Hass und Mitleid für deutsche Flüchtlinge in Dänemark 1945
Die Heimat liegt 1945 in Trümmern: Eine Viertelmillion Deutsche flieht in den letzten Kriegsmonaten nach Dänemark. Die Dänen schwanken zwischen Hass für die Feinde und Mitleid für die Hilfsbedürftigen.
In den letzten Kriegsmonaten 1945 zwingt das Naziregime das besetzte Dänemark, rund 250.000 deutsche Flüchtlinge aufzunehmen. Die Menschen, überwiegend Frauen, Kinder und Alte, sind vor der Roten Armee vor allem aus Pommern, Ost- und Westpreußen geflüchtet und werden nun in einer "Evakuierungsoperation" zum Teil auch gewaltsam ins nördliche Nachbarland weitergeschoben. Ein großer Teil der Flüchtlinge wird per Schiff über die Ostsee nach Dänemark gebracht. Dafür wurden alle zur Verfügung stehenden Schiffstypen eingesetzt, neben Kriegsschiffen auch Fischerboote und Tanker. Die Überfahrt war gefährlich. So versenkte ein sowjetisches U-Boot das Passagierschiff "Wilhelm Gustloff", das voller Flüchtlinge war. Rund 9.000 Menschen starben.
Viele der Flüchtlinge waren von der Flucht traumatisiert, ausgehungert und krank. 13.000 Menschen sterben kurz nach der Ankunft, darunter sind 7.000 Kleinkinder unter fünf Jahren.
Dänen schwanken zwischen Hass und Mitleid
Das kleine Land Dänemark mit gerade einmal vier Millionen Einwohnern sieht sich vor der größten humanitären Herausforderung seiner Geschichte: 250.000 Flüchtlinge müssen in kurzer Zeit in Schulturnhallen, Kirchengemeinden und Kasernen untergebracht, medizinisch versorgt und ernährt werden; während die dänische Bevölkerung selbst kaum genug zu essen hat und unter dem Terror der Besatzungsmacht leidet. Entsprechend schwanken die Dänen zwischen Deutschenhass und Mitleid: Die Geflüchteten kommen zwar aus Nazideutschland, sie sind "Feinde", aber sie haben alles verloren und brauchen Schutz und Hilfe.
Alliierte verweigern Abschiebung nach Kapitulation
Nach der deutschen Kapitulation im Mai 1945 hofft Dänemark, die Flüchtlinge schnell abschieben zu können. Doch die Alliierten verweigern dies wegen der chaotischen Lage in den deutschen Besatzungszonen. Dänemark interniert die Flüchtlinge deshalb in Lagern und verhängt ein strenges Kontaktverbot. Man möchte verhindern, dass sie sich in Dänemark niederlassen, und vorbereitet sein, sie baldmöglichst gesammelt zurückzuschicken.
Die Deutschen machen 1945 rund fünf Prozent der Bevölkerung in Dänemark aus. Nach und nach etabliert sich ein organisiertes ziviles Leben in den Lagern mit gewählten "Bürgermeistern", Schulen und Freizeiteinrichtungen. Aber auch mit Umerziehung durch neue Schulbücher und Aufklärungsfilme.
Der letzte Flüchtlingszug 1949
Die Versorgungslage und die gesundheitliche Situation der Menschen verbessern sich zusehends. Im November 1946, nach eineinhalb Jahren, verlassen die ersten Flüchtlinge Dänemark Richtung Westdeutschland. Der letzte Flüchtlingszug rollt am 15. Februar 1949.
Zeitzeugen erinnern sich
Überlebende Zeitzeugen, damals Kinder zwischen fünf und 15 Jahren, erinnern sich in der Reihe Unsere Geschichte im NDR Fernsehen an dramatische Monate und den Sieg der Menschlichkeit. Die Schwestern Irmgard Ritgens (1930-2023) und Edith Cyrus (geb. 1937) flüchten im Februar 1945 mit ihrer Mutter und ihren Geschwistern aus Königsberg, heute Kaliningrad. Über die Ostsee gelangen sie unter dramatischen Umständen nach Dänemark. Die Mädchen werden von Dänen bespuckt, bekommen aber auch kleine Geschenke durch den Stacheldrahtzaun gereicht und knüpfen zarte Kontakte mit den Kindern des Hausmeisters, trotz des Fraternisierungsverbots.
Elsbeth Schönrock (geb. 1933) flieht mit ihrer Mutter und ihrer Schwester aus Danzig. Sie erinnert sich an Wochen voller Angst, ehe sie am 1. Mai 1945 Kopenhagen erreichen. "Jetzt kann uns nichts mehr passieren, jetzt sind wir in Sicherheit", sagt die Mutter. Tragischerweise stirbt sie kurz darauf an den Folgen eines irrtümlichen alliierten Luftangriffs auf einen Flüchtlingszug im Bahnhof von Skjern, ausgerechnet an dem Tag, als der Krieg in Dänemark endet. Elsbeth erinnert sich an die Entbehrungen im Lager, an die fehlende Intimsphäre in den engen Mehrbettzimmern, aber auch an viele unbeschwerte Kindheitsmomente.
"Eine große humanitäre Leistung"
Jörg Baden (geb. 1939) und seine Familie fliehen unter russischem Beschuss von Warnemünde nach Kiel. Nur mit Mühe kann seine Mutter davon abgehalten werden, in Panik mit ihm und seinem Bruder an der Hand in die Ostsee zu springen. Jörgs Vater ist Flugzeugkonstrukteur bei Heinkel. Später kann er im Lager Oksbøl als Mathematiklehrer arbeiten, weshalb die Familie aus der Baracke in ein Steinhaus umziehen darf. Jörg erkrankt an Diphterie, die Ärzte im Krankenhaus in Haderslev retten ihn. Seine Mutter bekommt von Dänen unerlaubterweise ein Fahrrad geliehen, um den Sohn in der Klinik besuchen zu können. Jörg Badens Familie siedelt 1947 ins Rheinland über. Jörg wird Lehrer für Englisch und Geschichte, er hat vier Kinder und sieht im Umgang der Dänen mit den deutschen Flüchtlingen "eine große humanitäre Leistung". Zwei seiner Töchter leben inzwischen in Dänemark.
Ein Lager als fünftgrößte Stadt Dänemarks
Oksbøl in Westjütland ist zwischen 1945 und 1949 das größte Flüchtlingslager in Dänemark. Mit mehr als 35.000 Bewohnern gilt es vorübergehend als fünftgrößte Stadt des Landes. Auf dem ehemaligen Lagergelände befindet sich neben dem Lagerfriedhof seit 2022 das FLUGT Refugee Museum of Denmark, das einerseits die Geschichte der deutschen Flüchtlinge in Dänemark aufarbeitet und andererseits Flucht als allgemeines Menschheitsthema behandelt. Jörg Baden hat es sich zur Aufgabe gemacht, hier Schülergruppen aus ganz Europa seine persönliche Geschichte nahezubringen und bei Führungen über den Friedhof für innere Einkehr und ein friedliches Miteinander zu werben.
"Verspätete dänische Kriegsanstrengung"
Der Historiker John V. Jensen vom Varde Museumsverbund arbeitet als Kurator für das FLUGT Museum. Er hat die Geschichte der deutschen Flüchtlinge in Dänemark aufgearbeitet und vertritt eine differenzierte Sichtweise: "Wir Dänen waren weder großartig, so das jahrzehntelange Narrativ, noch waren wir unmenschlich, wie Kirsten Lylloff uns das attestiert hat", sagt er. Die dänische Ärztin und Historikerin hatte die Öffentlichkeit mit dem Vorwurf geschockt, die Mediziner Dänemarks hätten den Not leidenden deutschen Kriegsflüchtlingen bewusst die Hilfe versagt und so den Tod Tausender Kinder in Kauf genommen. Die dänische Gesellschaft, so Jensen, habe alles in allem die Aufgabe angenommen, die Flüchtlinge menschenwürdig unterzubringen und zu versorgen. Man habe den großen Aufwand und die immensen Kosten als eine Art "verspätete dänische Kriegsanstrengung" gesehen, da das Land insgesamt glimpflich durch den Zweiten Weltkrieg gekommen sei.