Die Martinens - Einmal USA und zurück
Sie lernten sich in New York kennen und lieben: Die gebürtigen Amrumer Gerhard Martinen und seine Frau Marianne. 1974 kehrten die Feinkosthändler nach Nordfriesland zurück.
Gerhard "Gelly" Martinen und seine Frau Marianne lernten sich in New York beim Tanzen kennen. "Der Föhrer-Amrumer Krankenunterstützungsverein ist ein Riesenverein in New York. Und da haben wir uns getroffen. Da war immer großer Tanz und ich war mit meinen Eltern da, gerade einmal 16 Jahre alt. Aber ich hab gelogen: Ich hab ihm gesagt, dass ich 17 bin", erinnert sich Marianne Martinen schmunzelnd. Beide stammten von der nordfriesischen Insel Amrum. Sie war schon als Kind mit ihren Eltern ausgewandert und sprach kein Deutsch. Und er konnte kaum ein Wort Englisch, als er 1962 gerade angekommen war.
Handwerk hat "goldenen Boden"
Als er sich auf die Reise machte, war Gerhard Martinen gerade einmal 20 Jahre alt. Auf Amrum hatte er zuvor Tischler gelernt und gehört, dass in New York Handwerker gesucht werden - und zwar händeringend. "Ich war eigentlich zusammen mit meinem Kumpel der erste Amrumer - wenn ich mich richtig erinnere - der geflogen ist. Vorher fuhr man immer mit dem Dampfer. Aber dann wurde die Reise mit dem Flugzeug billiger. Meine Mutter hatte mir vor der Reise noch die Schuhe geputzt und mir Schlips und Kragen und Jackett in Wyk auf Föhr gekauft, damit ich auch ordentlich angezogen in Hamburg antanzte. Und von dort sind wir dann in die USA geflogen“, erzählt Gerhard Martinen etwas wehmütig.
Schwierige Jobsuche im "Big Apple"
"Es war nicht einfach, einen Job zu kriegen. Ich bin nach Manhattan reingefahren, ich konnte ja auch kein Englisch, das haben die Leute natürlich sofort gemerkt“, berichtet Martinen. Zwei Einwanderer von der Insel Föhr waren seine Rettung: Die Gebrüder Jens und Hans Jacobs hatten Arbeit für ihn - nichts Großartiges, aber immerhin. "Es hat andauernd gebrannt in New York. Das bedeutet, wenn ein Store ausgebrannt war - also ein Laden oder eine Wohnung - dann mussten wir dort hinfahren und Sperrholz vor die Fenster schrauben, damit keine Vandalen reinkamen. Später haben wir dann Partykeller gebaut, das war in Mode in den 60er-Jahren."
Wehrdienst in der US-Army
Als Gerhard Martinen sich gerade eingewöhnt hatte, wurde er eingezogen und musste zwei Jahre lang Wehrdienst in der US-Army leisten - Uncle Sam schnappte zu. Er wurde einberufen. Die Wehrpflicht gilt in den USA auch für Einwanderer: "Das hatte auch Vorteile: Wenn man dient, lernt man erst einmal Englisch. Der Nachteil war natürlich, zwei Jahre in den Sand zu setzen. Man ist ja eigentlich ausgewandert, um weiterzukommen, um einen Grundstock fürs Leben zu erarbeiten." Nur knapp entging Martinen dem Krieg in Indochina: "Dann fing der Vietnamkrieg an - grausam. Alle, die noch mehr als elf Monate Wehrdienst vor sich hatten, mussten nach Vietnam: erst Fort Louis, dann Maui, Hawaii, Dschungeltraining, dann Okinawa und dann in den Einsatz. Mein Glück war, dass ich nur noch neun Monate Restzeit hatte", erinnert sich Martinen.
Schuften im eigenen "Deli"
Anschließend heiratete Martinen seine Marianne und gemeinsam schufteten sie wenig später im eigenen "Delikatessen"-Store, obwohl der gelernte Tischler und seine Frau niemals in einem "Deli" landen wollten: "Als wir geheiratet haben, sagte ich zu ihm: 'Ich will nie wieder in einen Deli!' Meine Eltern hatten einen Deli und schufteten von morgens bis abends - auch am Wochenende, man hatte keine Freizeit. Ich wollte mein Leben mit meinem Mann ein bisschen genießen“, erinnert sich Marianne Martinen. Sie landeten doch im Deli: Ab 1968 hatten sie sogar ihren eigenen Laden, in Yonkers, nördlich von Manhattan - die Angestellten alles Einwanderer. Die Geschäfte liefen gut.
Rückkehr in die alte Heimat
Nicht nur das Bankkonto wuchs, auch die Familie wurde größer: Mit Tochter Marina sprachen die Einwanderer selbstverständlich Englisch - schließlich lebte man in den USA. Unterdessen führten die Martinens das Leben einer typischen amerikanischen Mittelklassefamilie. Ihr Sohn Gerret kam zur Welt. Amrum konnte nicht weiter weg sein, kein Gedanke mehr an Rückkehr.
Doch dann schlug eine Nachricht ein wie eine Bombe: Yonkers sollte schöner werden, alte Gebäude mussten weichen - auch der Deli der Martinens: "Das war ein Schock, denn wir hatten gerade unser Haus gekauft, weil wir dachten, wir bleiben in den USA. Wir wollten, dass die Kinder in einer drogenfreien Schule lernen können", berichtet Gerhard Martinen. 1974 kehrten sie mit ihren zwei Kindern nach Amrum zurück. Dort wieder heimisch zu werden, fiel beiden schwer. Marianne musste Deutsch lernen, Gerhard suchte Arbeit. Bis sie sich mit Strandkorbvermietung und Ferienwohnungen eine neue Existenz aufgebaut hatten, dauerte es eine Weile. Dabei ist es geblieben.