Stand: 16.07.2020 00:00 Uhr

Gruß und Kuss! - Der Siegeszug der Ansichtskarte

Einer der ersten Bildpostkarten vom 16. Juli 1870, auch Correspondenzkarte genannt, gedruckt und verschickt von Buchhändler August Schwartz (1837-1904) aus Oldenburg © Public Domain
Am 16. Juli 1870 wird diese "Correspondenz-Karte" vom Oldenburger Buchhändler August Schwartz verschickt - sie gilt als älteste deutsche bebilderte Postkarte. Auf der Rückseite gab es - wie heute - Platz für den persönlichen Gruß.

Wenn die Spitze eines Stiftes auf die Kartonage der Postkarte trifft, erinnert sich der Schreiber an die schönsten Momente: Baden im Meer, Eis in der Sonne, Heiterkeit. Mit ihrem begrenzten Platz für hübsche Worte ist die Bild-Postkarte so reizvoll - und das seit nunmehr 150 Jahren.

Die Postkarte: Kurz, günstig und flott

Als "Erfinder" der Ansichtskarte wird weitläufig der Oldenburger Buchhändler August Schwarz (1837-1904) gehandelt, der am 16. Juli 1870 die erste mit einem Bildchen bedruckte "Correspondenz-Karte" verschickt. Dass er mit diesem kleinen Stück Kartonage wirklich die erste Postkarte auf den Weg bringt, stimmt so allerdings nicht. Zwar könnte er mit dem Bild eines Kanoniers, mit dem seine ersten Karten bedruckt sind, tatsächlich der erste gewesen sein, der die Schriftstücke von nun an bebildert. Doch mit der Kurz-Korrespondenz ohne Umschlag an sich ist man in Österreich damals schon weiter.

Dort beginnt der Siegeszug der Postkarte bereits mit einem Artikel, der am 26. Januar 1869 in einer Wiener Tageszeitung erscheint. Emanuel Herrmann, ein Professor für Nationalökonomie, plädiert dort für die Postkarte als neues Korrespondenz-Mittel und zählt die Vorteile des neuen Mediums auf: kurz, günstiger im Porto, weniger förmlich als der Brief und rasch zugestellt. Die Begeisterung des Professors steckt die Menschen an - und so gibt die österreichisch-ungarische Post am 1. Oktober desselben Jahres die sogenannte Correspondenz-Karte heraus.

Sammlerparadies in Hamburg

Andreas Polster lächelt. © NDR Foto: Wolf-Hendrik Müllenberg
Andreas Polster hat 30.000 Postkarten in seinem Laden. "Da sind schon ein paar schicke dabei", sagt er.

Diese ersten Postkarten zeigen kein Motiv. Auf der einen Seite steht der Text, die andere ist der Adresse vorbehalten. "Schmuckstücke waren das nicht. Trotzdem sind die Dinger heute heiß begehrt", so Andreas Polster. Der 66-Jährige betreibt "Polster & Rutsch", einen 180 Quadratmeter großen Laden in der Hamburger Innenstadt. Kisten, Alben und Kataloge stapeln sich in Regalen bis an die Decke - Postkarten wohin man schaut. Der Geruch von alter Tinte und staubigem Pergament liegt in der Luft.

150 Jahre Zeitgeist

Ein Schukarton mit Postkarten. © NDR Foto: Wolf-Hendrik Müllenberg
Die Aktie des kleinen Mannes: Postkarten sammeln ist erschwinglich.

Mit seinem Angebot dürfte Polster mittlerweile eine Marktlücke füllen. Anfang der 1980er-Jahre gibt es im Großraum Hamburg noch 130 Läden für Postkartensammler. Heute sind es weniger als zehn. Dennoch glaubt Poster, dass die Faszination für alte Ansichtskarte nie ganz abreißen wird. Doch wer Postkarten sammelt, muss nicht unbedingt welche schreiben. Bestes Beispiel ist der Experte für Ansichtskarten selbst: Polster darf man sich im Urlaub so vorstellen: "Füße hochlegen und mal eine WhatsApp verschicken."

Um 1900 gilt die Postkarte noch als schnellstes und zuverlässigstes Kommunikationsmedium - sie ist billiger als ein Brief oder ein Telegramm - und weiter verbreitet als eine Zeitung. In der österreichischen Hauptstadt Wien dauert es damals durchschnittlich zwei Stunden, bis sie einen Empfänger erreicht. Die Zustellung von Postkarten erfolgt unter der Woche sieben Mal pro Tag.

Bedenken beim Datenschutz

Und warum beginnt der Siegeszug der Postkarte in Deutschland etwas später als in Österreich? Warum agieren die Deutschen etwas zögerlicher? Vermutlich weil ihnen der Datenschutz schon damals besonders wichtig ist. Die Befürchtung: Vertrauliche Nachrichten könnten in falsche Hände geraten. Zudem sorgen sich die Deutschen um die Verrohung der deutschen Sprache. Im Gegensatz zum Brief sind Höflichkeitsfloskeln auf Postkarten überflüssig geworden, wie dieses Gedicht beweist:

"Einen langen Brief verlangst Du? Sei klug! Gruß und Kuss! Das ist genug." Autor unbekannt

Feldpostkarte: "Ich lebe noch"

Im deutsch-französischen Krieg (1870/1871) erlebt die Postkarte ihren ersten Masseneinsatz - als Feldpostkarte. Sie wird gratis zugestellt. Ihre wichtigste Botschaft: "Ich lebe noch!" Familien und Freunde halten über Monate nur über die Feldpost Kontakt.

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Auf einer historischen Postkarte ist ein Kleeblatt abgebildet.
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Rund 20 Jahre später beginnen Verlage, zunächst Zeichnungen und Grafiken und dann Fotografien auf die Karten zu drucken. Ihre Botschaften schreiben die Menschen rund ums Foto - denn weiterhin ist die andere Postkartenseite ausschließlich für die Adresse reserviert. Die ersten Bilder zeigen Stadtansichten - jeder noch so kleine Ort druckt seine eigenen Postkarten. Besonders an Urlaubszielen erfreuen sie sich großer Beliebtheit.

Ein Strich verändert die Postkarte

Zudem übernimmt die Postkarte auch eine Funktion als berichtendes Medium - sie zeigt Bilder von Unfällen, kuriose Szenen oder Brände. 1904 gibt es dann eine bahnbrechende Neuerung: der Teilungsstrich wird eingeführt. Nun beschreibt man ausschließlich die Rück- und nicht mehr die Bildseite - links steht der Text, rechts die Adresse.

Der Urlaubsgruß heute: Selfie statt Postkarte

Die Jahre 1895 bis 1918 werden zur Blütezeit der Ansichtskarte. 1903 etwa werden in Deutschland rund 1,2 Milliarden Postkarten befördert. Heute sind es bedeutend weniger.

Einer Studie des Branchenverbands Bitkom von 2019 zufolge schicken mittlerweile acht von zehn Deutschen ihre Urlaubsgrüße auf dem digitalen Weg. Ein Selfie ist unkomplizierter, noch dazu gratis und heutzutage vor allem: schneller.

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NDR Info | Auf ein Wort | 30.09.2019 | 18:25 Uhr

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