Sperrmüll in Hamburg: ein Paradies für Schnäppchen-Jäger (70er-/80er-Jahre) © NDR

1990 kam das Aus für den Straßensperrmüll in Hamburg

Stand: 07.02.2025 15:00 Uhr

Immer wenn in Hamburg Straßensperrmüll war, schlug die Stunde der Schatzsucher. Privatleute und Händler durchwühlten die aufgetürmten Haufen - das führte oft zu Chaos. Im Februar 1990 war Schluss damit.

Fleddern, finden, mitnehmen! In den 1970er-Jahren war der Hamburger Straßensperrmüll ein Fest für Trödeljäger und Sammelwütige. In den Sperrmüll-Nächten galt für viele: Was auf der Straße liegt, gehört allen. Man bediente sich an dem, was andere wegwarfen. Ein bisschen Recycling, ein bisschen Anarchie.

"Es gab wirklich nichts, was du nicht gefunden hast"

Sperrmüll in Hamburg: ein Paradies für Schnäppchen-Jäger (70er-/80er-Jahre) © NDR
Am Straßenrand gingen viele Sammler auf Schatzsuche.

Karin Timme, die auf einem Schrottplatz in Rothenburgsort aufgewachsen ist, sagt dem NDR 2025: "Es gab wirklich Schätze zu der Zeit. Es gab wirklich nichts, was du nicht gefunden hast. Von der gebrauchten Unterhose von Oma.... Wirklich! Alte Likörgläser, alles, alles. Alte Kochlöffel. Das war ein Paradies war das für uns." Wie viele andere auch fuhr Karin Timme gezielt in bestimmte Stadtteile, wenn dort ein Sammeltermin anstand. Regelmäßig konnte man seinen Sperrmüll damals einfach an die Straße stellen. Dann schlug die Stunde der Schatzsucher - bis am nächsten Morgen die Stadtreinigung kam.

"Die Leute hatten die Keller voll. Die Leute wollten alle moderne Möbel, irgendwelchen Plastikkram haben. Und alles, was Holz war, massiv, wurde weggeschmissen. Zu unserem Glück", erinnert sich die Trödeljägerin.

Anreiz auch für Händler

Die Aussicht auf wertvolle Funde zog auch Händler an. Darunter Gerhard Grau, damals bekannt als "King of Trödel", der unter anderem in Pöseldorf auch Sperrrmüllschätze verkaufte - und dabei nicht schlecht verdient. Er sagt, er habe drei Geschäfte aufgebaut und pro Jahr 10.000 D-Mark verdient.

Es herrschte damals ein wahrer Wettkampf um die besten Stücke. Jeder wollte der Erste sein, der einen frischen Haufen Sperrmüll an der Straße quasi auf links dreht.

Die Männer der Straßenreinigung bei ihrer Arbeit in Hamburg, 1960er Jahre. © IMAGO IMAGES / United Archives
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Aufgetürmte Haufen wurden zerwühlt

Sperrmüll in Hamburg: Die Stadtreinigung entsorgt verteilten Unrat. (70er-/80er-Jahre) © NDR
Die Stadtreinigung kam morgens zum Aufräumen.

"Vielleicht wurde ein ganzes Haus entsorgt von einer alten Dame. Und da sind dann im Laufe des Abends und des Morgens 100 Leute in diesen Haufen gekrabbelt und wollten natürlich auch die untersten tollen Bücher finden. Also wurde alles beiseite geschoben und weggeworfen und entsprechend, sahen dann die Haufen aus", erzählt Karin Timme.

Wenn am nächsten Morgen die Stadtreinigung kam, sah es am Straßenrand oft aus wie auf einer Müllhalde. Selbst sorgfältigst aufgetürmte Haufen waren zerwühlt und verteilt. Dazu kam: Viele mischten unter den Sperrmüll auch Hausmüll und andere Abfälle - obwohl das verboten war.

Beschwerden über Dreck - Aktionen ohne Erfolg

Sperrmüll in Hamburg: Auf der Straße ist Unrat verteilt. (70er-/80er-Jahre) © NDR
Bürgerinnen und Bürger beschwerten sich über Dreck und Unrat.

Ein Mitarbeiter der Stadtreinigung berichtet: "Wenn Sie zum Beispiel alte WCs haben, die noch bis zum Rand voll sind - haben wir auch schon gehabt, aber richtig voll - und diese stehen an der Straße, das ist natürlich übel."

Die Stadtreinigung hatte Mühe, dem Chaos Herr zu werden. Auch viele Bürgerinnen und Bürger beschwerten sich über den Dreck. In den 1980er-Jahren versuchte man noch, mit Aktionen und Kampagnen für Ordnung zu sorgen - vergeblich. Was folgte, war die Einstellung des traditionellen Straßensperrmülls: Im Februar 1990 war damit in Hamburg Schluss.

Sperrmüll-Abholung nur noch auf Bestellung

"Ich finde es total schade. Wenn ich heute noch an Sperrmüll-Haufen vorbeifahre, [...] muss ich immer noch einen langen Hals machen und gucken, ob was dabei ist. [...] Es ist immer noch so drin", sagt Karin Timme mit Bedauern.

Sperrmüll-Abholung nur noch auf Bestellung - das galt ab 1990 in der ganzen Stadt. Das neue System sorgte für weniger Chaos und Dreck. Die wilden Sammelnächte von einst allerdings gehörten damit auch der Vergangenheit an.

Einkaufen im Secondhand-Kaufhaus

Warenangebot im Stilbruch-Kaufhaus in Hamburg (23.04.2024) © picture alliance / ABBfoto
Im Stilbruch-Kaufhaus sind viele gut erhaltene Möbel erhältlich.

Das Abholen von Sperrmüll ist heutzutage nicht kostenlos. Die Stadtreinigung ruft dafür gestaffelte Preise auf. Sie sammelt zudem noch brauchbare Dinge. Möbel sowie Haushalts- und Einrichtungsgegenstände aus Haushaltsauflösungen, aber auch von den Recyclinghöfen der Stadt werden zu zwei Secondhand-Kaufhäusern namens Stilbruch gebracht - eins ist in Altona, eins in Wandsbek. Dort können Interessierte dann auch wieder nach Schnäppchen suchen.

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Das Logo der Stadtreinigung Hamburg. © picture alliance /ABBfoto

Stadtreinigung: Sperrmüll in Hamburg

Infos der Stadtreinigung zur Abholung und zur Abgabe von Sperrmüll auf den Recyclinghöfen in Hamburg. extern

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Hamburg Journal | 09.02.2025 | 19:30 Uhr

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