Die Nazis und "ihr" Caspar David Friedrich

Stand: 06.05.2024 11:23 Uhr

Die Nationalsozialisten vereinnahmten den Maler Caspar David Friedrich und seine Bilder für ihre Ideologie. Eine Gedenkfeier zum 100. Todestag am 7. Mai 1940 und zahlreiche Bücher stilisierten den romantischen Maler zum angeblichen Vorkämpfer des NS-Staates. Das zeigen bisher kaum beachtete Dokumente der Greifswalder Universität.

von Heiko Kreft

Drei Tage vor der großen Zeremonie im Frühjahr 1940 gibt es ein Problem: In Greifswald ist kein Peplos aufzutreiben. Dabei ist das antike griechische Kleid zentral für die Huldigungsfeier zum 100. Todestag des in der Hansestadt geborenen Malers Caspar David Friedrich. Eine als Griechin verkleidete Schauspielerin ("Gewünschter Typus: frische jugendliche deutsche Frau und Mutter") soll einer Büste des Malers einen goldenen Lorbeerkranz aufsetzen. Der Berliner Kunsthistoriker Kurt Karl Eberlein, der die Feier bis ins Detail geplant hat, ist verärgert. "Ein griechisches Kleid macht man bekanntlich in fünf Minuten aus einem Betttuch", schreibt er an den Rektor der Greifswalder Universität, Kurt Wilhelm-Kästner. Er schickt ihm - sicher ist sicher - eine bebilderte "Bastelanleitung" zu.

Ungeliebte "Braune Akten"

Der Kunsthistoriker Prof. Dr. Kilian Heck vom Caspar David Friedrich Institut der Universität Greifswald. © NDR
Friedrichs Bilder haben die nationale Identität im nationalsozialistischen Sinne stärken können, sagt Kunsthistoriker Kilian Heck.

Der Brief vom 4. Mai 1940 ist am Kunsthistorischen Institut der Universität Greifswald erhalten geblieben. Zusammen mit zahlreichen anderen Dokumenten liegt er in bisher kaum beachteten Akten, die viel über die Vereinnahmung von Caspar David Friedrich in der NS-Zeit erzählt. "Es war natürlich auch eine Berührungsangst da. Man wollte diese 'braunen Akten' nicht so gerne anschauen", sagt Kilian Heck. Der Professor für Kunstgeschichte hat die Unterlagen als erster wissenschaftlich ausgewertet und sich dabei auch mit der Geschichte des eigenen Instituts auseinandergesetzt. "Es nennt sich Caspar David Friedrich Institut. Und genau diesen Namen hat es 1940 bekommen."

Greifswald als "Stadt der Romantik"

Auch die Stadt Greifswald soll damals einen schmückenden Beinamen bekommen. "Arndt-Friedrich-Stadt" oder "Stadt der Romantik" lautet der Vorschlag, den der Kunsthistoriker Eberlein in Vorbereitung der Feierlichkeiten unterbreitet. Doch das setzt sich nicht durch. Dafür gibt es am 100. Todestag eine Gedenkfeier im Stadttheater. In den Akten des Greifswalder Instituts finden sich bis heute Listen geladener Gäste. "Man hat versucht, Martin Bormann, den Chef der Reichskanzlei, einzuladen. Man hat auch versucht, SS-Führer Heinrich Himmler einzuladen", berichtet Heck. Das zeige, in welcher Liga die Veranstaltung stattfinden sollte. Doch wenige Tage vor dem deutschen Überfall auf Belgien und die Niederlande sagt die NS-Elite ab. Die Feier findet aber auch ohne sie statt.

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Porträt des Malers Caspar David Friedrich (Ausschnitt) © picture alliance / Heritage Images | Fine Art Images

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"Magische Beseelung" fürs Dritte Reich

"Friedrich ist groß, weil sich in ihm der germanische Geist noch einmal sichtbar verkörperte, weil die magische Beseelung seiner Kunst heute wieder wesentlich ist", faselt der Kunsthistoriker Eberlein in seinem Festvortrag - und erklärt Caspar David Friedrich zum Vordenker und Vorkämpfer des nationalsozialistischen Regimes. "Eberlein hat durchaus kunsthistorische, solide Erkenntnisse publiziert, sich aber sehr früh dem Nationalsozialismus zugewandt", ordnet Kunst-Professor Heck von der Uni Greifswald den politischen Aktivismus des Friedrich-Spezialisten ein. So sei es beispielsweise Eberlein gewesen, der das berühmte Gemälde "Kreidefelsen auf Rügen" Caspar David Friedrich zuordnen konnte. Zuvor galt das Bild als ein Werk des Malers Carl Blechen.

Friedrich als Entdecker germanischen Erbes

Eine Büste des Malers Caspar David Friedrich aus dem Jahr 1940. © NDR
Zur Feier des 100. Todestages von Caspar David Friedrich wurde auch eine Büste des Malers angefertigt.

Auch der Kunsthistoriker Wilhelm-Kästner, der damals zugleich Rektor der Greifswalder Uni ist, interpretiert Friedrich und seine Werke bei der Gedenkfeier im Jahr 1940 ausschließlich nationalistisch. "Er entdeckte die wenigen Zeugen der germanischen Vergangenheit, die Hünengräber für die Kunst. Das Nordlicht wurde ihm zum Flammenzeichen von Deutschlands Erhebung", deklamiert Wilhelm-Kästner. Tatsächlich finden sich im Schaffen von Caspar David Friedrich immer wieder Skizzen und Gemälde mit Hünengräbern, von denen es bis heute in Vorpommern einige gibt. Doch die Interpretation, dass Friedrich so das "germanische Erbe" ehren wollte, gilt heute als gewagt.

"Leuchtender Künstler des Nordens"

Diese Auslegung findet sich auch in Kurt Wilhelm-Kästners 1940 veröffentlichtem Buch "Caspar David Friedrich und seine Heimat". Zum 100. Todestag erscheint zudem von Kurt Karl Eberlein der Band "Caspar David Friedrich als Landschaftsmaler". Beide Kunsthistoriker überhöhen den Maler. "Als germanisch aussehend, als aus pommerscher Erde kommend", berichtet Heck. Sie behaupten, dass Friedrichs Werke nur aus dieser Herkunft heraus verständlich sei. Diese Bindung seiner Kunst an die "Scholle" war kein Zufall: "Man wollte Friedrich zu einem leuchtenden Künstler des Nordens machen, der auf gleicher Ebene rangiert wie die großen italienischen Meister."

Friedrich-Buch für Frontsoldaten

Mehrere Bücher, die zum 100. Todestag von Caspar David Friedrich 1940 erschienen sind, werden in die Kamera gehalten. © NDR
Auch in mehreren Büchern aus den 1940er-Jahren wurden Friedrich und seine Werke ausschließlich nationalistisch interpretiert.

Dass Caspar David Friedrich im NS-Staat zum "Überkünstler" stilisiert werden konnte, lag durchaus an den Motiven seiner Bilder, sagt der Greifswalder Kunstgeschichte-Professor. "Sie haben die nationale Identität im nationalsozialistischen Sinne stärken können. Und deswegen wurden sie auch besonders häufig dargestellt." Zum Beispiel in speziellen als Feldpostausgaben gedruckten Bildbänden, die Frontsoldaten mitgegeben wurden. Sie enthalten Werke wie 'Der Chasseur im Walde', 'Die Ruine von Eldena', 'Der Mönch am Meer'. Das sind romantische, sehr "deutsche" Bilder. "Tatsächlich - und das ist eben das Brutale - sind Soldaten an der Ostfront gefallen, mit diesem Leporello in der Jackentasche. Mit der Erinnerung an die deutsche Heimat".

Verdrängt nach dem Krieg

Mit dem nationalsozialistischen Regime endet zunächst auch der Hype um Caspar David Friedrich. "Da suchte man Abstand, hat sich einfach nicht mehr mit beschäftigt", sagt Uni-Professor Heck. Während westdeutsche Kunsthistoriker den Blick nun vor allem nach Frankreich und Italien richten, konzentrieren sich Forschende in der DDR auf Werke, die Werktätige zeigen. Erst in den 1970er-Jahren wird es in beiden deutschen Staaten wieder opportun, sich mit dem Greifswalder Maler zu beschäftigen. Und das zu Recht, findet Heck: "Seine Landschaften üben immer noch eine große Suggestionskraft auf die Leute aus." Das habe erst jüngst die Hamburger Ausstellung gezeigt. Trotz der teilweisen Überfüllung der Räume habe es eine ausgesprochene Ruhe in den Räumen gegeben. "Die Leute werden vor diesen Bildern still."

Friedrich als Klimaschützer?

Dass die Nationalsozialisten Caspar David Friedrich vereinnahmen konnten, stellt Fragen an die Werke. "Jeder kann ein Stück weit in die Bilder hinein interpretieren, was er selber in sich fühlt und was er in den Bildern wieder entdeckt", sagt Heck. Das mache seine Kunst angreifbar. "In dem Sinne, dass sie für alle möglichen Zwecke oder Ideologien missbraucht werden kann." Auch heute sagen Interpretationen manchmal mehr über die Interpretierenden aus als über die eigentlichen Bilder. "Jede Epoche kann Friedrich ein Stück weit als Vehikel für ihre eigenen Vorstellungen nehmen. Wenn er nun als Vorläufer der Klimabewegung interpretiert wird, dann ist das eine heutige Vereinnahmung."

Kritische Ausstellung als Kontrapunkt

Wie der Missbrauch von Caspar David Friedrich und seinen Bildern im NS-System funktionierte, dazu soll es im Sommer eine Ausstellung in Greifswald geben. Studierende der Kunsthistorischen Instituts bereiten sie gerade intensiv vor - basierend auf den lange nicht beachteten Akten der Greifswalder Uni. Für Kunstgeschichte-Professor Heck ist sie so etwas wie ein Kontrapunkt zu den drei großen Ausstellungen in Hamburg, Berlin und Dresden.

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Nordmagazin | 05.05.2024 | 19:30 Uhr

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