Stand: 27.08.2012 09:02 Uhr

Die geheimnisvollen Ruinen in den Dünen

Die Ruinen in den Besenhorster Sandbergen bei Geesthacht springen einem nicht gleich ins Auge. Man kann stundenlang durch die stark bewaldete Dünenlandschaft nahe der Elbe wandern, ohne eines der gesprengten Gebäude zu entdecken. Nur die alten Laternen am Wegesrand deuten daraufhin, dass das heutige Naturschutzgebiet eine bewegte Vergangenheit hat. Einer, der sich dort bestens auskennt, ist Jochen Meder. Der pensionierte Lehrer weiß, wo die Ruinen abseits der Wege zu finden sind. Zur Zeit des Dritten Reiches entstanden in den Besenhorster Sandbergen 340 Gebäude. Sie alle dienten der Herstellung von Pulver für Waffen und Raketen. Bis zu 6.500 Menschen arbeiteten im Drei-Schicht-Betrieb in der Düneberger Pulverfabrik.

Mit Reichskanzler Bismarck fängt alles an

Die Geschichte der Pulverfabrik Düneberg reicht weit zurück ins 19. Jahrhundert. 1871 schenkte Kaiser Wilhelm I. die Besenhorster Sandberge seinem Reichskanzler Otto von Bismarck in Anerkennung seiner Verdienste. Der Fürst verpachtete das Gelände mit seinen bis zu 23 Meter hohen Dünen im Jahr 1877 an den Industriellen Max Duttenhofer zur Errichtung einer Pulverfabrik. Der Kanzler empfahl das Gelände "Düneberg" zu nennen. Duttenhofer besaß in Süddeutschland bereits eine gut laufende Pulverfabrik, suchte aber nun einen Standort in Nähe eines großen Seehafens. Die Lage an der Elbe war ideal. Hergestellt wurde in den folgenden Jahrzehnten Pulver für den militärischen Einsatz, die in aller Welt verwendet wurden. Die Geschäfte liefen gut. Gegen Ende des Ersten Weltkrieges arbeiteten fast 20.000 Menschen für die Fabrik.

Fußbodenbelag statt Schießpulver

Die Niederlage im Weltkrieg brachte das - vorläufige - Ende für die Pulverfabrik. Die Siegermächte legten die Fabrik im November 1918 still und transportierten die Produktionsanlagen ab. Die Fabrik musste von 1922 bis 1932 notgedrungen auf eine Friedensproduktion umsteigen. So wurden unter anderem Fußbodenbeläge hergestellt.

Neuer Anlauf unter den Nationalsozialisten

Ein Graffitio in der Ruine einer Schneckenpresse der Pulverfabrik Düneberg © NDR.de Foto: Marc-Oliver Rehrmann
Auch Graffiti-Sprayer haben die Ruinen für sich entdeckt.

1934 begann der Aufbau einer neuen Pulverfabrikationsanlage, die zu Jahresbeginn 1935 von der Dynamit Nobel AG übernommen wurde. Inzwischen war Adolf Hitler an der Macht. Der Bedarf an Schwarzpulver wuchs von Jahr zu Jahr. Bald konnten nicht mehr alle Aufträge termingemäß ausgeführt werden. Für die notwendige Erweiterung der Anlagen nutzte man das bis heute erhaltene Dünengelände der Besenhorster Sandberge. Der neue Fabrikteil namens "Birke" wurde 1937 in Betrieb genommen, bis 1945 entstanden insgesamt mehr als 340 neue Gebäude in den Dünen. Dies sind die Anlagen, die bis heute teilweise als Ruinen erhalten sind.

Erster Luftangriff im April 1945

Seltsamerweise blieb das Fabrikgelände "Birke" bis kurz vor Kriegsende von Luftangriffen der Alliierten verschont. Erst am 7. April 1945 warfen Fliegerverbände 1.800 Bomben auf das Werk. Etwa 40 Mitarbeiter kamen ums Leben, viele Gebäude wurden beschädigt. Am 1. Mai besetzte die britische Armee die Fabrik. Die Stadt Geesthacht wurde wohl auch deshalb von weiteren Zerstörungen verschont, weil sich Fabrikdirektor Hans Mayer beim Hamburger Reichsstatthalter Karl Kaufmann für eine kampflose Übergabe eingesetzt hatte. Mayer warnte, dass bei Beschuss der Pulverfabrik die umliegende Gegend bis nach Hamburg hin verseucht werden könnte.

Aufwendige Entseuchung

Die Produktionsanlagen im Teil "Birke" wurden in den Jahren nach Kriegsende abgebaut und abtransportiert, das Pulver vernichtet und die meisten Gebäude ab 1949 gesprengt. 1952/1953 waren Experten damit beschäftigt, das Gelände der Pulverfabrik zu entseuchen. Besonders schwierig gestaltete es sich, die aus der Kriegszeit verbliebenden Pulverreste und Chemikalien in den Ruinen und im Boden der Besenhorster Sandberge zu entfernen.

Nach der Gründung der Bundeswehr 1955 gab es Überlegungen, erneut eine Pulverfabrik in Düneberg aufzubauen. Aber die Stadt Geesthacht zeigte kein großes Interesse. So zerschlugen sich die Pläne - die neue Pulverfabrik entstand in einer anderen Stadt. So zeugen nur noch die Ruinen in den Besenhorster Sandbergen und ein paar Gebäude im Stadtteil Düneberg von der bewegten Geschichte der Pulverfabrik.

Dieses Thema im Programm:

Schleswig-Holstein Magazin | 08.03.2010 | 19:30 Uhr

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