Wie war das Leben an der innerdeutschen Grenze?
Am Sonnabend wird in Berlin der 30. Jahrestag des Mauerfalls begangen. Doch die Ereignisse vom 9. November 1989 betrafen nicht nur die 166 Kilometer lange Mauer rund um West-Berlin, sondern auch einige Übergänge am knapp 1.400 Kilometer langen Stacheldrahtzaun, der sich von der Ostsee bis in den Bayerischen Wald zog, und so auch Südniedersachsen von Thüringen trennte. Daran erinnert seit Jahren das Grenzlandmuseum Eichsfeld. Ein Gespräch mit der Leiterin des Museums, Mira Keune.
Frau Keune, was geschah bei Ihnen in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1989, als alles gebannt nach Berlin starrte?
Mira Keune: Am Montag zuvor gab es eine Demonstration in Heiligenstadt, und am Donnerstag, den 9. November, gab es eine in Leinefelde. An diesem Tag waren mehr als 20.000 Menschen auf dem zentralen Platz in Leinefelde und haben sowohl ihren Unmut über die Zustände geäußert als auch Forderungen gestellt. Irgendwann ging dann das Gerücht herum, dass es eine Pressekonferenz gab und dass es darin um die Öffnung der Grenzen ging. Einer der Teilnehmenden ist unser Vorsitzender gewesen. Er ist dann in seinen Heimatort Teistungen gefahren, aber da war die Grenze noch zu. Das war gegen 20, 21 Uhr. Keiner wusste hier am Grenzübergang irgendetwas und es gab keine Chance - alles beim Alten also.
Gegen 22 Uhr hieß es dann, man brauche eine Genehmigung vom Kreispolizeiamt in Worbis. Also sind die Leute nach Worbis gefahren, haben sich dort eine solche Genehmigung geholt und sind dann wieder zum Grenzübergang gefahren. Sie standen hier in langer Schlange, bis dann tatsächlich um 0.35 Uhr dieser Grenzübergang aufging. Auf der anderen Seite, in Niedersachsen, standen auch Leute, einschließlich des Bürgermeisters, und haben auch gewartet und gehofft, dass dieser Grenzübergang aufgehen würde. Es hieß ja, dass mit den neuen Reiseregelungen, die Günter Schabowski verkündet hat, Ostdeutsche nun ohne Vorlage irgendwelcher Genehmigungen innerdeutsche Grenzübergänge nutzen durften. Es gab ein großes "Hallo", als die ersten Trabis rüberfuhren. Es gab Freude, Emotionen, Tränen, die da ohne Ende geflossen sind, weil man sich kaum vorstellen konnte, dass man jetzt tatsächlich einfach so rüberfahren konnte. Das war etwas, was alle, die dabeigewesen sind, nicht vergessen werden.
Was ging in der Nacht einerseits zu Ende, und was fing andererseits in der Nacht an?
Keune: Das war ein Moment von größter Emotionalität, und das Reflektieren, Einordnen, Hoffnungen formulieren - ich glaube, das kam erst in den nächsten Tagen, als die Schlange an Autos so unendlich lang war, dass klar war, dass das der Anfang vom Ende dieser Zweistaatlichkeit war. In diesen Grenzregionen gab es immer diese Zusammengehörigkeit, denn man hat ja die Orte über die Grenze hinweg gesehen, man hat die Kirchenglocken läuten hören. Auch 40 Jahre konnten nichts daran ändern, dass die Leute auf beiden Seiten der Grenze wussten, dass das eine widernatürliche Grenze ist. Insofern ist dort das Bewusstsein dafür, dass die beiden Staaten zusammenkommen müssen, sehr groß gewesen. Wenn man sich die Dynamik der Demonstrationen in Eichsfeld anschaut, dann geht es auch nach dieser Grenzöffnung sofort um Forderungen nach der Deutschen Einheit.
Sie erinnern daran am kommenden Wochenende mit drei sehr aufwendigen Projekt, die sie auf dem ehemaligen Todesstreifen eingerichtet haben. Was erwartet da die Besucherinnen und Besucher?
Keune: Wir haben für dieses besondere Gedenkwochenende eine Lichtkunstfirma gewinnen können, die unsere Einrichtungen bespielt, und zwar auf drei Ebenen. Zum einen wird unser Hauptgebäude ein ehemaliges Gebäude des Grenzübergangs, mit Licht, Ton und Klanginstallationen bespielt. Außerdem das gesamte Museumsgelände und der ehemalige Todesstreifen. Diese Lichter sollen gesteckt werden in Gedenken an die Toten dieser Grenze, aber auch an die Kraft der Demokratie vor 30 Jahren. Sie erhalten eine eigene Klanginstallation. Wenn man diese 800 Meter geht, kann man Geschichte "erlaufen" entlang dieser Lichter. Das Hauptgebäude unseres Museums bekommt eine große Bildinstallation; dafür holen wir unser Archiv aus dem Keller. Die Lichtkünstler haben von uns ganz viel Material zu 40 Jahre Teilung bekommen und haben daraus eine Crossmedia-Installation gemacht mit Dias, mit Fotos und mit bewegten Bildern. Es wird noch weitere sieben Standorte auf dem Museumsgelände geben, wo es weitere Impressionen gibt, um sich an die Zeit vor 30 Jahren, die Demonstrationen und wie sie sich entwickelt haben, zu versetzen.
Als die Grenze im Eichsfeld geöffnet worden ist, war sehr schnell die Rede davon, dass man eins ist - anders womöglich als an anderen Standorten. Nun wird aber bis heute immer noch davon gesprochen, dass die Grenze in den Köpfen weiter bestehe. Erleben Sie die bei sich auch?
Keune: Ja und nein. Manchmal haben wir hier Leute im Museum, die sagen, dass es doch noch eine ganze Menge Unterschiede gibt. Aber es gibt auch Leute, die sagen, dass das alles Quatsch ist, dass wir zusammen gehören. Gerade im Eichsfeld sieht man, wie gut das zusammengewachsen ist. Das Letztere überwiegt bei uns - und daran lassen die Menschen auch nicht rütteln.
Das Gespräch führte Jürgen Deppe