Da waren es nur noch leere Rahmen
Ein spektakulärer Kunstraub in der Nacht auf den 30. Juli 1978 bringt die Leitung der Hamburger Kunsthalle und den Senat in Bedrängnis. Dem Dieb von 22 Gemälden hatte man es offenbar viel zu leicht gemacht.
Als die Mitarbeiter der Kunsthalle Hamburg am Morgen des 30. Juli 1978 gegen 5 Uhr ihren Kontrollgang durch die Ausstellungsräume starten, ist der Schock groß: Sie stoßen an diesem frühen Sonntag auf ein offenes Fenster im Hochparterre und 22 leere Bilderrahmen. Schnell steht fest: Unaufmerksame Nachtwächter und eine defekte Alarmanlage hatten dem Dieb "beste" Bedingungen geliefert - und der nutzte sie vollumfänglich aus. Eine Situation, die nicht nur die Museumsleitung, sondern auch den Hamburger Senat in Bedrängnis bringen soll.
22 Bilder gestohlen - ein Mitnahmeeffekt?
Die Polizei geht zunächst von einer Auftragsarbeit aus und glaubt, dass das Mädchen-Porträt "Vor dem Spiegel" von Edgar Degas und das Bildnis der "Madame Lériaux" von Auguste Renoir die eigentlichen Ziele waren. Die anderen Bilder von Malern der "Hamburger Schule" aus dem 19. Jahrhundert habe der Dieb dann einfach auch noch mitgenommen, weil er ausreichend Zeit hatte. Es schellte ja keine Alarmanlage. Kein Nachtwächter kam vorbei.
Gemälde im Wert von 1,5 Millionen Mark sind futsch
Dass es ein Problem mit der Alarmanlage gab, war dem Haus nicht ganz unbekannt - im Gegenteil: "Es hat sich am Abend des Freitag herausgestellt, dass die Wartungsmaßnahmen, über die ich im Detail jetzt nichts sagen möchte, nicht das gewünschte Ergebnis gebracht haben", so der damalige Kunsthallen-Direktor Werner Hofmann in seiner Stellungnahme. "Davon bin ich nicht informiert worden, wie auch keiner meiner Mitarbeiter." Die Folge: Nun sind Gemälde im Wert von 1,5 Millionen D-Mark weg. Der Senat lobt umgehend eine Belohnung in Höhe von 25.000 D-Mark aus.
Kunsthalle fordert bereits 1971 eine neue Alarmanlage
So rasch hatte man im Hamburger Rathaus nicht immer gehandelt, wenn es um die Sicherheit der Kunsthalle ging. Denn bereits sieben Jahre zuvor hatten sich Diebe über das Dach durch ein nicht gesichertes Oberlicht in die Räume abgeseilt und wertvolle Gemälde mitgenommen. Hofmann und die Polizei hatten schon damals gefordert: Die Alarmanlage, Baujahr 1963, müsse erneuert werden.
Doch irgendwie versickerte das alles nach Beratungen, Abstimmungen zwischen den Behörden und Ausschreibungen. Passiert war nichts.
Coup in der Kunsthalle sorgfältig vorbereitet
Nur wenige Tage nach dem Kunstraub 1978 kommt den Ermittlern dann Kommissar Zufall zu Hilfe. Von der Mitnahme-Theorie bleibt nicht mehr viel übrig. Nicht mal eine Woche nach der Tat vermeldet die Tagesschau:
"Die Hamburger Kunsthalle hat ihre gestohlenen Gemälde wieder. Die Polizei wurde durch einen Hinweis des Personals auf den Täter aufmerksam. [...] Der 36-Jährige hatte den Coup sorgfältig vorbereitet. Er ließ sich in einen Nebenraum der Kunsthalle einschließen. Bei seinen häufigen Besuchen in der Kunsthalle soll er von Aufsichtsangestellten erfahren haben, dass die Alarmanlage nicht funktioniert. Am späten Samstagabend löste er die Bilder aus den Rahmen und band sie mit einem Klebestreifen zu einem Bündel zusammen. Als, wie es hieß, gelernter Fallschirmjäger sprang er anschließend aus einem vier Meter hohen Fenster auf das benachbarte Gelände der Bundesbahn und entkam."
Das aufmerksame Personal, das war die Pächterin des Cafés in der Hamburger Kunsthalle. Fast täglich war ihren Aussagen zufolge ein Museumsbesucher bei ihr gewesen. Er hatte viele Gemälde fotografiert und anschließend immer einen Kaffee getrunken. Wochenlang. Nach dem spektakulären Diebstahl tauchte er aber nicht mehr auf. Sie erkannte den Mann dann am Großneumarkt und alarmierte die Polizei.
Statt Lösegeld gibt es Gefängnis
Hinter dem einst regelmäßigen Museumsbesucher verbarg sich Jürgen P., 36 Jahre alt, ein ehemaliger Fallschirmjäger, Tellerwäscher, Grafiker, Verkäufer und Taxifahrer. Nichts hatte so richtig geklappt in seinem Leben und auch sein Laden für Zierfische wurde zur Pleite. Die erbeuteten Gemälde hatte er in einem Koffer in der Wohnung seiner Freundin versteckt - die von alldem nichts wusste. Ein paar Wochen hatte er warten und die Bilder dann der Kunsthalle zum Rückkauf anbieten wollen.
Doch auch dieser Plan geht nicht auf: Die Polizei nimmt Jürgen P. am 4. August 1978 fest und kann auch gleich alle geraubten Gemälde in der Wohnung sicherstellen. Statt der erhofften 250.000 D-Mark Lösegeld bekommt Jürgen P. wenig später vom Landgericht dreieinhalb Jahre Gefängnis aufgebrummt. Die Café-Pächterin hingegen kann sich über eine stattliche Belohnung freuen - und die Hamburger Kunsthalle immerhin zwei Jahre später endlich über eine neue Alarmanlage.