Stand: 08.06.2005 12:48 Uhr

"Es war die Hölle, was wir da erlebten"

Der Mainzer Ludwig Pätzel, Jahrgang 1926, war im Zweiten Weltkrieg Maschinengefreiter bei der Kriegsmarine. Am 3. Mai 1945 lag er mit der "MS Skagerrak" in der Ostsee vor Neustadt. Von dort erlebte er den Untergang der "Cap Arcona" mit. Seine Erinnerungen an die Katastrophe:

Zwei Porträts: Links der 17-Jährige mit Matrosenhemd und Kriegmarine-Mütze, rechts mit knapp 70 Jahren. © Ludwig Pätzel
Ludwig Pätzel - 1943 (l., als Marineschüler) und 1995

"Die 'Arcona' war einmal das größte und schönste Luxusschiff, das wir in Deutschland hatten. 1945 habe ich sie selbst gesehen. Das heißt, ich habe später gehört, dass sie es war, die meine Kameraden und ich versinken sahen. Damals kannte ich sie noch nicht. Den Anblick dieses Riesendampfers aber habe ich nicht vergessen.

Eines der schlimmsten Kriegserlebnisse

Was da am 3. Mai 1945 passiert ist, als alle Schiffe im Umkreis von den britischen Jagdbombern beschossen wurden - das war mit mein schlimmstes Erlebnis im Krieg. 19 Jahre war ich damals und tat meinen Dienst bei der 12. Sicherungsflottille. Ich war Maschinengefreiter; als ausgebildeter Elektriker kümmerte ich mich um die Schiffstechnik - am Uniformärmel trug ich das Zahnradsymbol mit den zwei roten Blitzen. Seit Januar 1945 diente ich auf der 'MS Skagerrak', einem dänischen Lotsendampfer Baujahr 1898 mit Holzfeuerung, der für die Flottille zum Minensuchboot umgebaut werden sollte. Damals gingen ja zahllose Transporte aus den deutschen Ostgebieten über das Meer, und die Alliierten hatten die Fahrwege mit Seeminen gespickt.

2. Mai 1945: Fluchtfahrt aus Wismar

Die MS Skagerrak, ein kleiner Dampfer mit großem Schornstein, liegt am Pier.
Die "MS Skagerrak" am Pier.

Anfang Mai lag unser Boot auf Reede in der winzigen Wismarer Werft, neben uns der Luftwaffentanker 'August' - eigentlich war ja die Werft nur auf kleine Kutter und Segelboote ausgelegt, aber nun musste sie auch die Schiffe der Kriegsmarine aufnehmen. Während der Umbauten an unserem Boot rückte die Front immer näher. Allmählich wurde es unruhig an der Pier - Frauen und Soldaten jammerten: 'Nehmt uns mit, nur weg von den Russen!'

Und plötzlich musste alles ganz schnell gehen. Binnen 24 Stunden machten wir uns klar zum Auslaufen. Eigentlich eine unmögliche Aktion, denn alles war abgebaut - wir hatten gar nichts an Bord, kein Geschütz, wir hätten uns überhaupt nicht wehren können. Blank mit Ruder, in signalroter Rostschutzfarbe gestrichen, mit offener Brücke sind wir am 2. Mai in der Früh aufgebrochen. Vorher mussten wir noch die Besatzung eines TF-Boots aufnehmen, eines Torpedofangboots, das anschließend versenkt wurde. So waren wir fast 20 Mann an Bord. Ein schöner U-Boot-Fang wären wir gewesen!

Die Ruhe auf See war trügerisch

Der Kapitänleutnant nahm Kurs auf Neustadt. Und als wir am 3. Mai aus dem Übernachtungshafen ausgefahren sind - da kamen wir uns auf See schon fast vor wie im Frieden. Das Wetter war schön, es war alles still, die See war ruhig. Auch am Himmel war nichts zu sehen, keine Flugzeuge. Wir fühlten uns beinahe wie bei einer Ausflugsfahrt.

3. Mai 1945: Mannschaft mit Schwimmwesten an Bord der MS Skagerrak.
3. Mai 1945: Mannschaft mit Schwimmwesten an Bord der "MS Skagerrak".

Aber dann kam doch Alarm, U-Boot-Alarm zuerst, anschließend auch Fliegeralarm. Wir legten unsere Schwimmwesten an. Mein Gedanke war: 'Wenn du wirklich untergehst in dieser eiskalten See, dann ziehst du dich wenigstens warm an'. Ich hab' drei Pullover angezogen und alles Mögliche - heute unverständlich, wenn wir wirklich gesunken wären, das wäre ja das Schlimmste gewesen! Die Sachen hätten sich vollgesogen und mich runtergezogen wie einen Betonklotz.

Die Bomben dröhnten wie Hammerschläge

Wie üblich ging ich dann wieder zum Dienst in den Maschinenraum. Von dem, was oben passierte, habe ich deshalb anfangs kaum etwas mitbekommen da unter Deck. Plötzlich aber hörte ich einen Schlag, und ich dachte, jetzt haut einer mit einem großen Hammer gegen die Blechwand. Dann gab es immer mehr Schläge, dumpf-blechern haben die gedröhnt. Schließlich kam der Obermaat herunter, und ich fragte ihn, was denn der Lärm zu bedeuten hat. 'Das sind Bomben', hat er gesagt. Es war das Geräusch der Bomben, die im Wasser explodiert sind. Ihre Druckwellen hämmerten gegen den Schiffsbauch.

Ich riskierte einen Blick an Deck. Die Kampfbomber schwirrten nur so um uns herum. Es war eine große Ansammlung von deutschen Kriegsschiffen aller Art in diesen Tagen auf der Ostsee; man konnte fast meinen, das sei der Rest der deutschen Flotte. Mit dem Fernglas konnten wir andere Schiffe sehen, die von den Jagdflugzeugen angegriffen wurden. Ich weiß es noch, es war sogar ein Lazarettschiff dabei. Die haben Leintücher an Deck ausgelegt, blutbefleckte, und haben ein rotes Kreuz reingemalt. Und trotzdem sind die versenkt worden. Es war katastrophal. Fürchterlich war das.

Die "Cap Arcona" ging in Flammen auf

In Richtung Neustadt, vielleicht drei oder vier Kilometer von der Stelle entfernt, wo wir lagen, hatte ich vor dem Angriff einen riesigen Dampfer mit drei Schornsteinen gesehen - das war die 'Cap Arcona'. Durch das Fernglas konnten wir ein Gewühl von Menschen an Bord erkennen. Nach dem Angriff hörten wir dann mehrere Detonationen. Die 'Arcona' war in Flammen aufgegangen und lag Kiel oben.

Wir, die wir da wie eine Leuchtboje in Mennigefarbe mitten im Zielgebiet lagen - wir haben wie durch ein Wunder nichts abbekommen. Noch heute kann ich mir nicht erklären, warum sie uns nicht genauso beschossen haben. Gott sei Dank sind wir dem Bombardement entgangen. Und dennoch, es war damals die Hölle, was wir da erlebten."

Aufgezeichnet von Britta Probol, NDR.de

Weitere Informationen
Das Passagierschiff "Cap Arcona" bei einer Probefahrt 1927. © picture-alliance Foto: akg-images

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Dieses Thema im Programm:

Schleswig-Holstein Magazin | 03.05.2015 | 19:30 Uhr

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