Als Jude engagierte sich der junge Mann beim Aufbau einer Jüdischen Gemeinde. 1948 wurde die Jüdische Gemeinde Mecklenburg mit Sitz in Schwerin zugelassen. Dort leitete er Ende der 1940er,- Anfang der 1950er-Jahre als Kantor auch regelmäßig Gottesdienste. 1960 zog Oljean Ingster nach Berlin. 1966 gestaltete er dann erstmals in Deutschlands größter Synagoge - in der Rykestraße in Prenzlauer Berg - als Kantor einen Gottesdienst und übernahm diese Aufgabe bis 2016.
Entwicklung Jüdischer Gemeinde Schwerin stets verfolgt
Wie sich die 1994 neu gegründete Jüdische Gemeinde in Schwerin entwickelte, verfolgte Oljean Ingster immer wieder aus Berlin. So war er zur Amtseinführung von Landesrabbiner William Wolff im April 2002 ebenso in Schwerin wie sechs Jahre später, als die neue Synagoge eingeweiht wurde. Es sei eine große angenehme Überraschung, sagte er im Dezember 2008, "ich hätte es mir nie vorgestellt, dass hier eine Synagoge gebaut wird, dass hier überhaupt eine Gemeinde entsteht." Und weiter: "Als ich hier wegging, war kaum ein Jude da und jetzt sind es so viele Mitglieder, Zuwanderer. Ich freue mich über diese lebendige Gemeinde. Und es ist wichtig für das Land, dass man hier wieder eine Gemeinde in der Mitte des Landes hat."
Auf sein langes Leben schaute Oljean Ingster schon 2015 in einem ausführlichen Gespräch mit dem NDR, auch mit der Erinnerung an seine Leidenszeit während des Zweiten Weltkriegs, so zurück: "Man musste das Richtige tun und das Andere unterlassen. Ich hatte immer irgendwie einen Schutzengel gehabt."