1945: Yehudi Menuhin spielt für KZ-Überlebende
Zum 100. Geburtstag ihres Gründers Yehudi Menuhin hat die Menuhin-Stiftung in der KZ-Gedenkstätte Bergen-Belsen ein Programm auf die Beine gestellt, das an ein Konzert erinnert, das Menuhin mit Benjamin Britten 1945 vor Überlebenden des KZ Bergen-Belsen gegeben hat - am 27. Juli 1945 im Roundhouse, dem Zentrum des damaligen Camps für sogenannte Displaced Persons. Yehudi Menuhin und Benjamin Britten spielten Werke von Bach, Beethoven und Grieg für die Überlebenden des KZ.
Der Beginn der Zusammenarbeit von Menuhin und Britten
Wer die Idee zu dieser Konzertreihe durch mehrere Konzentrationslager Europas hatte, ist nicht mehr eindeutig zu klären. Das Konzept dahinter ist dagegen klar, sagt Thomas Rahe, wissenschaftlicher Leiter der KZ-Gedenkstätte Bergen-Belsen: "Es ging darum, eine musikalische Form der Zuwendung zu geben. Den Überlebenden der NS-Verfolgung, wieder das Gefühl zu geben, sie sind wieder komplette Menschen, mit einem breiten Spektrum an Interessen, zu dem eben auch Kultur gehört. Es war ein Stückchen Rehabilitation, wenn man so will, wenige Wochen nach der Befreiung."
Es ist der Beginn der Zusammenarbeit des damals noch unbekannten Benjamin Britten am Klavier mit dem schon bekannteren Geiger. Unruhig verfolgen die ehemaligen Lagerinsassen das Konzert, erinnert sich Yehudi Menuhuin später, viele von ihnen sind traumatisiert. Klassische Musik, live gespielt, haben sie kurz nach dem Krieg lange nicht gehört, eine Lagerkapelle hatte es in Bergen-Belsen nicht gegeben.
Kritik an Kleidung und Musikauswahl
Allerdings stören sie sich daran, dass die Musiker nicht im Frack, sondern in Hemd und kurzen Hosen auftreten. Es ist nicht die einzige Kritik am Konzert, erzählt Thomas Rahe: "Ein weiterer Kritikpunkt war, dass es in diesem Programm eine Reihe von Stücken gab von Bach und Beethoven, also von deutschen Komponisten. Und da hatten viele von den osteuropäischen Juden mittlerweile Vorbehalte und sagten: Wieso denn nur deutsche Komponisten, oder überwiegend deutsche Komponisten? Warum spielen sie nichts Jüdisches?"
Jüdische Lieder hingegen erklangen 2016 bei der Vernissage zur Ausstellung "Kafka, der Visionär". Auch die spanische Malerin Sofia Gandarias hat sich mit dem Holocaust beschäftigt. Unwirkliche Szenen am Rande von Tod und Unterdrückung sind da zu sehen, dunkle Bilder, aus denen ausgemergelte Menschen blicken, wie sie Menuhin auch erstmals in seinem Konzert 1945 begegneten.
Stiftungsleiter Wagner: Menuhin hat eine Vorbildfunktion
Thomas Rahe erzählt, woran Yehudi Menuhin sich bei einem erneuten Besuch in Bergen-Belsen in den 90er-Jahren erinnerte: "Ihm sei das damals nicht wirklich so deutlich gewesen wie heute, in welchem Zustand sich die Leute eigentlich befunden haben. Nicht nur körperlich, sondern auch in welchem mentalen und psychischen Zustand sie damals gewesen sind. Und das scheint für ihn doch ein ganz wesentlicher Punkt gewesen zu sein."
Ganz besonders beeindruckt habe Menuhin damals ein kleiner Roma-Junge, etwa vier Jahre alt, erzählt Rahe. Vielleicht wegen seiner Schönheit, vielleicht, weil die Geige das Instrument der Sinti und Roma ist. Vermutlich aber auch, weil ihn dessen Elternlosigkeit anrührte.
Darum ging es dem großen Geiger neben dem humanitären Aspekt bei diesem Konzert: Solidarität mit den Heimatlosen, die von der deutschen Bevölkerung damals abgelehnt wurden, sagt der Leiter der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten, Jens-Christian Wagner: "Hier gibt es durchaus Aktualitätsbezüge zur heutigen Situation. Auch heute leben in Deutschland eine große Zahl sogenannter heimatloser Ausländer: Flüchtlinge, Vertriebene, Kriegsopfer. Wenn wir darauf gucken, mit welchem humanitären und politischen Auftrag Yehudi Menuhin seinen Auftritt hier selbst versehen hat, dann hat das natürlich auch eine Vorbildfunktion für heutige Zeiten."
Erinnerung an ein denkwürdiges Konzert - am kommenden Sonntag wird in der Gedenkstätte Bergen-Belsen an den Auftritt von Yehudi Menuhin und Benjamin Britten im Jahr 1945 erinnert.