Dresden: "Wir müssen den Bogen zum Heute schlagen"
Am 13. Februar 1945 begannen die verheerenden Luftangriffe auf Dresden. Am 70. Jahrestag wird ausgiebig daran erinnert werden. Auch Bundespräsident Joachim Gauck wird nach Dresden kommen und in der Frauenkirche sprechen. Der Schriftsteller Ingo Schulze kam 1962 in Dresden zur Welt. In seiner Jugend ist er vielen Zeitzeugen begegnet, die das Bombardement überlebt hatten. In der Schule hörte er damals vom "anglo-amerikanischen Terrorangriff" - ohne zu wissen, wie er sagt, dass die Nazi-Propaganda ganz ähnlich geklungen hatte.
NDR Kultur: Herr Schulze, das Gedenken an den Februar 1945 ist nicht problemfrei verlaufen, um es zurückhaltend zu formulieren. Gleich nach der Wende, am 13. Februar 1990, trat der Holocaust-Leugner David Irving auf und beschrieb vor 500 Menschen den Luftangriff als "Völkermord". Neonazis kochten ihr Süppchen, es gab eine Gegenbewegung. Wie nehmen Sie das Gedenken seit der Wende wahr?
Ingo Schulze: Es ist ein Zwiespalt. Aus heutiger Sicht ist das schon ein völkerrechtswidriges Bombardement. Andererseits hat es den letzten in Dresden verbliebenen Juden, das weiß man durch Victor Klemperer, das Leben gerettet. Es ist nach heutigen Begriffen völkerrechtswidrig gewesen. Wie das allerdings instrumentalisiert wird, das ist ziemlich furchtbar, weil es eigentlich denen das Wort redet, die dafür verantwortlich sind, dass es zu diesem Krieg gekommen ist. Ich habe das am 13. Februar 2010 miterlebt: Da bin ich nach Dresden gefahren, um mich mit in den Weg zu stellen, diesem Neonazi-Aufmarsch. Und das ist damals gelungen. Das Schwierige daran war, dass diejenigen, die sich da in den Weg stellten, kriminalisiert wurden, weil das "richtige" Gedenken auf der anderen Elbseite war. Die hielten sich da an der Hand. Was ja richtig ist, so eine Menschenkette zu machen - wenn das nicht die anderen, die sich tatsächlich in den Weg stellten, so kriminalisiert hätte.
In den vergangenen Wochen ist wegen der PEGIDA-Bewegung wieder viel über Dresdner Selbstwahrnehmung und eine Dresdner Sonderstellung gesprochen worden. Inwieweit mögen die Luftangriffswellen vom Februar 1945 nach wie vor konstitutiv sein für das Dresdener Selbstverständnis?
Schulze: Sie sind es wahrscheinlich so wie in allen Großstädten, die bombardiert worden sind. Man muss sich, glaube ich, hüten, Dresden immer diese Sonderrolle zuzuschreiben, denn die kommt tatsächlich aus der Goebbels-Propaganda und ist dann auch in neuerer Zeit von Neonazis und rechtsradikalen Gruppen sehr bewusst aufgegriffen worden. Natürlich steckt das in so einer Stadt drin. Wie sollte es anders sein?
Ihr Dichter-Kollege Durs Grünbein hat in der ZEIT eine "Abrechnung mit der Mentalität meiner Heimatstadt" publiziert. Tenor: Auf den PEGIDA-Demonstrationen offenbare sich die Dresdener Seele. Wie sehen Sie das?
Schulze: Also, solche statischen Zuschreibungen - da wäre ich vorsichtig. Man muss da, glaube ich, sehr konkret werden. In Dresden hat sich immer sehr vieles polarisiert. Und das scheint heute auch wieder so zu sein. Denken Sie nur an etwas, das gar nichts mit PEGIDA oder dem 13. Februar zu tun hat: Wie es im Herbst 1989 in Dresden zuging - es war eigentlich die einzige Stadt, wo es wirklich massive Gewalt, und da auch von beiden Seiten, gegeben hat.
Gerade ist per Staatsakt ein Bundespräsident verabschiedet worden, der im Mai 1985 von der Befreiung Deutschlands durch den Sieg der Alliierten gesprochen hatte. Was wünschen Sie sich vom amtierenden Bundespräsidenten Joachim Gauck, wenn er nach Dresden kommt?
Schulze: Dass er in diesem Sinne auch etwas sagt - es als eine Befreiung zu sehen. Und auch diese Sonderrolle Dresdens, mit allem Respekt, infrage zu stellen. Es ist eben ein Schicksal ganz vieler deutscher Großstädte gewesen. Und dann wäre natürlich mein Wunsch an ihn, dass er auch einen Bogen zur heutigen Auseinandersetzung schlägt - sowohl dazu, was im Land passiert, als auch dazu, wie man sich generell gegenüber Krieg verhält.