1989: Die SED im Umbruch
Der Wende-Herbst 1989 leitet für die SED das Ende ihrer Herrschaft ein. Auf einem Sonderparteitag erhoffen sich viele einen Neuanfang, doch die alte Eliten ziehen weiter die Fäden.
8. Dezember 1989, Dynamo-Sporthalle Berlin: Es beginnt der Sonderparteitag, der das Ende der SED einleiten soll. Statt Pomp und Propaganda, Diskussion und Demokratie: Erstmals soll auf einem SED-Parteitag offen diskutiert werden, vor allem über die Frevel der Vergangenheit. In den Monaten zuvor verlor die DDR-Staatspartei fast alles: Ihr staatliches Machtmonopol, Hunderttausende Mitglieder und jegliche Reputation. Besonders an der Parteibasis erhoffen sich viele nun einen basisdemokratischen Neuanfang, doch die alten Eliten behalten auch jetzt noch die Fäden in der Hand.
Untergang und Rettungsanker
Massendemonstrationen, Bürgerrechtler und innerparteilicher Protest untergruben im Herbst 1989 die Herrschaft der SED im Staat DDR. Tiefpunkt war der Fall der Mauer am 9. November - die Staatspartei hatte de facto ihre Handlungsmacht verloren. Um die staatliche Ordnung zu stabilisieren, wählte die Volkskammer am 13. November 1989 den SED-Reformer Hans Modrow zum Ministerpräsidenten. Doch um seine Regierung zu rechtfertigen, musste die SED schnell ihren Ruf einer alles beherrschenden Staatspartei loswerden.
Die SED im Auflösungsprozess
Dabei war die Partei insgesamt in einer tiefen Krise und mitten im Auflösungsprozess: Bis zum Dezember 1989 verlor sie ein Drittel ihrer vormals 2,8 Millionen Mitglieder. Täglich kamen Fälle von Amtsmissbrauch und Korruption ans Licht. Alle Ersten Sekretäre in der DDR wurden abgesetzt, von der Bezirks- bis zur Kreisebene. Die neuen, meist reformorientierten Funktionäre sowie die Parteibasis forderten den Rücktritt der Altvorderen im Zentralkomitee (ZK) der SED und einen neuen Parteitag.
Anfang Dezember 1989 ging alles ganz schnell:
- 1. Dezember 1989 - Die Volkskammer streicht die staatliche Führungsrolle der SED aus der Verfassung der DDR.
- 3. Dezember 1989 - In seiner letzten Sitzung treten das ZK der SED um Egon Krenz und das Politbüro geschlossen zurück.
- 6. Dezember 1989 - Ein Arbeitsausschuss übernimmt die vorübergehende Führung der Partei und soll einen Sonderparteitag in Berlin organisieren.
Vorbereitung des Parteitags
In Anbetracht der aktuellen Umstände legte der Arbeitsausschuss den Sonderparteitag auf den 8. Dezember 1989. Inzwischen wurde in der Öffentlichkeit der Ruf nach Auflösung der SED immer lauter. Zumindest erwarteten die SED-Mitglieder, die als Delegierte nach Berlin fahren sollten, eine tiefgreifende Aufarbeitung der Vergangenheit, den Rücktritt der Verantwortlichen und eine inhaltliche Auseinandersetzung über die Zukunft oder die Auflösung der Partei.
Absprache im Vorfeld
Diese wollten die Reformer um Hans Modrow unbedingt verhindern. Zusammen mit dem noch wenig bekannten Rechtsanwalt Gregor Gysi entwickelte er eine Strategie, um die Partei und die DDR zu retten. Ihnen ging es vor allem um das Parteivermögen, um Bargeldbestände und Immobilien, Druckereien und Zeitungen, außerdem um Tausende Mitarbeiter und Arbeitsmaterial. Die SED sollte in einem demokratischen Parteienwettbewerb einen kleinen Vorsprung erhalten. Zur Durchsetzung dieses Weges mussten Modrow und Gysi allerdings an die Parteispitze gewählt werden.
Der Parteitag wird zum Marathon
Aus der ganzen DDR reisten mehr als 2.700 Delegierte zum Sonderparteitag in Berlin. In der alten Dynamo-Sporthalle paarten sich Aufgeregtheit und Unsicherheit mit Zuversicht und Aufbruchstimmung. Zum ersten Mal konnten die Mitglieder offen auf einem Parteitag diskutieren. Viele verlangten nun reinen Tisch, bevor über Posten und Programme abzustimmen sei, andere die Auflösung. Doch Modrow warb in seiner Rede für eine starke Partei, die er für seine Regierung und die Rettung der DDR brauche.
Neben ihm avancierte Gregor Gysi zum Star des Parteitags. Er brachte die Anwesenden auf seine Seite, indem er mit dem Verlust des Parteivermögens und der Arbeitslosigkeit von 44.000 hauptamtlichen Mitarbeitern argumentierte. Er wollte mit der Partei einen "dritten Weg jenseits von stalinistischem Sozialismus und Herrschaft transnationaler Monopole" einschlagen. Doch vorher setzte er in einer dramatischen Nachtsitzung durch, zuerst einen neuen Vorstand zu wählen.
Gysi und Modrow am Ziel
Die Wahl des neuen Parteivorsitzenden brachte ein überraschend deutliches Ergebnis. Die Delegierten votierten mit einer riesigen Mehrheit von 95,3 Prozent für Gregor Gysi, Modrow wurde sein Stellvertreter. Ein inhaltlicher Neubeginn oder ein neues Parteiprogramm wurden aber nicht beschlossen, zu vielfältig und uneinig waren sich die verschiedenen Gruppierungen. Man einigte sich zunächst lediglich auf das Statut als marxistische Partei.
Neuer Name, altes Kürzel
Eine Woche später wurde der Parteitag fortgesetzt und zumindest ein namentlicher Neuanfang eingeleitet. Nach verschiedenen Vorschlägen einigten sich die Delegierten auf eine halbe Umbenennung in SED-PDS, "Partei des Demokratischen Sozialismus". Damit zeigte man nach außen den Willen zum Wandel, ohne die Vergangenheit als Staatspartei der DDR auszuradieren. Dieses Zugeständnis an die alten Parteikämpfer enttäuschte viele Delegierte, sie kehrten unzufrieden in ihre Heimat zurück.
Kein echtes Ende der SED
Der Sonderparteitag brachte keinen wirklichen Neuanfang für die SED-PDS. Diese schleppende Abkehr von der eigenen Vergangenheit trieb inzwischen nochmals Hunderttausende Mitglieder aus der Partei. Selbst der stellvertretende Parteivorsitzende Wolfgang Berghofer trat im Januar 1990 aus, weil er der Partei keinen grundsätzlichen Wandel zutraute.
Sozialistische Partei auf deutschem Boden
Vor der ersten freien Volkskammerwahl der DDR im März 1990 folgte ein neuer Parteitag. Das Land war mittlerweile ein anderes geworden, breite Bevölkerungsschichten wünschten den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik. Es ging nicht mehr um das Überleben der DDR, sondern um das eigene. Bei diesem Wahlparteitag verschwand das alte Kürzel SED ganz, es blieb die PDS. Das beschlossene Wahlprogramm positionierte sie als "sozialistische Partei auf deutschem Boden", die für den "Erhalt sozialistischer Errungenschaften" kämpfen wollte.
Die letzte Volkskammerwahl besiegelte das Ende der DDR und das ihrer früheren staatstragenden Partei. Mit einem Stimmenanteil von 16,4 Prozent verlor die PDS ihre Regierungsbeteiligung an jene Parteien, die den schnellen Beitritt der DDR zum Gebiet des Grundgesetzes umsetzen wollten. Sie ging in die Opposition und etablierte sich nach der Wiedervereinigung in der bundesdeutschen Parteiendemokratie. Gregor Gysi blieb über Jahrzehnte ihre zentrale Führungsfigur.