60 Jahre Bonn-Kopenhagener Erklärungen
Oktober 1954 ein Monat der Veränderungen
In Kiel löste im Oktober 1954 Kai-Uwe von Hassel den todkranken Friedrich-Wilhelm Lübke als Ministerpräsidenten ab. In Bonn suchte Bundeskanzler Konrad Adenauer Unterstützer für die Aufnahme der Bundesrepublik in die NATO. In Kopenhagen sah man darin eine Chance. Am 22. Oktober trat der dänische Außenminister Hans Christian Hansen bei der NATO-Ratstagung in Paris ans Mikrophon. Dänemark, so machte er deutlich, begrüße es, wenn die Bundesrepublik neues Mitglied der NATO werden würde. Eigentlich habe es ja nichts damit zu tun, doch es wäre vielleicht schön, wenn die Minderheitenprobleme im Grenzland gelöst würden, wenn man künftig intensiver zusammenarbeite. Konrad Adenauer verstand. Noch in Paris sagte er Hans Christian Hansen zu, die Sache werde geregelt.
Arbeiten in Kopenhagen, feiern in Bonn
Im Februar 1955 kamen in Kopenhagen Deutsche und Dänen zu Gesprächen zusammen. Dabei saßen auch ein Beamter aus Schleswig-Holstein mit NS-Vergangenheit am Tisch sowie ein dänischer Historiker, dem die Wehrmacht kurz vor Kriegsende das Haus über dem Kopf weggesprengt hatte. Trotzdem gelang es recht schnell, eine gemeinsame Verhandlungsbasis zu finden. Aus Kiel kam die Bitte, doch auch die Rechte der deutschen Minderheit in Dänemark zu berücksichtigen. Die Dänen nickten, doch eines schlossen sie kategorisch aus: Es dürfe keinen bilateralen Vertrag geben, keinen, der Deutschland das Recht gebe, sich in dänische Angelegenheiten einzumischen.
Am Ende stand so ein Unikum internationaler Vertragsgestaltung: je vier Seiten auf Deutsch und Dänisch. Die Dänen erklärten, ihre deutsche Minderheit der Mehrheit im Land gleichzustellen, das Schulwesen zu tragen, Abschlüsse anzuerkennen und betonten das Prinzip der Bekenntnisfreiheit. Wer sagt, er ist Minderheit, ist es. Das Gleiche in der deutschen Fassung, im Protokoll dann aber noch die "Bitte" der Bundesrepublik an Schleswig-Holstein, die Fünf-Prozent-Klausel aufzuheben. Das alles lag weitgehend fertig vor, als die Delegationen sich am 28. März 1955 in Bonn trafen. Am 29. dann folgte im Palais Schaumburg der offizielle Akt mit Bundespräsident Theodor Heuss und der wichtige Hinweis von Hans Christian Hansen an die Presse, es seien zwei Erklärungen, eine je für jedes Land - und deshalb müsse immer im Plural von den "Bonn-Kopenhagener-Erklärungen" gesprochen werden.
Wenig Papier und viel Erfolg
Mit den Bonn-Kopenhagener-Erklärungen begann sich das bis dahin gespannte Verhältnis zwischen der Bundesrepublik und dem dänischen Königreich zunächst zu entkrampfen, um sich dann stetig zu verbessern. Der Grenzkampf endete. Es habe ein Prozess vom Gegeneinander über das Nebeneinander zum Miteinander begonnen, bilanziert heute der Vorsitzende der Sydslesvigsk Forening (SSF) Jon Hardon Hansen. Inzwischen seien die Minderheiten schon einen Schritt weiter, glaubt Hinrich Jürgensen vom Bund Deutscher Nordschleswiger (BDN). Er verweist darauf, dass die Minderheiten inzwischen zusammenarbeiten, um gemeinsam Projekte für die Grenzregion voranzubringen.
Modell aber keine Blaupause
Das Zusammenleben von Mehr- und Minderheiten im deutsch-dänischen Grenzland wird inzwischen als Modell für Europa angesehen. Nicht umsonst wurde das ECMI - das Europäische Zentrum für Minderheitenfragen - in Flensburg angesiedelt. Als gutes Beispiel hervorgehoben wurde das Grenzland besonders nach der deutschen Einheit, als erneut Minderheitenfragen auf die Tagesordnung kamen. Allerdings wurde alles mit bilateralen, also internationalen Verträgen geregelt. Die Bonn-Kopenhagener-Erklärungen taugen nach Ansicht des ECMI-Vorsitzenden Jørgen Kühl nicht als Blaupause. Sie seien mit Rücksicht auf dänische Wünsche so entstanden und "huldigen dem Prinzip der einseitigen Gegenseitigkeit" - das übrigens nach Einschätzung von Beobachtern bis heute sehr effektiv. Nicht nur der Streit um die Zuschüsse Schleswig-Holsteins für die dänischen Minderheitsschulen wurde mit Hinweis auf Bonn-Kopenhagen beendet. Auch als die Junge Union 2013 nach dem Eintritt des SSW in die Landesregierung die Ausnahme der Minderheitenpartei von der Fünf-Prozent-Klausel über das Landesverfassungsgericht kippen wollte, scheiterten sie nicht zuletzt an den in den Bonn-Kopenhagener-Erklärungen vereinbarten Grundsätzen.
- Teil 1: "Wir sind nicht umgezogen, sondern die Grenze"
- Teil 2: Oktober 1954 ein Monat der Veränderungen